Veronika Fileccia: Die Klofrau im Burgtheater

Sie geht selten ins Theater, denn sie macht sich ihr eigenes. Früher strippte Veronika Fileccia in den besten Nachtclubs Europas, seit fast 20 Jahren ist sie Klofrau im Burgtheater und eigentlich ein eigenes Stück wert.

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Dieser Artikel erschien im profil Nr. 45/2015 vom 02.11.2015.

Ein wirklich schöner Zufall, dass ausgerechnet heute der internationale Händewaschtag ist. Da macht die Arbeit gleich dreifach Spaß. "Wissen S' das?", fragt Veronika Fileccia eine verdutzte Theaterbesucherin, die ihre Hände über dem Waschbecken akribisch mit Seife massiert. Die lässt die Bedeutung des Datums leider kalt, sie schüttelt nur den Kopf. Eine andere betritt jetzt Veronikas weiß gekacheltes Imperium, will aber angesichts der kleinen Schlange schnurstracks wieder kehrtmachen. "Gehen S'besser", pfeift Veronika ihren Gast besorgt zur Raison, "es gibt keine Pause, und das Stück dauert zwei Stunden." Da kriegt die Dame einen Kleines-Mädchen-Blick und sagt fast trotzig: "Unter Druck kann ich aber nicht." Veronikas Animations-Angebot, das Wasser in den Nebenanlagen rauschen zu lassen, schlägt sie dann auch noch aus.

Stücke ohne Pause haben ihre besonderen Tücken. Und Pinkelstrategien sind eben auch oft eine Charakterangelegenheit.

"Es ist immer das Gleiche", tadelt sie. "Die, die glauben, sie können's eh zamzwicken, stehen aber dann, wenn's aus ist, wieder mit dem puterroten Gesicht in der Schlange."

Mein Klo ist eben was ganz Spezielles, deswegen hab ich auch meine Fans und meine Stammgäste

Neben ihrem Charme versprüht Veronika jetzt Raumspray, Duftnote "Blume"; auch "Zitrone" hätte sie im Programm, aber Abwechslung muss sein. Der Duft ist Kürprogramm, auch die "Klozuckerln" in den Muscheln gehören nicht zur Serienausstattung des Burgtheaters: "Die zahlt mir genau niemand. Aber mein Klo ist eben was ganz Spezielles, deswegen hab ich auch meine Fans und meine Stammgäste."

Ja, natürlich hat sie Stammgäste. Die kommen manchmal extra von der ganz anderen Seite des Theaters den weiten Weg her, weil "ich eben die Vroni bin". Da gibt es ein großes Miteinander und persönliche Beziehungen: "Meine lieben Abo-Damen wissen sofort, wenn ich was abgenommen hab oder net so gut drauf bin. Die machen mir auch Komplimente. Wir sind hier Privatsphäre. Hier darf man auch ungestraft sagen, dass ein Stück manchmal ein bisserl ein Schas ist."

Es kann aber auch vorkommen, dass das Missfallen über einen Abend nach dem kleinen Geschäft bei der unbekannten Laufkundschaft groß raus muss: "Manchmal fliegen dich die Leut richtig an, wenn ihnen was so gar nicht gefallen hat. Dann sag ich: Entschuldigung schon vielmals, aber ich hab meines Wissens nicht mitgespielt."

Sie trägt einen pipifeinen blauen Anzug, weiße Bluse, darüber einen Arbeitsmantel. Seit 19 Jahren ordiniert Veronika Fileccia in den Toiletten des Burgtheaters und hat dabei eine Universitätsausbildung über menschliches Verhalten mit einem besonderen Augenmerk auf die psychologische Aussagekraft von Handtaschen erworben: "Die, die was mit ihren Gucci- oder Futschi-Taschen daherkommen, die sind oft nicht die saubersten." Am ordentlichsten hinterlassen werden die Häuseln von denen mit den großen Oma-Handtaschen.

Die Gucci-und Prada-Weiber lassen dir oft nur ein Kupfermünzerl in den Teller fallen

Die Art der Tasche steht auch in engem Zusammenhang mit der Trinkgeldfreudigkeit ihrer Besitzerinnen: "Die mit den Oma-Kofferln, die geben auch was her. Die Gucci-und Prada-Weiber lassen dir oft nur ein Kupfermünzerl in den Teller fallen. Und von den Jungen, von denen kriegst gar nix. Die haben das nimmer beigebracht kriegt von ihrer Mama, dass man einer Klofrau was gibt."

