„Social Freezing“, auch „Social Egg Freezing“, bezeichnet die Kryokonservierung, bei der unbefruchtete Eizellen (im Idealfall noch in den Zwanzigern, grenzwertig ab Mitte 30) entnommen und eingefroren werden, um sie später mithilfe künstlicher Befruchtung in einem IVF-Labor in die Gebärmutter einzusetzen. Im Vorfeld müssen sich die Patientinnen einer hormonellen Behandlung unterziehen, um die Eizellenproduktion zu stimulieren. In Österreich ist diese Methode, den Kinderwunsch fürs Erste kalt zu stellen und zu einem späteren, günstigeren Zeitpunkt zu realisieren, bislang verboten beziehungsweise nur mit einer medizinischen Indikation wie einer Krebserkrankung mit bevorstehender Chemotherapie, Endometriose (einer Gewebeerkrankung außerhalb der Gebärmutter, die zu Unfruchtbarkeit führen kann) oder einem geringen AMH-Wert (der Anti-Müller-Hormon-Wert gibt über Eizellreserven Auskunft) erlaubt. Das fällt dann freilich unter den Begriff „Medical Freezing“.
Vergangenen Juni ging eine 37-jährige, anonym verbleiben wollende, gesunde Frau mit dem juristischen Beistand des Wiener Anwalts Matthias Brand vor den Verfassungsgerichtshof, weil sie dieses Verbot für „verfassungswidrig“ erachtet und es gegen „das verankerte Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens“ verstoße. Brand ist zuversichtlich, dass das Verfahren zugunsten seiner Klientin ausgehen wird: „Wir erwarten die Entscheidung in Kürze. Die Faktenlage wurde aus allen Perspektiven in der Verhandlung geklärt. Mir war es als Anwalt wichtig, dieses für unsere Zukunft gesellschaftspolitisch enorm wichtige Thema zu unterstützen.“
ÖVP und FPÖ halten sich in der Debatte bislang bedeckt bis schweigsam, wohl weil Emanzipation und Autonomie das traditionelle Familienbild brüchig werden lassen könnten. Die katholische Kirche ist naturgemäß auch dagegen. Die Bundesregierung argumentiert, was vor allem der SPÖ-Haltung entspricht, dass solche Optionen Frauen unter Druck bringen könnten, „diese Methoden aufgrund von gesellschaftlichen Erwartungen seitens der Arbeitgeber in Anspruch zu nehmen“, wie Brand aus dem Verhandlungsprotokoll zitiert.
Sollte „Social Egg Freezing“ in Österreich vom Verfassungsgerichtshof erlaubt werden, müsse man, so Rechtsanwalt Brand, „noch einmal mit 18 Monaten rechnen, bis es auch in Kraft treten kann“. Diese Zeit hat sich die Bundesregierung ausbedungen, um legistische Vorkehrungen treffen zu können.
Apple und Facebook als Pioniere
Die Debatte, dass Unternehmen sich missbräuchlich in die Lebensplanung ihrer Mitarbeiterinnen einmischen könnten, kochte erstmals 2014 auf, als Tech-Firmen wie Apple und Facebook anboten, Frauen das „Social Egg Freezing“ zu finanzieren, um sie länger am Gipfel ihrer Leistungs- und Strapazierfähigkeit in Vollbeschäftigung zu halten.
„Ich kann diese Argumente nachvollziehen“, erklärt der Gynäkologe Peter Husslein, langjähriger Vorstand der Wiener Universitätsklinik für Geburtshilfe, „bin aber trotzdem vehement dagegen, dass sich der Staat anmaßt, in die Lebensplanung von Frauen einzugreifen und ihnen somit die Gestaltungsautonomie und Entscheidungsfähigkeit abspricht.“ Natürlich müssten Rahmenbedingungen geschaffen werden wie „die bei uns gesetzlich verankerte Altersgrenze von 48 Jahren“, vor der die Eizellen später künstlich befruchtet werden müssen. Völlig unzeitgemäß sei, dass in Österreich jede reproduktionstechnische Maßnahme an einen Partner geknüpft ist: „Wenn Patientinnen nicht verheiratet sind, müssen sie später bei einem IVF-Verfahren einen Partner vorweisen, der notariell beglaubigt die Vaterschaft übernimmt, inklusive aller Verpflichtungen wie Zahlungen. Das ist doch völlig unzeitgemäß, dass man Frauen nicht zutraut, allein ein Kind großzuziehen, wenn sie das so wollen.“ Husslein kritisiert auch die mangelnde Aufklärung, was medizinische Risiken betrifft: „Die Eizellen können sie ewig einfrieren. Es ist jedoch nicht gesichert, dass die Patientin nach einer IVF dann auch tatsächlich schwanger wird. Wenn sich eine Frau mit 39 zum ‚Social Freezing‘ entschließt, würde ich ihr sowieso davon abraten, denn da ist die Qualität schon merklich schlechter. Und wenn sie mit 45 kommt und ihre eingefrorenen Eizellen befruchten lassen will, aber ihre Gebärmutter voller Myome ist, wird sie wahrscheinlich auch nicht schwanger werden. Darauf und auf die damit verbundenen Kosten, die bei 5000 bis 7000 Euro bei einem Zyklus liegen, wobei die IVF dann noch dazukommt, muss man die Patientinnen aufmerksam machen.“
