Affäre Grasser

Affäre: Zahl zwei, nimm eine

Zahl zwei, nimm eine

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Als Karl-Heinz Grasser am Freitagabend im „ZiB 2“-Studio saß, standen ihm die Strapazen eines langen Arbeitstages ins Gesicht geschrieben. Am Vormittag hatte sein Kabinettschef Matthias Winkler Journalisten einige jener Zahlen serviert, die er seit Sommer vergangenen Jahres unter Verschluss gehalten hatte: die Gebarung des von ihm geführten Vereins zur Förderung der New Economy. Wenige Stunden danach war auch Karl-Heinz Grasser mit einer Liste an die Öffentlichkeit gegangen: jener der Gönner seines Sozialfonds. Grasser am Abend im ORF: „Jetzt ist alles offen gelegt.“ Alle Vorwürfe seien „ein für alle Mal entkräftet“.
Oder auch nicht.

Tatsächlich haben Grasser und Winkler am Freitag vergangener Woche mindestens so viele Fragen aufgeworfen, wie sie beantwortet haben – sowohl was die Dotierung des Fonds (siehe Kasten) betrifft als auch in Bezug auf die Finanzierung der Homepage www.karlheinzgrasser.at.

Nach einem von Winkler in Auftrag gegebenen Gutachten der Wirtschaftsprüferkanzlei Ernst & Young erhielt der 2001 gegründete Verein von der Industriellenvereinigung (IV) Spenden über 283.424 Euro.

Tatsache ist, dass der Großteil für die Erstellung der ominösen Homepage draufgegangen ist. Völlig unklar bleibt, wie es dazu kommen konnte.

Am 24. November 2000 hatte das Finanzministerium das Wiener Softwarehaus FirstInEx Internet Services AG mit der Neugestaltung seiner offiziellen Homepage betraut. Auftragswert: 50.000 Euro. Für das Unternehmen sprachen zwei gewichtige Argumente: FirstInEx-Vorstand Dieter Jandl war Grassers Schulfreund und Tennispartner. Und der Minister war damals an der FirstInEx-Muttergesellschaft YLine Internet Business Services AG beteiligt.

Noch ehe die neue Homepage tatsächlich ins Netz ging, wurde Matthias Winkler bei Dieter Jandl vorstellig und beauftragte ihn am 31. März 2001, eine Homepage für den noch jungen Verein zu erstellen. Projektvolumen: 145.000 Euro.

IV-Spende. Fast einen Monat später, am 24. April, überwies die Industriellenvereinigung dem Verein 174.414,80 Euro. Tags darauf ging die von Grassers Spezi Jandl gestaltete offizielle neue Homepage des Finanzministeriums ans Netz.

Am 12. Juli 2001 musste Dieter Jandl den FirstInEx-Vorstand verlassen. Bis heute ist nicht geklärt, in welchem Stadium sich die Homepage des Vereins zu diesem Zeitpunkt befand. Matthias Winkler ließ nun durchblicken, dass FirstInEx allenfalls „teilweise brauchbare“ Leistungen erbracht habe. Dennoch kassierte das Softwarehaus 114.163,55 Euro – obwohl das Projekt nie dem Auftrag entsprechend realisiert wurde und das Ministerium für seinen fixfertigen Internet-Auftritt des gleichen Anbieters bloß 50.000 Euro bezahlt hatte. Dass Winkler das Geld von FirstInEx niemals zurückverlangte, erklärt Grasser so: „Die Firma war damals an der Pleite.“ Das ist vornehm ausgedrückt schlicht unwahr. Tatsächlich war FirstInEx niemals insolvenzgefährdet. Die Gesellschaft existiert bis heute.

Nur wenige Wochen nach Jandls Abgang bei FirstInEx war das Softwarehaus auch Auftraggeber Winkler los. Das Mandat zur Erstellung der Homepage ging an das Wiener Beratungsunternehmen Dr. Hochegger Marketingconsulting GmbH, das unter dem Markennamen martrix auftritt. Geschäftsmann Peter Hochegger ist enger Freund des Ministers. Von einem Freundschaftspreis konnte dennoch keine Rede sein: martrix erhielt für die Finalisierung der Homepage 105.362,22 Euro. Das Projekt hat damit insgesamt 220.000 Euro verschlungen. Dazu kamen laut Ernst & Young für „Dienstleistungen“ rund um die Erstellung der Homepage noch 20.802,12 Euro für die Werbeagentur zehnvierzig. Hinter dieser steht wiederum der Grasser-Intimus und Ex-FPÖ-Generalsekretär Walter Meischberger. Viel dürfte er für sein Geld freilich nicht getan haben. Zitat aus einem Interview mit dem Magazin „Format“ vom August 2003: „Es gibt keine einzige Verbindung zwischen meiner Agentur und dieser Geschichte.“

Unter dem Strich hat Vereinsobmann Winkler 240.327,89 Euro für eine Homepage ausgegeben – der ein Gegenwert von 14 nagelneuen VW Golf oder zwei komplett ausgestatteten Elk-Fertigteilhäusern vom Typ Fortuna entspricht.

Andererseits: Winkler konnte ja aus dem Vollen schöpfen. Am 9. November 2001 stellte sich die IV mit einer weiteren Zuwendung im Umfang von 109.009,25 Euro ein.

In Summe hat der Verein zur Förderung der New Economy 283.424,05 Euro von der IV erhalten. Es hätte auch mehr sein können. Am 13. Juni 2003 waren auf dem Vereinskonto weitere 75.000 Euro von der IV eingegangen, sie wurden elf Tage später rückgeführt. Laut Prüfbericht soll die IV den Betrag „irrtümlich“ überwiesen haben. Merkwürdig nur: Am 12. Juni machte die SPÖ Grassers Homepage zum Gegenstand einer Dringlichen Anfrage im Parlament, und in den folgenden Tagen rückte der New-Economy-Verein erstmals in den Blickpunkt der Öffentlichkeit. IV-Generalsekretär Lorenz Fritz dementiert jeden Zusammenhang: „Es handelte sich tatsächlich um ein Versehen.“

Zu viel bezahlt. Unter Internet-Experten lösen die enormen Kosten für Grassers Homepage Kopfschütteln aus. Dabei macht es keinen Unterschied, ob man von den ersten 114.000 Euro ausgeht, die FirstInEx kassierte, oder von den 105.000 für die Webdesigner von martrix: „Selbst wenn man den Zuschlag für öffentliche Ausschreibungen und die Rache für die letzte Einkommensteuerrate einbezieht“, sagt Grafik- und Softwareprofi Hans Auer, „würde ich den Auftrag für die Grasser-Homepage liebend gerne um 25.000 Euro übernehmen.“ Sarkastischer Nachsatz: „Nur ist sie dann immer noch so teuer, dass es mir die Schamesröte ins Gesicht treiben würde.“

Zum Vergleich: Die Webseite des Bildungsministeriums kostete laut deren Gestalter Wilfried Seywald nur 25.000 Euro, ebenso viel der offizielle Internet-Auftritt des Landwirtschaftsministeriums. „Aber beide spielen bedeutend mehr Stück’ln als die Homepage Grassers“, sagt der Geschäftsführer der Temmel, Seywald & Partner Communications. Winklers Verein zahlte immerhin das Zehnfache – vermutlich zur Förderung der New Economy.