Ich habe ein Gefühl

Lexikon der modernen Emotionen – Nummer 7: Postoptimismus

Wie fühlen wir uns heute? Was spüren wir da eigentlich genau? Und ist das gut so? Eine Forschungsreise durch die Welt der zeitgemäßen Empfindungen.

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Gefühl Nr. 7: Postoptimismus – das unheimliche Gefühl, dass früher wirklich alles besser war, als es jemals wieder sein wird.

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Der Mensch, und ich muss hier nur ein bisschen verallgemeinern, ist eine optimistische Spezies. Der Antrieb, morgens das Bett zu verlassen, speist sich zu einem guten Teil aus der Vermutung, dass heute ein guter Tag sein dürfte oder jedenfalls ein halbwegs guter, und dass auch all die Dinge, die einem gerade den Schlaf geraubt haben, morgen oder jedenfalls übermorgen wieder vergessen sein werden. Man weiß ja aus persönlicher Erfahrung: Es wird nicht so schlimm kommen, wie man vorher meinen konnte, siehe saurer Regen, Pensionsreform, Matura.

Diese Erfahrung ist auch künstlerisch verbrieft. Der große niederländische Liedermacher und Menschenkenner Herman van Veen sang anno 1984, also mitten in einem von allerhand Atomwaffen kaltgestellten Kräftemessen zwischen Ost und West: „Die Bombe fällt nie“ und stellte in diesem Lied die damals doch einigermaßen verquere Frage: „Hat das nicht schlimme Konsequenzen? Die Zukunft hatte bislang Grenzen / Doch wenn man wieder planen kann / Was fängt man mit der Zukunft an?“ Das war pfiffig gegen einen fatalistischen Zeitgeist angesungen, der, wie wir heute wissen, ja auch wirklich in die Irre geisterte. Die Bombe ist tatsächlich nicht gefallen, Zukunft fand statt. Und sie war dann auch ziemlich super.

Der Gedanke tut weh, weil er so unheimlich realistisch ist: Ja, früher war alles besser. Wir haben das Beste überstanden.

Heute wissen wir leider: Es war einmal. Früher war wirklich alles besser. Der Fatalismus, der uns heute umtreibt, ist nämlich im Gegensatz zum damaligen berechtigt, düstere Prognosen werden nicht mehr so einfach verschwinden, sondern früher oder später Tatsachen werden. Mit dem spürbaren und wohl auch bleibenden Wohlstandsverlust, den der russische Überfall auf die Ukraine (und alle seine Folgeerscheinungen) verursacht, hebt das Drama an, mit den kommenden Klimawandelfolgen wird es sich verlässlich verschärfen. Der Gedanke tut weh, weil er so unheimlich realistisch ist: Ja, früher war alles besser. Wir haben das Beste überstanden. Das Glas wird auf absehbare Zeit nicht mehr halb voll werden.

In einem Gespräch mit der „Süddeutschen Zeitung“ erklärte Herman van Veen unlängst, Stichwort Bombenerwartung: „Wenn ich darüber nachdenke, legitimiere ich schon den Gedanken an das Undenkbare. Aber davor müssen wir aufpassen. Wir müssen dafür sorgen, dass diese Möglichkeit gar keine Möglichkeit wird.“ Beim Gedanken an den Atomkrieg wird derart magisch-realistisches Denken wahrscheinlich funktionieren. Mit Blick auf die nächste Flut/Dürre/Hitzewelle stößt es an seine Grenzen. Ja, es hilft bestimmt, das, was nicht sein darf, auch nicht herbeizudenken. Das, was sein wird, ist trotzdem nicht wegzudenken. Aber wohin jetzt mit meinem ganzen Optimismus?

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Wie oft habe ich dieses Gefühl: immer, wenn ich Kinder sehe

Mit welchen Gefühlen ist es artverwandt: Nostalgie, Morgensorgen

Wenn ich über dieses Gefühl ein Lied schreibe, trägt es folgenden Titel: Hättiwari, tati (Future Sounds Rmx)

Sebastian Hofer

Sebastian Hofer

schreibt seit 2002 im profil über Gesellschaft und Popkultur, ist seit 2020 Textchef dieses Magazins und zählt zum Kernteam von faktiv.