Weil es sich sonst mit dem Einkommen nicht so richtig gut ausgeht, arbeitet sie noch als Hausbesorgerin in ihrem Wohnhaus in Penzing: "Ich kauf mir gern so Sachen, die sonst keiner hat, in so kleine Boutiquen. Und im Urlaub, da hau ich auch alles am Schädel. Ich hau's Geld raus, wenn ich eins hab; weil wenn ich keins hab, kann ich's nicht raushauen". Das hat eine Logik, der man sich kaum entziehen kann.

Im Akademietheater wird ja gerade in Werner Schwabs "Die Präsidentinnen" kein so besonders hübsches Bild von ihrem Berufsstand gezeichnet: Da brettern drei Klofrauen in hervorragender Besetzung (Regina Fritsch, Barbara Petritsch, Stefanie Dvorak) als kleinfaschistoide, gemeingefährliche Monstren über die Bühne. Dieses Stück interessiert unsere Hygiene-Präsidentin weniger. Das letzte, das sie überhaupt besucht hat, ist "auch schon wieder eine ziemliche Weile her." Was war das schnell? Ahja: "Ein Shakespeare, der aber sehr lustig war."

Tragödien sind immer schlecht fürs Trinkgeld, aber lange Tragödien der echte Tod

Ein klotechnisches Sorgenkind ist eindeutig der "Hamlet", Andrea Breths knallharte Fünf-Stunden-Produktion : "Tragödien sind immer schlecht fürs Trinkgeld, aber lange Tragödien der echte Tod. Da sind die Leut' völlig erschlagen von den vielen Morden, und der Einser-Schmäh ,Gehen oder nicht Gehen - das ist hier die Frage' geht in solchen Zuständen auch nimmer eine." Komödien sind das verlässlichste Genre für einen passablen Münzhaufen im Topf.

Die Schauspieler kennt sie natürlich alle, wenn auch nicht alle mit Namen. Da wird gegrüßt ("Bussi hin, Bussi her - weißt eh.. "), die sind ja alle "sehr extra - extravagant, extravertiert, exzentrisch, aber das muss wohl so sein". Ihr Liebling ist die Maria Happel: "Das ist a ganz a G'miartliche." Die Minichmayr sei früher auch "leiwand" gewesen, jetzt aber leider "ein bisserl übernatürlich geworden und kann nimmer grüßen, eine Diva halt". Auch wurscht. Denn in Wahrheit war Veronika Fileccia, Tochter einer Hausmeisterin und eines Arbeiters aus Wien- Penzing, schon auf ganz anderen Bühnen ein Star: "Und die waren größer als die von dem komischen Theater da."

Sie lacht, zupft sich die blonden Stacheln ihrer kurzen Punk-Frisur zurecht und schmettert noch einmal eine Salve der Duftnote "Blume" in ihren Zuschauerraum. Sie hat einen Packen Fotos dabei - manche sind in ornamentgeschmückten Foldern besonders sorgfältig verstaut. Die Bilder zeigen eine junge Kurvengöttin mit frechem Blick und Feder-Verrücktheiten auf dem Kopf, petits-riens von goldenem Glitter, orientalischen Pluderhosen-Extravaganzen, darunter auch einige Motive, in denen der bare Busen blitzt: "Ja, man kann sagen, dass ich an schönen Körper g'habt hab und noch immer hab." Nur der Busen habe nach einer Brustkrebsoperation eine Weile "ausgeschaut wie eine eingetretene Wirtshaustür". Aber jetzt ist alles gut, nur zur Kontrolle muss sie öfter.

Ihr Spezialgebiet in der Nachtclub-Ära war das wenig Interpretationsspielraum zulassende Kreisen "meines sehr gebärfreudigen Beckens": "Das hat mir die Frau von an Nachtclubbesitzer in Beirut beigebracht. Schau her - das musst machen, so wie wenn'st guten Sex hast."

Sie schließt die Augen und kreist mit den Hüften, während drinnen im Dunkel der Burg das "Antigone"-Blutbad mit Vollgas und lärmverstärkt seinen Lauf nimmt. Man kann sich einen Moment lang sehr gut vorstellen, dass "viele, viele Männer mich einfach nur umbringen wollten, weil die so eifersüchtig waren".

