Ralf Rangnick fährt mit einem E-Bike über einen Fußballplatz
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Ralf Rangnick: Der Fluch der guten Tat

Das ÖFB-Nationalteam ist unbesiegt auf Kurs zur ersten Weltmeisterschaft seit 28 Jahren. Doch das reicht dem Land nicht mehr.

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TV-Host Rainer Pariasek hat ein Talent dafür, Ralf Rangnick in Wallung zu versetzen. Ob der 2:1-Sieg in Bosnien „ein bisschen glücklich“ gewesen sei, wollte er nach Abpfiff wissen. Der Teamchef antwortete mit ernstem Gesicht: „Ist mir völlig egal. Das können gerne Sie bewerten!“ 

Österreichs Fußball-Nationalteam ist auf dem bestem Weg, sich für die Weltmeisterschaft 2026 zu qualifizieren. Erstmals seit 28 Jahren. Und das mit bislang vier Siegen am Stück. Doch im Land wird immer öfter die Nase gerümpft. Siege gut und schön. Aber wo bleibt das schöne Spiel, die Dominanz und der Hurra-Fußball? 

Knappe Siege gegen Rumänien (immerhin 2024 EM-Achtelfinalist), Zypern und Bosnien genügen nicht mehr. ORF-Moderator Pariasek wirkte Dienstagabend sichtlich erstaunt, warum Österreich das bosnische Team nicht vom Platz schießt und nebenbei Kunststücke darbietet.

Nun gut. Rangnick und seine Mannen haben das Land verwöhnt. Daran ist auch der Teamchef schuld, der sich mit Mittelmaß nicht gern zufriedengibt. Er sprach von Beginn an davon, überall gewinnen zu wollen. Und er setzte sein Vorhaben um. Österreich versteckte sich nicht mehr ängstlich – sondern griff seine Gegner mutig an. Kaliber wie Kroatien, Italien, Deutschland, die Niederlande wurden so besiegt. Bei der Europameisterschaft gelang gar der Vorrunden-Gruppensieg vor Frankreich. Das gabs noch nie.

Im Land wird immer öfter die Nase gerümpft. Siege gut und schön. Aber wo bleibt das schöne Spiel, die Dominanz und der Hurra-Fußball? 

Rangnick wurde als eine Art Messias gefeiert. Doch die Geister, die er rief, fängt er nun schwer mehr ein. Medien und Fans haben ihre Erwartungshaltung deutlich nach oben geschraubt. Das Nationalteam wird nicht mehr als ewiger Pechvogel wahrgenommen, das am Ende doch bloß beweist, dass hierzulande Skigefahren und nicht Ballgespielt wird. Von Rangnick werden nun nicht bloß Siege erwartet. Sondern auch ein schönes Spiel. 

Rangnicks Vorgänger Franco Foda machte es sich da noch einfach. Er positionierte Österreich trotz vergleichbarer Spieler als Außenseiter; sah Mittelklasse-Nationen wie Wales, Bosnien oder Schottland auf Augenhöhe – und kassierte gar gegen diese empfindliche Pleiten, wie etwa das 2:5 gegen Israel. 

Dann kam Ralf Rangnick, der Österreich ermutigte, sich doch mehr zuzutrauen. Wer derzeit Fußball-Foren durchstöbert, bemerkt, dass Österreich vermehrt als Spitzennation wahrgenommen wird, die über jeden Gegner, mit Ausnahme von Spanien, Frankreich oder England, drüberzufahren hat.

Ralf Rangnick steht am Spielfeldrand während der Partie Österreich gegen Bosnien
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Vor einem Jahr verlor das ÖFB-Team den Nations-League-Auftakt 1:2 in Norwegen. In Österreich zeigte man sich entsetzt. „Die erste halbe Stunde habe ich die schwächste Leistung von Österreichs Fußball-Nationalteam seit langer Zeit gesehen“, erklärte TV-Experte Herbert Prohaska. Dabei war der Kaderwert des Gegners über jenem des ÖFB-Teams angesiedelt. Nicht ohne Grund. Norwegen verfügt über den besten Stürmer der Welt, Erling Haaland von Manchester City, Alexander Sørloth von Athletico Madrid, Antonio Nusa von RB Leipzig, Martin Ødegaard vom FC Arsenal. Norwegen hätte aufgrund des Kaders die Favoritenrolle gebührt. Nicht Österreich. Aktuell führt Norwegen ihre WM-Qualifikations-Gruppe mit 15 Punkten klar an, vor Italien. Von den letzten zehn Spielen wurde nur eines verloren: vor einem Jahr, gegen Österreich. Und das deutlich: 5:1!

Gerald Gossmann

Gerald Gossmann

Freier Journalist. Schreibt seit 2015 für profil kritisch und hintergründig über Fußball.