profil vor 25 Jahren

Mit der „enthemmten Gesellschaft“ beschäftigte sich die Titelgeschichte vom 8. November 1993

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„Der postmoderne Narzissmus blüht, die Tabus sind gebrochen“, schrieb profil. Ähnlich sah das die Psychotherapeutin Brigitte Sindelar: „Die Attraktivität der Schamhaften wurde gegen die Attraktivität der Schamlosen eingetauscht.“ Das zeige, so profil, der Boom von „Emotions-Shows“ wie „Verzeih mir“ und „Reality-TV“-Formaten ebenso wie etwa die Tatsache, dass Populisten wie Jean-Marie Le Pen oder Jörg Haider ihre Auftritte in Fernseh-Talkshows gerade deshalb bekämen, „weil sie mit ihren rechten Sprüchen anstandslos politische Anstandsgrenzen übertreten“. „Früher lösten Tabubrüche Schamgefühle aus, inzwischen ist die Scham selbst zum Tabu geworden“ und gelte als „Zeichen von Schwäche und Unterlegenheit“, resümierte profil.

Für entscheidend unterlegen hielt RTL-Chef Helmut Thoma das Modell des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Der sei „unübersehbar“ in der Krise und stünde „auf einer Aussterbeliste“, meinte der aus Österreich stammende Medienmanager im profil-Interview. „Langfristig“, so Thoma weiter, sehe er für den Österreichischen Rundfunk „überhaupt keine Chance. Vielleicht kann der ORF irgendwann einmal als Regionalprogramm überleben, wenn er entsprechend hoch subventioniert wird. Dann kann man ihn als eine Art ,Jurassic Park‘ weiterbetreiben.“ Schließlich sei es beim Aufkommen der Dampfschiffe auch niemandem eingefallen, „eine Bestandsgarantie für Segelschiffe abzugeben“.