Es gab Schlägereien ihretwegen in den Discos, einmal ist ihr "so ein narrischer Moslem" mit einem Krummsäbel bewaffnet hinterhergefahren, eine Messernarbe hat sie von dem bis heute: "Wenn ich da nicht zu einem Diplomaten ins Taxi geflüchtet wär, warat ich heute hin."

Ich bin in Beirut oder Aleppo und in ganz Jordanien immer nur wie eine Prinzessin behandelt worden

Nun ja - sie war ja jahrelang das Herzstück der "Diamond Girls", einer Revuetanz-Truppe, die quer durch Europa und den Nahen Osten auf den Bühnen der besten Nachtclubs das Tanzbein und "noch ganz andere Sachen" geschwungen hat. Denn für den allerersten Kindheitstraum von der Ballerina waren die Eltern einfach zu arm gewesen: Mit 14 ist sie von zu Hause abgehaut, und da wäre eigentlich nur die Möglichkeit geblieben, "sich zu verkaufen", um zu überleben: Und da hat sie dann eben zu tanzen begonnen. Zuerst in der "Halleluja"-Show in Wien und dann auf internationalem Niveau bei "die Girls". Und wenn sie jetzt, angesichts der vielen Flüchtlinge, immer das Gelaber von der Frauenfeindlichkeit der Moslems hört, kann sie nur sehr laut antworten: "Ihr seid's ja alle ein bissl deppert: Ich bin in Beirut oder Aleppo und in ganz Jordanien immer nur wie eine Prinzessin behandelt worden."

Gefürchtet hat sie sich nie vor einem Mann: nicht vor dem Krummsäbel-Heini, nicht vor dem "ganz echten" Scheich, der ihr den 19-jährigen Sohn zur zwischengeschlechtlichen Weiterbildung anvertraut hat, nicht vor dem Typen, der sie in einen Harem verchecken wollte: "Du bist ja wo ang'rennt, habe ich dem gesagt. Was mache ich bitte in einem Harem? Da haben doch die anderen Weiber null Chance gegen mich." Schepperndes Lachen, noch eine Salve "Blume" für das Publikum.

Ja, ja, die Vroni, die war damals "jung, dumm und sehr gefräßig". Vorschriften hat ihr keiner machen dürfen, auch nicht der alte Assad, weil theoretisch hat man damals nur zwei Stunden am Abend rausdürfen, dann war Ausgangssperre: "Na, ich nicht faul, habe mir dann sofort was mit einem von der Fremdenpolizei ang'fangt - so einem kleinen, bladen Araber. Der hat dann antreten dürfen hinten in der Limo, der Chauffeur hat sich umgedreht, und schon war er auf mir und hat losgelegt wie der Osterhase. Brrr - mir graust's noch bis heute. Aber ich war draußen, so lange ich wollte." Aber nicht, dass jetzt der Irrglauben entsteht, dass sie leichtes Futter nach jeder Show gewesen sei - nein, nein, da haben manche schon warten müssen, manchmal über Wochen.

Am Schluss war ich die Einzige, die übergeblieben ist, alle anderen haben sich verliebt

Selbstredend, dass sie auch der Bühnenmotor der Truppe war. Mit "zwei, drei Trankeln - meistens Gin 'n'Tonics oder Whisky, denn Lampenfieber hab ich immer gehabt" - im Vorfeld: "Wenn die anderen Madeln lätschert draufwaren, habe ich sie immer mitgerissen. Am Schluss war ich die Einzige, die übergeblieben ist, alle anderen haben sich verliebt. Na gut, dann hat die Vroni halt als Solistin weitergemacht. Denn ich, ich hab meinen Vertrag erfüllt. Ich hab mir in der Türkei ein Bauchtanzkostüm um 7000 Plärrer machen lassen und die Show allein geschupft. Na, was denn!"

Mein Gott, seien das schöne Zeiten gewesen! Fünf Kilo Gold hat sie mindestens in Form von Schmuckstücken eingeheimst, aber leider sind ihr die dann später in einem Hotelzimmer in Italien gestohlen worden.

