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Pyjamaparty! Mode nach Corona

Während die Top-Luxusmarken nahezu seuchenresistent scheinen, muss sich der Rest der Mode nicht erst durch die Pandemie neu erfinden. Und zeigt dabei zwangsweise ein neues Moralverständnis.

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Das Leben danach - Teil 4: Mode

Was kommt, was bleibt, wenn Corona vergeht? Zum Abschluss der profil-Serie über unseren Alltag nach Corona.

Bleibt das Homeoffice? Wie beeinflussen die verfeinerte Catering-Kultur und die lange Restaurant-Absenz unsere zukünftige Esskultur? Werden Zug und Auto das Flugzeug als Reisemittel überholen? Und werden die Jogginghosen irgendwann wieder nur beim Sport getragen werden? Diese und andere Fragen erörterten das Autoren-Duo Angelika Hager und Sebastian Hofer in der großen profil-Serie über das Leben nach der Pandemie. Denn dass danach nichts mehr so sein wird, wie gehabt, darüber sind sich Trendforscher, Psychologen und Unternehmensberater ungewohnt einig. Die Quintessenz lautet: Corona wirkt in allen Lebensbereichen wie ein Brandbeschleuniger. Fazit: Alles bleibt anders.

"Fluide" sei er gekleidet, erklärte der Finanzvorstand von Hugo Boss, Yves Müller, kürzlich bei einer Pressekonferenz, auf die Frage, wie er es privat halte: Er kombiniere einen Pullover mit Sakko und sogenannten "drawstring-pants", so die etwas verfeinerte Variante der sattsam bekannten Jogginghose. Dieses früher oftmals verpönte Kleidungsstück baumelte in jedem Fall im vergangenen Jahr am häufigsten auf unser aller Wäscheständer, und man darf erleichtert sein, dass der Jogginghosen-Hasser Karl Lagerfeld den Triumphzug des Signature-Pieces einer aus den Angeln geratenen Gesellschaft nicht mehr miterleben musste.


Diese Aussage von einem Unternehmenschef zu hören, dessen Haupteinnahmequelle Herrenanzüge sind, verwunderte dann doch. Der Umsatz bei "formal wear", also Anzügen, Hemden und Mänteln, sei von 35 auf 25 Prozent gefallen, viele der rund 1000 Handelspartner (Boss betreibt in Deutschland nur 30 Shops) stünden mit dem Rücken zur Wand und werden die Lockdowns möglicherweise nicht überleben.

Deprimierende Meldungen dieser Art sind vor allem aus dem Mittelbau der Luxusbranche zu hören: Diane von Fürstenberg, die mit ihrem Wickelkleid in den 1990er-Jahren ein weltweites Revival erlebte, schloss, bis auf den New Yorker Flagship-Store, in den USA alle Boutiquen; den Anfang vom Ende hatte sie mit dem ewigen "Lockdown" ihrer Londoner Boutique gesetzt. In Zukunft wolle sich das Unternehmen DVF, so ließ man verlauten, auf China und den Online-Handel konzentrieren. US-Klassiker wie Ralph Lauren, Brooks Brothers, die amerikanischen Traditionskaufhäuser Neiman Marcus oder Barney's, die deutsche Modefirma Escada, aber auch mittelpreisige Allerweltsmarken wie Esprit oder Billiganbieter wie Pimkie oder Adler: Die Beispielkette in der Textilbranche von jenen Unternehmen, die schwer angeschlagen sind, sich im Schutzschirm-Modus befinden, mit Massenentlassungen reagieren mussten oder schon pleitegingen, ist schier endlos. Auch der Fast-Fashion-Riese H&M plant, weltweit 250 Filialen zu schließen.

