Wiener Linien: Das Kokain-Geständnis

Affäre: Wiener Linien

Fendrich hat nicht nur die Öffentlichkeit schockiert

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Humor ist einem Diktum des weltberühmten Cartoonisten Mordillo zufolge die Zärtlichkeit der Angst. Nach der Schreckensstarre, welche die Veröffentlichung von Rainhard Fendrichs „Kokain-Beichte“ gegenüber der Polizei im Magazin „News“ vergangene Woche zunächst auslöste, macht sich in der einschlägigen Szene bereits wieder Galgenhumor breit. Witzchen wie „Rüssel statt Schüssel“, „Ferrari in der Nas’n“, „Entgleisung der Wiener Linien“ und „Austro-Kokser gegen Euro-Fighter“ kursieren in Fendrichs früheren Stammlokalen wie dem „Inkognito“ bei der Volksoper oder dem Bar-Restaurant „Kanzleramt“, in dem auch Politiker wie Wolfgang Schüssel, Jörg Haider und Michael Häupl regelmäßig verkehren. Auch Schüttelreime sind schon im Umlauf: „Als der Erfolg der Lieder wich, wurde Fendrich widerlich.“

Carlo Bahrer, Betreiber der Austropop-Kantine „Inkognito“, hat indessen sämtliche Fendrich-Fotos von den Wänden seines Lokals entfernt. Im „Kanzleramt“ sucht man Business-as-usual-Betrieb zu simulieren. Der Chef des Lokals, Peter P., sitzt seit vergangener Woche hinter Gittern. Gern hatte er sich in seinem Lokal als Intimus des Kanzlers inszeniert und oft großspurig die Floskel „Das werd ich alles mit dem Wolferl besprechen“ in die Menge geworfen.

Insgesamt hatte Fendrichs großflächiges „Speiben“ (so der Szenejargon für Fendrichs Preisgabe der Namen von mutmaßlichen Kokain-Dealern und -Abnehmern an die Suchtgiftfahnder am 4. April in Wien) sechs Festnahmen zur Folge: Vergangene Woche wurden neben dem Gastronomen Peter P. die mutmaßlichen Dealer Helmut M., Thomas F., Wolfgang I., der Schneider Bruno Z. (unter anderem textiler Ausstatter eines Wiener Privatsenders) sowie Manfred B., in der Szene auch als „Klein-Fredl“ bekannt, festgenommen. Fred L., der auch unter dem Spitznamen „Chivas“ rangiert und Betreiber eines Cafés im Wiener Börseviertel ist, soll zurzeit „im Schatten“ sein, also noch flüchtig, sich jedoch laut profil-Informationen diesen Montag der Polizei stellen. Bei Redaktionsschluss am vergangenen Freitag war lediglich Bruno Z. wieder auf freiem Fuß.

Kokain-Formel. Über das drohende Strafausmaß für die von Fendrich Angeschwärzten kann nur spekuliert werden. „Man kann von der Formel ausgehen, dass ein Kilo weitergegebenes Kokain in etwa mit einem Jahr Haft gleichzusetzen ist“, sagt der Wiener Strafverteidiger Nikolaus Lehner, „wobei es natürlich dabei auch auf die Intensität des Stoffs und etwaige Vorstrafen ankommt.“ Keine guten Aussichten also für den 63-jährigen „Klein-Fredl“, der auch gefälschte Rolex-Uhren und echte Dior-Anzüge in seinem Handelsrepertoire geführt und die Frage nach der Herkunft seiner Waren gern mit den Worten „Is’ von an Lastwagen g’fallen“ beantwortet haben soll. Laut Polizeiprotokoll meinte Fendrich, dass der mutmaßliche Dealer sich allein vom Umsatz mit dem Austropop-Star „einen Ferrari hätte kaufen können“. Kokain kostet für die Zwischenhändler heute in der Regel 40 Euro und wird um rund 100 Euro pro Gramm an den Direktabnehmer weiter verdealt. Fendrichs Befreiungs- und Rundumschlag löste in der Szene dem Vernehmen nach nicht nur Panik, sondern auch Empörung aus – nicht zuletzt deshalb, weil Fendrich nach seinem Geständnis über einen Monat lang weiter in jenen Kreisen verkehrte, in denen er teilweise auch den von ihm Angeschwärzten über den Weg lief. Den mittlerweile inhaftierten „Klein-Fredl“ etwa hatte Fendrich am 5. April, einen Tag nach der polizeilichen Einvernahme, mit einem Backstage-Pass für sein Konzert in der Wiener Stadthalle versorgt und hinter der Bühne mit „Bruderküssen“, so Augenzeugen, bedacht. Auch die Lokale „Kanzleramt“ und „Inkognito“ soll Fendrich nach dem 4. April mehrfach besucht haben. Der bei der Polizei seit Langem unter Beobachtung stehende „Klein-Fredl“ zählte seit mehr als zwanzig Jahren zu Fendrichs engstem Bekanntenkreis. Er war mit Fendrich gemeinsam auf dessen Schiff vor Mallorca, als Andrea Fendrich Anfang 2003 ihrem Noch-Ehemann per SMS die Botschaft „Ich verlasse dich“ zukommen ließ. In einem mittlerweile legendären ATV-Interview nach der Trennung erklärte Fendrich, dass er sich in diesem Moment am liebsten einen Anker umgehängt und ertränkt hätte. Der (vor laufender Kamera namentlich erwähnte) Freund Fredl habe ihn jedoch davor bewahrt, indem er ihn mit dem Satz „Bitte nicht! Wir brauchen den Anker noch!“ zum Lachen gebracht habe. Manfred B., so der bürgerliche Name von „Klein-Fredl“, zählte auch zu jenen Auserwählten, denen Fendrich seine im vergangenen Februar erschienene CD „Hier und Jetzt“ schon vorab auf Mallorca präsentierte. Als die bereits von der Darbietung ermüdeten Gäste nach Erfrischungen heischten, wollte Fendrich wissen, ob man sich noch ein gesprochenes Poesiestück auf dem Album gemeinsam anhören wolle. In das verlegene Schweigen der Menge platzte „Klein-Fredl“ mit der Ansage: „Na guat – jetzt is’ a schon wurscht.“