Dass in den letzten Jahren vermehrt Frauen in ihren fortgeschrittenen Dreißigern mit dem Wunsch nach einer Eizellen-Konservierung in die Praxis kommen, bestätigt der Reproduktionsmediziner Christoph Kindermann: „Das Bewusstsein hat sich da deutlich verändert.“ Häufig passiere das „nach einer abrupten Trennung einer langjährigen Partnerschaft“. Die Patientinnen sind in der Regel gut ausgebildet und beruflich erfolgreich. Ein statistisch noch nicht belegbares Phänomen sei übrigens, dass Frauen, die einmal oder mehrmals das Coronavirus hatten, an einer geringeren Eizellenreserve leiden: „Das fiel mir zunehmend auf.“
Eine medizinische Indikation, die ein Einfrieren auch in Österreich gestattet, könne jedoch auch „weich“ interpretiert werden: „Wenn zwar noch keine verminderte Eierstockreserve vorhanden ist, aber wegen einer Endometriose in Zukunft damit zu rechnen sein wird, müsste das ein Freezing rechtfertigen.“
Kindermann hofft zwar auf ein EU-weites Gesetz, das den Reproduktions-Tourismus in Europa eindämmen würde, schickt aber seine gesunden Kinderwunsch-Patientinnen noch nach Spanien: „Dort wird das gesamte Prozedere am liberalsten gehandhabt. Man muss dort später auch keinen Mann mitbringen, wenn man IVF machen will, sondern kann sich zum Beispiel an eine Samenbank wenden.“
Schlechte Erfahrungen mit Spanien machte eine heute 35-jährige profil-Gesprächspartnerin, die sich aufgrund der Liberalität, Unkompliziertheit und vergleichsweise Kostengünstigkeit für dieses Land entschieden hatte: „Ich war 31, und meine langjährige Partnerschaft ist plötzlich zerbrochen. In meiner Bubble wurde das Freezing immer mehr zum Thema. Spanien erschien mir von allen Optionen am besten. Allerdings habe ich eine Kinderwunsch-Klinik erwischt, die mich, was wichtige Informationen betraf, im Stich gelassen hat. Man konnte mir nicht mitteilen, ob die im Vorfeld notwendigen Medikamente verschickt werden könnten, wie die Kühlkette auszusehen habe, wie der Wirkstoff in Österreich heißt etc. Ich hätte innerhalb eines Zyklus drei Mal nach Barcelona fahren müssen, davor 1500 Euro Anzahlung leisten müssen, irgendwann habe ich dann resigniert.“ Andrea*, die heute wieder in einer Partnerschaft mit einem jüngeren Mann lebt, würde, wäre es erlaubt, sofort in Österreich ihre Eizellen einfrieren.
Kaum Aufklärung von Frauenärzten
Dass der Ausweg des Freezing-Tourismus für Frauen mit extremen Belastungen und Stress verbunden ist und viele trotz Kinderwunsch vor dem Aufwand zurückschrecken, steht außer Zweifel. Es wäre dringend notwendig und ein feministisches Signal, Frauen diese Torturen zu ersparen und ihnen die Entscheidungsfreiheit zu überlassen. „Du wirst allein gelassen“, sagt die gebürtige Deutsche Lisa Marx, 39, die seit mehreren Jahren in Österreich lebt, aber sich dem Social-Freezing-Prozess in Berlin, wo ihre Familie wohnt, vor zwei Jahren unterzogen hat. „Frauenärzte klären dich nicht auf, dass das eine Option sein könnte. Informationen zum Eingriff findest du kaum im Netz.“ Ihr damaliges Alter von 37 Jahren war zwar schon ein später Zeitpunkt für diesen Schritt, aber ihr AMH-Wert war „sehr gut“. Lisa, die seit rund drei Jahren Single ist, geht sehr offen mit ihrem Thema um: „Für mich war das nie ein Tabuthema. Ich habe auch all meinen Freunden erzählt, warum ich öfter nach Berlin reise. Mir ist wichtig, dass viel mehr Aufklärungsarbeit passiert. Ich habe kürzlich wieder studiert und sage allen jungen Frauen, was sie da für Möglichkeiten hätten. Und dass natürlich in den frühen Zwanzigern eigentlich die beste Zeit dafür wäre.“ Ohne die Hilfe der Info- und Vermittlungs-Plattform Onni Care (siehe Interview) hätte sie sich bei den Recherchen um einiges mehr geplagt: „Logistisch ist das alles ein irrer Aufwand. Und wenn du allein auf dich gestellt bist, wirst du in den Kinderwunschkliniken auch oft so durchgeschoben. Ursprünglich dachte ich mir: Du fährst von Österreich nach Tschechien, das liegt nahe. Aber als Single-Frau wirst du dort nicht genommen, da brauchst du einen Partner. Was mir übrigens auch in München bei einer KinderwunschKlinik passiert ist – ohne Mann erteilte man mir per Mail einen abschlägigen Bescheid. Auch dort, wo Social Freezing ohne medizinische Indikation erlaubt ist, sind die Gesetzeslagen sehr unterschiedlich.“ Am Ende entschied sich Lisa für Berlin, trotz höherer Kosten, auch weil dort ihre Familie wohnt: „Du musst tatsächlich beim ersten Behandlungszyklus in einem Monat drei Mal vor Ort in der Klinik sein. Für Menschen, die Vollzeit arbeiten, eine schwierige Sache. Und kostenintensiv, wenn man jedes Mal ins Ausland reisen muss.“ Dennoch möchte sie einen zweiten Zyklus angehen, um jedes Risiko auszuschließen, dass es nicht klappen könnte: „Inzwischen habe ich circa 9000 Euro investiert. Ich sage immer: Ich kann mir keine Eigentumswohnung kaufen, weil ich muss ja meine Eier einlagern.“