Die Pandemie, diesbezüglich scheinen sich die Analysten, Fachjournalisten und Unternehmensberater einig, wirkte jedoch nur als Brandbeschleuniger für ein ohnehin kränkelndes System, das sich in rasender Geschwindigkeit drehte, im Überfluss produzierte und sich durch die Abfolge viel zu vieler Kollektionen, die viel zu schnell im Sale landeten, sich in Selbstzerstörung übte. In einem ihrer "Vogue"-Blogs, lange vor dem Pandemie-Kollaps, empörte sich "die Tolle", wie die wohl weltweit bekannteste Modejournalistin Suzy Menkes wegen ihrer schrulligen Schaumrollen-Frisur genannt wird, über das System High Fashion, das mit diesem Tempo seine größten Talente verschlingt: "Im Jänner ist Haute Couture, März gehört Ready-to-wear, im Mai ist Cruise angesagt, im Juli Couture, im September kommt wieder Prêt-à-porter dran und dann schon wieder Cruise - wie soll ein kreativer Geist in diesem Höllenfahrplan noch einen klaren schöpferischen Gedanken fassen?" Wie sehr dieser Höllenfahrplan Designer kaputtmachen kann, zeigt die Netflix-Dokumentation "Alexander McQueen" über das britische Genie, das 2010 Selbstmord begangen hat.

Eines der meistbeachteten Model-Debüts war der Auftritt von Ella Emhoff, der 21-jährigen Stieftochter von Kamala Harris, auf der vergangenen New Yorker Fashion Week. Tatsächlich wirkte die Strickwaren-Designerin bei ihrem gestreamten Show-Gang für Proenza Schouler wie eine traurige Gendertheorie-Studentin vom Berkley-Campus der 1970er-Jahre. Abgesehen von ihrem Promibonus personifizierte sie mit ihrer Minipli-Kurzhaarfrisur und den goldenen Nerd-Brillen, zumindest vom Styling her, das perfekte Abbild für den gegenwärtigen Zustand der Mode: erschöpft und ziemlich frustriert.

Wie auch bei der Finanzkrise 2008 sind am Gipfel der Luxusbranche die wenigsten Erschütterungen zu verzeichnen. Vor zehn Jahren lag der Aktienkurs der Louis-Vuitton-Mutter LVMH noch bei 99,23 Euro. Heute steht die Aktie bei 566 Euro, Tendenz steigend. Und tatsächlich konnte man auch nach dem Ende des ersten Lockdowns im vergangenen Jahr bereits eine lange Schlange von Menschen vor der Wiener Louis-Vuitton-Boutique in der Tuchlauben stehen sehen. Die erste Schockwelle der Pandemie, die durch das Wegbrechen des chinesischen Marktes (der inzwischen 50 Prozent des weltweiten Luxuskonsums ausmacht) bei Chanel, LVMH (u. a. Dior, Fendi) und dem Kering-Konzern (u. a. Gucci, Yves Saint Laurent, Bottega Veneta) Sorgenfalten aufkommen ließ, ist bald verebbt. "Wir befinden uns in einem Zustand äußerster Wachsamkeit", so LVMH-Chef Bernard Arnault in gebotener Diplomatie, er kann sich allerdings schon wieder entspannen: Die Konsumlibido neureicher Chinesen ist wieder erblüht. Allerdings jettet man jetzt nicht mehr für drei Tage nach Paris, sondern kauft notgedrungen vor Ort und in Hongkong in den Marken-Filialen und nimmt für das befriedigende Erlebnis zollbedingt auch die 40 Prozent mehr für den Preis einer LV-Weekender oder einer Fendi-Baguette-Tasche in Kauf.