Ermittlerbluff. Der Wiener Rechtsanwalt Werner Tomanek, zu dessen Mandanten der inzwischen wieder auf freien Fuß gesetzte Bruno Z. und der bei Redaktionsschluss noch flüchtige „Chivas“ zählen, bezeichnet die Tatsache, dass Fendrichs Polizeiakt dem Magazin „News“ zugespielt wurde, als „eine unglaubliche Sauerei, denn es handelt sich hier um klaren Amtsmissbrauch und Verrat des Amtsgeheimnisses“. Tomanek will deshalb Anzeige gegen unbekannt erstatten.

Fendrichs Informationswilligkeit wäre laut Tomanek von keinerlei strafmildernder Notwendigkeit gewesen: „Er muss einem Bluff der Ermittler aufgesessen sein. Als Konsument passiert ihm gar nichts – außer dass er auf das Augenlicht eines Drogentherapeuten schwören muss, dass er es nie wieder tun wird. Und der Therapeut dann womöglich blind wird.“

Reine Konsumenten, aber auch jene, „die nicht gewerbsmäßig weitergeben“, also einladen, fallen unter die gesetzliche Praxis „Therapie statt Strafe“. Abhängigen wird seitens des Staats eine Therapie ermöglicht, die Anzeige für diesen Zeitraum „ruhend“ gestellt. Wenn die Behandlung nicht abgebrochen und in zwei Jahren kein Rückfall amtlich wird, gilt die Causa als erledigt – ohne Vorstrafe. Andernfalls „droht eine Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder eine Geldstrafe bis zu 365 Tagsätzen, die sich von zwei Euro bis 500 Euro im Höchstfall belaufen können“, erklärt der Wiener Rechtsanwalt Nikolaus Lehner. Im Höchst- und Rückfall müsste Fendrich somit 182.500 Euro entrichten.

Die Aufbringung dieser Summe könnte Rainhard Fendrich durchaus Mühe bereiten. Fendrichs Ex-Manager Herbert Fechter kommentiert die Gerüchte über Fendrichs angeblich alles andere als rosige finanzielle Situation mit einem anschaulichen Rechenbeispiel: „Um bei einer Tournee Geld zu verdienen, müssen 2500 bis 3000 Leute (pro Konzert, Anm.) da sein. Fendrich hatte in der Stadthalle nicht mehr als 500. Somit kann ich mir nicht vorstellen, dass er damit irgendetwas verdient. Sein letztes Album bekam Gold, was 15.000 verkauften Tonträgern entspricht. Zu meiner Zeit hatte er Dreifach-Platin (90.000 verkaufte Tonträger, Anm.). Tantiemen können’s auch nicht bringen: Er wird kaum mehr gespielt.“

Die von Fendrich gegenüber der Polizei mit 15 Jahren veranschlagte Zeit seines regelmäßigen Kokain-Konsums wird von einem früheren Weggefährten, einem Ex-Gastronomen im Wiener Rudolfsplatzviertel, entschieden relativiert: „Wahr ist vielmehr: Es sind 25 Jahre.“ 1981 stand Fendrich im ersten Karrierezenit: „Strada del Sole“ avancierte zum Sommerhit, das dazugehörige Album trug den aus heutiger Sicht bedeutungsschwangeren Titel „Und alles ist ganz anders ’worden“.

