Prinzip Machterhalt

Prinzip Machterhalt: Kritik an den Wiener Festwochen

Kultur. Warum Frie Leysens Kritik an der Struktur der Festwochen legitim ist

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Natürlich: Ein kaufmännischer Geschäftsführer, der von allen geliebt wird, ist ein Widerspruch in sich. Wer auf die Finanzen schaut, kann es nicht allen recht machen. Die Budgets sind begrenzt, die künstlerischen Wünsche nicht selten maßlos. Trotzdem hat sich das Bild einer zeitgemäßen Geschäftsführung im Kulturbetrieb über die Jahre gewandelt. Das zeigt sich auch anhand der aktuellen Kritik der scheidenden Festwochen-Schauspielchefin Frie Leysen, die dem Wiener Festival vergangene Woche in profil katastrophale Noten ausstellte. In einem offenen Brief an Festwochen-Präsident Rudolf Scholten sprach sie vom "Fehlen einer Vision" und von einem Apparat, der "aus dem Gleichgewicht" geraten sei. Die Geschäftsführung habe sie als "feudalistisches System mit einem sehr geringen Ausmaß an Loyalität und wenig Interesse für Künste und Künstler" erlebt. Bereits Leysens Vorgängerin, Stefanie Carp, kam bei ihrem Abgang im Vorjahr zu einem ähnlich harten Urteil. Erneuerung sei nicht erwünscht, attestierte sie den Festwochen im Juli 2013 in einem profil-Interview, es gehe da "vor allen Dingen um Machterhalt".

Wachsende Macht
Bezeichnenderweise meldete sich Wolfgang Wais nie selbst zu Wort, obwohl ein Gutteil der Kritik seinen Arbeitsstil betrifft. Seit 1981 ist der gebürtige Waldviertler schon bei den Festwochen, lange als Produktionsleiter, zwischendurch sogar als Programmmacher; anno 2000 übernahm er die kaufmännische Geschäftsführung, just in einer Umbruchsphase, als der Schweizer Starregisseur Luc Bondy erst als Schauspielchef, später als Intendant die Geschicke des Festivals zu bestimmen begann. Unter dem Künstlerkindskopf Bondy, dem Repräsentationspflichten ebenso lästig waren wie Geldfragen, der zudem außerhalb der Festivalzeiten kaum in Wien anwesend war, wuchs die Macht des Kaufmanns unaufhaltsam. Je weltfremder der künstlerische Leiter agierte, desto wichtiger wurde es, dass jemand die Finanzen überwachte. Lediglich die wechselnden Schauspielchefinnen - Marie Zimmermann (2002 bis 2007) und Stefanie Carp (2005 interimsmäßig, dann 2008 bis 2013) -, die den Hauptteil der Arbeit erledigten, bekamen zu spüren, wie unflexibel die Festwochen dadurch geworden waren. Das beste Beispiel dafür: Bereits Zimmermann erkannte, wie wichtig ein Festivalzentrum wäre, ein kommunikativer Ort für Künstler und Publikum. Weder ihr noch ihrer Nachfolgerin Carp gelang es, trotz vehementen Bemühens, diese nicht sonderlich exzentrische Forderung durchzusetzen. Erst nach über zehn Jahren wurde heuer, auf Leysens Druck, erstmals ein Festivalzentrum etabliert.

Wenig Flexibilität
Zweifelsohne: Kontinuität garantiert Stabilität. Damit hat Scholten Recht. Doch selbst an Stadttheatern ist es üblich, im Rahmen eines Intendantenwechsels einen Teil des Teams auszutauschen. Festivals sind in dieser Hinsicht meist flexibler, die neuen Leiter bringen ihre Dramaturgen und Kuratoren mit. Bei den Festwochen, wo es sogar fest angestellte Dramaturgen gibt, ist der Handlungsspielraum denkbar gering. Leysen holte mit Max-Philip Aschenbrenner lediglich einen neuen Dramaturgiemitarbeiter ins Team. Die erfahrene Festivalmacherin, die 1994 das belgische Kunstenfestival des Arts gründete, war flexibleres, selbstbestimmteres Arbeiten gewohnt. Sie hat die Finanzen bislang selbst kontrolliert. Und sie forderte ein anderes Feintuning: Denn üblicherweise im internationalen Festivalbetrieb sprechen sich künstlerische und kaufmännische Leitungen permanent ab, welche Arbeiten man einladen könne, wie viel operatives Budget laufend vorhanden sei. Bei den Festwochen hingegen sei die Erstellung des Budgets nicht transparent, kritisierte Leysen. Wiens Schauspielchefinnen sollen offenbar nur eine Wunschliste mit geplanten Inszenierungen einreichen, um am Ende nicht selten böse überrascht zu werden: Plötzlich ist doch nicht genug Geld da, weil etwa das Opernprogramm teurer als vermutet ist, müssen Inszenierungen abgesagt, Künstler vor den Kopf gestoßen werden. Für den internationalen Ruf des Festivals ist dies nicht gerade förderlich.

"Scheinheilig"
Wenn Festwochen-Präsident Rudolf Scholten nun in seinem Antwortbrief auf die Kritik Leysens nur beschwichtigende Politikerworte findet ("Wir können zu diesem Thema weiterhin Briefe austauschen"), klingt das etwas scheinheilig. Warum sollte Leysen nach ihrem Abgang weiter den Dialog suchen? Sie hat bereits in zahlreichen internen Krisengesprächen und nun auch öffentlich gesagt, was es zu kritisieren gibt. Nun liegt es an den Festwochen, zu reflektieren, wo diese Kritik berechtigt ist und was man davon umsetzen möchte - es sei denn, es geht weiterhin bloß um Machterhalt.

WOLFGANG WAIS Der kaufmännische Festwochen-Leiter wird für seinen Arbeitsstil kritisiert.

Karin Cerny