In Italien hat sie dann auch im Dunkel eines Nachtclubs ein Feuerzeug gezückt und auf einmal in die "schönsten blauen Augen" geschaut, die man sich nur vorstellen kann. Diesen blauen Augen hat sie ihren prächtigen Nachnamen zu verdanken und ihren Sohn, den "Rosi" (die Kurzform von Rosario), der heute im Burgtheater als Billeteur arbeitet. Zehn Jahre lang hat die Ehe mit dem sizilianischen Polier Mario Fileccia gedauert, "gelebt haben wir in der Toskana". Anfangs war da Harmonie, ein Verständnis, ein Traum, ein Märchen: "Dabei hätt' ich wirklich viele Millionäre und alles haben können, aber ich wollte nur ihn. Das war mein Seelenverwandter." Und dann leider das Übliche: "Er hat mich zu betrügen angefangen und dann auch noch die Hände erhoben... Ja, er hat mich geschlagen. Und so was macht niemand, aber niemand, mit der Veronika." 1997 Flucht nach Wien: "Ich habe einfach keine Liebe mehr für ihn übergehabt, aber heute weiß ich: Er, nur er war meine einzige wirklich große Liebe!" Und dann kamen die "schiachen" Geschichten:

Klofrauen haben mich immer fasziniert, weil das Schönste ist doch, wenn man mit Menschen zu tun hat

Er hat das Kind entführt, es folgten Gerichtsprozesse, der ganze Schas. Sieben Jahre konnte sie den "Rosi" nur in den Sommerferien sehen, mit zwölf ist er wieder zu ihr nach Wien gekommen. Gott sei Dank kam damals der Job im Burgtheater. Und das wird ihr jetzt keiner glauben, aber sie schwört: "Als Kind hab ich genau zwei Berufsträume gehabt: Tänzerin und Klofrau. Klofrauen haben mich immer fasziniert, weil das Schönste ist doch, wenn man mit Menschen zu tun hat. Und außerdem sein eigener Chef ist." Sie springt auf, macht eine großräumige Conférencier-Geste und ruft: "Und hier bin ich - von den Sternen zu den Ställen."

Kurzfristig hat sie einmal überlegt, sich einen Übertraum zu verwirklichen - "ein mobiles Klo, das nur mir g'hört. Von dem ich dann von Festl zu Festival toure. Weil i steh nämlich sehr auf Reggae und den Bob Marley. Und rauch auch ganz gern einmal einen Tscholi - aber nur aus medizinischen Gründen. Meine Gelenke sind hin vom Tanzen, und der Orthopäde hat mir geraten, dass ich weiter kiffen soll gegen die Schmerzen. Aber das Geld für so ein Mobilhäusl hab ich einfach nicht."

Wir nützen die Zeit bis zum Ende der Vorstellung, um ein paar Sprudelgetränke im "Vestibül" zu kippen. Bei einem Facebook-Spiel wurde ihr für 2024 noch einmal eine große Romanze vorausgesagt. Veronika, heute 54, möchte die Zeit verkürzen, sie ist auf mehreren Internet-Portalen registriert, sie wird sich auch bei der Toni Spira als Kandidatin bewerben: "Ich brauch eigentlich keinen Mann fürs Bett, sondern einen zum Leben. Keinen Osterhasen, sondern mehr so einen Weihnachtsmann, mit dem man auch ein bisserl kuscheln kann."

Putzfrau? Bin ich deppert? Ich brauch die Leut, und die Leut brauchen mich

Bis jetzt waren nur Rohrkrepierer dabei: "Das Problem in dem Land ist, dass sich die Männer überhaupt nimmer bemühen. Das ist eine echte Katastrophe. Deswegen fahr ich so gern auf Kreta. Dort hab ich noch Verehrer - alte, mittlere, aber a junge. Die geben mir das Selbstwertgefühl, das ich brauch. Da bin ich so gut drauf, dass ich mitten am Hauptplatz zum Sirtaki-Tanzen anfang - ich tanz ja alles Salsa, Samba, Flamingo na haha Flamenco natürlich. Wenn ich nur bei einer Disco vorbeigeh, schüttelt's mich schon innerlich, weil ich so gern tanz."

Dass sie Klofrau ist, verheimlicht sie keinem: "Da ist doch wirklich nichts zum Schamen dabei. Ich liebe meinen Beruf. Irgendwann hat mir einer vom Publikumsdienst angeboten, dass ich als Putzfrau arbeiten könnt'. Putzfrau? Bin ich deppert? Ich brauch die Leut, und die Leut brauchen mich. Wir haben immer ein Riesentheater!"

Veronika Fileccia ordiniert sechs Tage die Woche im Burgtheater, Parkett rechts.

Angelika   Hager

Angelika Hager

leitet das Gesellschafts-Ressort