Vier Jahre später fiel der Name Fendrich zum ersten Mal öffentlich im Zusammenhang mit Kokain. 1985 wurde Rainhard Fendrichs heute 52-jähriger Bruder Harald wegen Kokain-Handels verhaftet und zu einer Geldstrafe von 250.000 Schilling und acht Monaten Freiheitsentzug verurteilt. Harald Fendrich benannte unter anderen auch seinen Bruder Rainhard als Abnehmer. Dieser erklärte damals, „eine Zeit lang von ihm genommen zu haben“ – ohne rechtliche Konsequenzen für den Austropop-Star. Die Geldstrafe wurde in der Folge indirekt von Rainhard Fendrich bezahlt, der den Bruder in seinem Musikverlag „G-Dur-Verlag“ offiziell anstellte und ihm die Strafraten als Gehalt zukommen ließ. „Fendrichs Bruder war damals mit hoher Wahrscheinlichkeit das Bauernopfer“, sagt Herbert Fechter. Harald Fendrich, heute Musikproduzent in Langenzersdorf, hat seit fünf Jahren laut eigenen Angaben keinerlei Kontakt mehr zu seinem Bruder: „Rainhard hat sich vor fünf Jahren aus meinem Leben verabschiedet. Ich habe seither kein Wort mit ihm gesprochen. Nicht einmal telefonisch – mittlerweile betrachte ich ihn als einen entfernten Verwandten.“ Der Entfremdungsprozess habe jedoch schon vor dem endgültigen Bruch eingesetzt: „Der Rainhard hat sich schon vorher auf eine Weise verändert gehabt, die es mir unmöglich machte, ihm noch nahe zu sein oder ihn zu verstehen.“

Weglegungen. Das Prinzip ebenso abrupter wie unversöhnlicher Freundesweglegung zieht sich seit Jahren durch Fendrichs Biografie. Nach einer Steueranklage gegen seinen damaligen Manager Herbert Fechter erstattete der Sänger 1995 Selbstanzeige und verklagte seinerseits Fechter auf Schadenersatz (siehe Zeitleiste). „Er trat noch auf mich hin, als ich eine Anzeige hatte“, beklagt sich Fechter, in Businessfragen auch nicht immer zimperlich, heute. „Das ist nicht mein Stil. Ich trete nicht auf Tote.“ Die Freundschaft mit der Schauspielerin Krista Stadler, die mit Fendrich das (später spektakulär gefloppte) Musical „Wake up“ konzipiert hatte, zerbrach nach 22 Jahren. Als Stadler Honoraransprüche geltend machen wollte, die ihr nach einem gerichtlichen Verfahren in der Höhe von 19.000 Euro zugesprochen worden waren, beendete Fendrich den Kontakt. Mit dem Journalisten und Moderator Dieter Chmelar, der jahrelang als Autor für die damals von Fendrich erfolgreich moderierte TV-Show „Herzblatt“ gearbeitet hatte, brach der Austropop-Star nach einem ausführlichen ATV-Interview Anfang 2004, in dem Fendrich keine Facette der Weinerlichkeit ausgelassen hatte. „Fendrich hat nachher behauptet, ich hätte ihn reingelegt“, sagt Chmelar. „Dabei hatte ich nur ein Mikrofon in der Hand und keine Waffe. Zwischen uns herrscht seit fast zweieinhalb Jahren Eiszeit.“

Wahnhafte Symptomatik. Dass Rainhard und Andrea Fendrich nach 19 Jahren Ehe nur mehr via die Medien miteinander kommunizieren, ist sattsam bekannt. Inzwischen gibt es auch keinerlei Kontakt mehr zwischen Fendrich und seinem Sohn Lucas. Seiner ehemaligen Schwiegermutter gab Fendrich auf Ö3 im Jänner 2006 die Schuld am Tod seiner 1989 verstorbenen Tochter Theresa-Valentina. Regelmäßige Entgleisungen am Boulevard gehörten für den Mann, der geschätzte 1,7 Millionen Tonträger absetzte und für den in Österreich bis weit in die neunziger Jahre Doppel- und Dreifach-Platin bei Alben an der Tagesordnung waren, inzwischen zur PR-Strategie. Fendrich gilt nach Falco und ex aequo mit Wolfgang Ambros, mit dem Fendrich 1984 die Duett-Single „’s Naserl“ veröffentlichte, als erfolgreichster Popstar des Landes.

Eine intensive, wahnhafte Symptomatik mit partiellen Realitätseinschränkungen ist Teil des Suchtbilds“, beschreibt Gabriele Fischer, Leiterin der Suchtforschung an der Wiener Medizinischen Universität, die Folgen von Kokain-Abhängigkeit. „Hinzu kommen mangelnde Kritikfähigkeit und eine starke Reduzierung der kognitiven Leistungen. Kokain wirkt zelltoxisch und zerstört auch Gehirnzellen.“Am Mittwoch vergangener Woche beendete Fendrich eine öffentliche Stellungnahme auf seiner Homepage mit dem Satz: „Abschließend möchte ich bemerken, dass ich nur mir allein geschadet habe und keinerlei andere Personen zu Schaden gekommen sind.“

Auf seiner Homepage kündigt er außerdem für den 17. Juli ein Spontankonzert unter dem Titel „Rainhard and friends“ an. Es dürfte, meint ein früherer Bekannter zynisch, ein Auftritt werden, „der in einer Telefonzelle stattfinden kann“.

Von Angelika Hager
Mitarbeit: Sebastian Hofer