Um sich die asiatischen Fans warm zu halten, segelten die Flaggschiffe der LVMH-Gruppe Dior, Fendi und Louis Vuitton, ungeachtet aller Versprechen, den Modezirkus zwecks Umweltschonung zunehmend in den virtuellen Raum zu verlagern, auch vor Ort und präsentierten die aktuellen Kollektionen mit chinesischen Models und einem auf 400 Gäste beschränkten Publikum in Schanghai und Singapur. Tatsächlich haben Designer wie Guccis Alessandro Michele, der Belgier Dries Van Noten oder Tom Ford schon vor Covid das Millionen Euro verschlingende Schlachtfeld der analogen Shows teilweise verlassen und sich bei den Streaming-Präsentationen in avantgardistischen Ausdrucksformen geübt. Wobei das Umweltbewusstsein dabei möglicherweise nur marginal zählt, sondern vielmehr die Tatsache, dass ein Instagram-Posting von Gigi Hadid in einer Designer-Robe mit ihren 65 Millionen Followern inzwischen weit mehr bringt als ein mehrseitiger Showbericht in der italienischen "Vogue". Dries Van Noten ließ jetzt Tänzer seine Schöpfungen zelebrieren; Miu Miu verfrachtete die Models in die Dolomiten, Diors Maria Grazia Chiuri klotzte mit einer Online-Show im Spiegelsaal von Versailles, was möglicherweise die monomanische Idee ihres Chefs Bernard Arnault gewesen sein könnte. Das ansonsten minimalistische französische Newcomer-Duo Coperin erlaubte sich den Gag einer Drive-in-Show in Paris, wo die Gäste mit schnittigen Elektroautos neben den Runway chauffiert wurden. Die Veranstaltung stand unter dem Motto: "Die Nacht fehlt uns!". Dementsprechend glamourös waren die Klamotten und großzügig der Champagner bemessen, der in die Autos serviert wurde.

Gleichzeitig zur Euphorie angesichts Chinas Konsumerwachen (und das beweist wieder die doppelbödige Moral der Branche) kam es zu einem China-Boykott, genauer des Ankaufs jener Baumwolle, die aus der autonomen Region Xinjiang stammt, wo die muslimische Minderheit der Uiguren auf den Feldern zu Zwangsarbeit getrieben wird. Ankauf-Verweigerer sind Firmen wie Hugo Boss, adidas, Nike, Burberry und H&M. Die Sanktion kommt allen Firmen teuer zu stehen. Im Gegenzug wurden nämlich von regimetreuen Chinesen deren Produkte öffentlich verbrannt und von diversen Einkaufsportalen verbannt. "Sie wollen mit China Geld verdienen", hieß es in einem staatlichen Medium, "verbreiten aber gleichzeitig bösartige Gerüchte, um die Xinjiang-Baumwolle zu boykottieren."

Womit natürlich auch das moralische Dilemma der Modeindustrie knapp umrissen ist: Einerseits will man sich des "Fair Trades", der Verfechtung der Menschenrechte, der Nachhaltigkeit und des ökologischen Bewusstseins rühmen, andererseits ist man brutalen kapitalistischen Zwängen ausgesetzt, um überleben zu können.

Dennoch ist durch die Fridays-for-Future-Bewegung und den Protestaktionismus der Anarchen von Extinction Rebellion die Bekleidungsindustrie als einer der größten Umweltsünder unwiderruflich ins Bild gerückt worden. Sie muss Flagge zeigen, um ihre Akzeptanz bei den ökobewussten Millennials zu halten.

Ein wichtiger Punkt ist Diversität, ein Punkt, dem die Fashionindustrie mit der ihr eigenen Trägheit bis zum Mord an George Floyd und der Black-Lives-Matter-Bewegung begegnet ist.

Der aktuell mächtigste Mann im Modebusiness ist ein Garant dafür, dass Diversität kein Luxus mehr sein darf: Edward Enninful, ein 48-jähriger Brite mit ghanaischen Wurzeln, wurde kürzlich neben der Chefredaktion der englischen "Vogue" mit der Verantwortung für alle europäischen Ausgaben des Modemagazins betraut. Ein Novum im Condé-Nast-Medienimperium, in dessen 104-jähriger Geschichte noch kein Chefredaktionsposten von Menschen mit schwarzer Hautfarbe besetzt worden war. "Wir sind lange genug auf Zehenspitzen durch die Branche gegangen", so Enninful, der kürzlich das Cover des Magazins "Time" zierte. "Als Menschen, die Geschichten erzählen und Bewusstsein schaffen, haben wir eine Verantwortung, Dinge zu verändern." Das 20-jährige Model Adut Akech, inzwischen mehrfach Enninfuls Cover-Gesicht und selbst Antirassismus-Aktivistin, und die Plus-Size-Mannequins Precious Lee und Paloma Elsesser, die zurzeit ein Buchungs-Muss für jeden Designer mit Coolness-Faktor sind, sind nur einige Beispiele dafür, dass die Tage, als Naomi Campbell und Iman die einzigen schwarzen Stars auf dem Laufsteg waren, endgültig der Geschichte angehören.

