"Wollt ihr Kinder Pingui?"

Wie viel Werbung müssen Kinder aushalten?

Kinder. Wie viel Werbung müssen Kinder aushalten?

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Von Salomea Krobath

Sieben Uhr früh. Simon* sitzt beim Frühstück und löffelt müde seine Lions-Cerealien. Die Verpackung gratuliert ihm, soeben einen EXKLUSIVEN Code zum Spielen des Online-Games "Angry Birds“ erworben zu haben. Das kommt gut an - denn Angry Birds sind "voll geil“.

Simon ist ein aufgeweckter Zweitklässler eines Bundesgymnasiums. Sein sommersprossiges Gesicht wirkt noch kindlich, eine gewisse Coolness im Benehmen lässt allerdings langsam die Vorpubertät erahnen. Er macht sich für die Schule bereit und zieht seine grüne Sweaterweste an. Den Anorak lehnt er ab. Er bevorzugt sportliche Kleidung, die ihm Bewegungsfreiheit beim Fishboard-Fahren gestattet.

Nach der Schule treffen wir Simon wieder: Er steht inmitten einer Gruppe Jungs, deren Gesichter tief in ihre Handys versunken sind. "Welches Handy hast du?“, lautet die obligatorische Frage - die Turnschuhmarke ist in der Clique offenbar kein großes Thema. Simon teilt stolz mit, dass sein Samsung S4 um einiges besser sei als das neue iPhone seines Freundes. Merke: Qualität geht vor Marke. Nach der Schule stehen meist Fußball oder Hausübungen auf dem Programm. Heute entfällt jedoch beides, und so flanieren Simon und sein Freund Kasper* zu ihrem Lieblingsgeschäft Libro. "Hier schau ich mir manchmal die brutalen Spiele an“, grinst Simon mit schuldbewusstem Blick. "Destiny Sky“ sei ein Shooter-Game, "Diablo“ ein "Hack’n’Slay“ und "Thief“ habe viel mit "Jump’n’Run“ zu tun - Fachausdrücke sprudeln nur so aus den Mündern der beiden Buben, sie sprechen plötzlich viel schneller, aufgeregter, verhaspeln sich angesichts der Ekstase, die das Regal vor ihnen verheißt. Die Jungs kennen Inhalt und Aufgabenstellung jedes einzelnen Spiels - auch jener, deren Altersfreigabe das ihre weit überschreitet. Grund dafür: Viele der Online-Spiele und Apps, die neuerdings das Zentrum der Freizeitgestaltung darstellen, verpflichten ihre Benutzer zur Betrachtung eines Werbetrailers, bevor das eigentliche Spiel überhaupt startet. Die neuesten Spiele ihrer Altersklasse konnten die Buben vor zwei Wochen testen, erzählen sie mit glühenden Wangen. An der "Game City“ im Wiener Rathaus - einem Riesenevent bei freiem Eintritt - beteiligten sich Marken wie Red Bull, Megacard, Ben&Jerry’s und eben auch Libro. Hier werden diese Spiele nun feierlich präsentiert, ein Banner appelliert in großen Lettern: "Sei der Erste! Gleich die Top Games vorbestellen!“ Das Verbot einer direkten Kaufaufforderung an Kinder wird hier zumindest kreativ interpretiert.

Aber hauptsächlich, so Simon und Kasper, spielen sie ohnehin mit Apps, die sie gratis aus dem Internet herunterladen. Das ist nicht immer ungefährlich: "Mein Bruder hat 100 Euro in einem Nachmittag verspielt. Er war damals vier“, erzählt Kasper. "Danach hat mein Vater mit uns geredet, und jetzt achte ich darauf, wie viel ich ausgebe.“

16 Uhr: Aufkommender Hunger verlangt nach einem kurzen Abstecher in den Supermarkt. Im Gravitationsfeld des Süßigkeitenregals verlangsamen die Buben ihren Schritt. Alle jugendrelevanten Schokosnacks - von Kit-Kat bis Milka - liegen auf Augenhöhe, das teure Edelbitter- und Pralinensortiment zwei Köpfe weiter oben. Letztlich fällt die Wahl auf eine Packung Oreo. "Weißt du, wie man Oreos stilhaft isst?“, fragt Simon, die Schachtel glücklich im Arm haltend. "Du meinst stilvoll?“ - "Ja, eh. Also: Man nimmt sie auseinander, schleckt das Weiße ab und tunkt den Rest in Milch.“ - "Wieso ist das stilhaft?“ - "Weiß ich nicht. So machen sie es in der Werbung

Im Kinderprogramm wird keine Werbung gezeigt, informiert der ORF. Jetzt erklärt sich auch warum: Die Elfjährigen von heute sind nicht mehr an banalen Cartoons interessiert. "Meistens schau ich so um fünf Uhr fern. Da spielt’s, Scrubs‘. Meine Lieblingsserie ist aber, Big Bang Theory‘“, erklärt Kasper auf dem Heimweg. "Die spielt um sieben“, erläutert Simon. Er kennt das ORF-1-Früh-abendprogramm auswendig. Wir erwischen gerade noch die letzten Minuten von "Scrubs“. Nachdem das Jugendprogramm schon von wesentlich jüngeren Zuschauern bevorzugt wird, läuft nach Ende der Serie entsprechend kindergerechte Werbung: Ein animiertes Schokobon tanzt durch eine Wohnung, eine Werbungs-Mutter trällert fröhlich: "Wollt ihr Kinder Pingui?“ - "Jaaa!!“, rufen Simon und Kasper mit den Werbungsbuben im Chor.

*Namen von der Redaktion geändert