 

Wie wird der postpandemische Dresscode für uns Normalos sein? Der Trainingsanzug scheint nicht nur im Pandemie-Cocooning zur zweiten Haut geworden zu sein; er erobert gegenwärtig auch in den wildesten Varianten die Laufstege. Miu Miu, Gucci, Balenciaga oder auch das neue Trendlabel für reiche Hipsters Off-White, sie alle lassen ihre grimmig blickenden Models in der Bequemlichkeit verschriebenen Freizeitklamotten über leere Straßen, verwaiste Fabrikshallen oder postapokalyptische Parklandschaften paradieren. Der heißeste Hoodie für echte Modeopfer ist Pradas weißer Kapuzensweater von Raf Simons, bedruckt mit dem französischen Satz "Die Zeichen fliegen in meine Richtung", um 1300 Euro. Auch das Zitat des Zitats ist, wie so oft in der Mode, nichts Neues. Die Bling-Bling-Rapper der 1990er-Jahre posierten bereits in Trainingsklamotten der Marken Nike und adidas; sie trugen Topfhütchen von Gucci und Louis Vuitton, wenn sie dem weißen Establishment und diversen untreuen Bitches den Mittelfinger zeigten. 2013 reanimierte Gucci die Baumwollhose mit dem elastischen Bund; drei Jahre später fanden es Versace und Maison Margiela extrem innovativ, ihre Models in knallbunten Trainingszippern, Gummiband-Hosen und Windjacken über den Erdball zu schicken. Dass die Mode "eine langweilige Sportveranstaltung für Mitläufer geworden ist", die sich im ewigen Kreislauf der Wiederholung befindet, beklagte Wolfgang Joop schon vor Jahren in einem profil-Interview. Wird die textile Verwahrlosung durch die Pandemie, die skurrile Auswüchse zeigt wie das aus Pyjamahose und Schluppenbluse bestehende Outfit für die Zoom-Konferenz, unser Kleidungsverhalten weiter bestimmen?

 

Natürlich wird die Tendenz zur "Fluidness", also einem Aufheben von Dresscode-Vorschriften, bestehen bleiben. Die Casual-Friday-Tradition, die den Wallstreet-Knaben einst Anzug-und Krawatten-Freiheit erlaubte, ehe sie ins Wochenende und die Hamptons schlitterten, lässt sich jetzt über die ganze Woche ziehen. Adieu, Anzug! Nach Wochen in Sneakern wird vielen Frauen die Rückkehr zu High Heels auch als emanzipatorischer Rückschritt erscheinen. Aber natürlich macht sich schon längst eine Rebellion gegen die Tristesse der Stubenhocker in der Highend-Fashion bemerkbar. Es glitzert und blinkt in Gold und bombastischen Schnitten. Irgendwann muss die Pyjamaparty ja vorbei sein. Und wieder im Bling-Bling-Look auf den Tischen getanzt werden. Die Mode liebt die Krise, prognostiziert Vanessa Friedman von der "New York Times": "Erinnern wir uns an Christian Diors 'New Look', der aus den Trümmern des Zweiten Weltkrieges entstanden war und so viel Optimismus verströmte."

"Echt. Jetzt!" heißt das neue Buch von Angelika Hager, das sie unter ihrem Kolumnen-Pseudonym Polly Adler eben bei K&S publizierte. Als "Rückholaktion für unser schönes analoges Leben" und Befreiungsschlag aus der digitalen Dauer-Verpeiltheit will sie es verstanden wissen - und freut sich sehr auf die Zeit, wenn nicht mehr nur Jogginghosen auf dem Wäscheständer baumeln.

"Echt. Jetzt!" Eine Rückholaktion für unser schönes analoges Leben. Verlag K &S, 22 Euro

Angelika   Hager

Angelika Hager

leitet das Gesellschafts-Ressort