All You Need Is Bluff

All You Need Is Bluff

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Es ist für viele von uns schon selbstverständlich, dass wir das Lied „Üb immer Treu und Redlichkeit“ nicht mehr hören können. Denn erstens wird es meistens von untermittelmäßig begabten Laienchören gezirpt, und zweitens wissen wir, dass der Komponist dieses Lieds Wolfgang Amadeus Mozart war.

Da kann einem schon die Galle hochkommen, denn der Mozart konnte sich’s ja leisten, an so etwas zu glauben, weil er ein Genie war. Ohne unser gleißendes Licht unter den Scheffel stellen zu wollen, kommen wir dennoch nicht umhin, unsere hervorragenden Begabungen allenfalls am untersten Rand des genialen Spektrums anzusiedeln.

Was bleibt uns modernen Menschen in einer modernen Gesellschaft anderes übrig, als die erforderlichen Leistungsbeweise wenigstens smart und trendy als Tatsachen zu verkaufen? In einem Heer von Hacklern unterschiedlichster Einsatzfreude hackeln wir gedankenvoller, effizienter und präziser.

Das wird zwar zur Kenntnis genommen, bringt uns aber um keinen Millimeter weiter, weil wir unsere Leistung nicht richtig verkaufen können. Vor allem deshalb nicht, weil unseren gelegentlichen schüchternen Hinweisen auf unser Engagement das ordinär Erdige, irgendwie muffig Riechende wirklicher Arbeit anhaftet.

Wenn ein Keim von Wahrheit in dem steckt, was Sie über sich sagen, empfinden dies nicht wenige Vorgesetzte mit Recht als vulgären Affront. Sie erwähnen ja nur bereits fertig Gestelltes, also Gestriges. Und die Chefchen denken bei sich, diese Person kann es nie zu etwas Besonderem bringen, weil sie nicht an künftige exorbitante Erfolge denkt, die sie mithilfe ihrer einzigartigen Erleuchtung zustande bringen würde.

Was Ihnen fehlt, liegt auf der Hand: Betrachten Sie die Welt der Tatsachen mit der abgeklärten Gelassenheit eines Felsblocks. Wenn Sie darauf achten, wie viele Manager und manche Minister mit den sperrigen, hinderlichen, kleinlichen Realitäten umgehen und eben deshalb in ihre Spitzenpositionen gekommen sind, dann sollte Ihnen einleuchten, dass Sie sich von nun an mit den Verhaltensweisen der Scharlatane und Schur ... Schelme nicht imprägnieren lassen müssen.

Als Erstes hüten Sie sich davor, eine Unwahrheit zu sagen. Denn sie liegt der Wahrheit so greifbar diametral entgegen, dass man Ihnen auf die Schliche kommen könnte. In Bagatellfällen reicht es vollkommen, in lässigem Outfit charmant zu flunkern.

An den wesentlichen Schlüsselpunkten Ihrer Karriere sollten Sie jedoch in eleganter Kleidung zu dreisten Lügen greifen, die so geschickt ersonnen sind, dass eben nicht einmal das Gegenteil davon wahr ist.

Täuschen Sie mit kunterbunt angelesenen Informationsfetzen jenes umfassende Wissen vor, das Sie nicht besitzen.

Prahlen Sie mit Ihrer phänomenalen Fähigkeit, zukünftige Entwicklungen bereits weit im Voraus mit all Ihren Sinnen erspüren zu können.

Lassen Sie keinesfalls unerwähnt, dass sich bei Ihnen zu Hause international berühmte Wissenschafter, Primarärzte, Künstler und natürlich die Haute Volée der europäischen Finanz- und Wirtschaftswelt die Klinke in die Hand geben.

Lassen Sie sich regelmäßig in In-Treffs sehen, und wenn es Ihnen gelingt, dort einem realen Kapazunder nach ein paar Gläsern Wein das Bekenntnis zu entlocken, was Sie doch gewiss für ein intelligenter und innovativer Prachtkerl seien, dann lassen Sie diesen unverhofften Sonnenstrahl blitzartig die Runde machen.

Irgendeine Firma wird sich angesichts Ihres unzweifelhaften Ruhms bereit erklären, Sie als Mastermind zu engagieren. Damit haben Sie fürs Erste ausgesorgt, denn Leute in diesen Positionen machen sich die Hände mit Arbeit nicht schmutzig, sondern sie delegieren.

Sie selbst sind jetzt schließlich dazu da, ausschließlich kreativ vorauszudenken. Wenn sich Ihre Ideen als die hinterletzten Idiotien erweisen, wird die Führungsspitze Ihrem überzeugenden Argument, dass alles nur durch das Unvermögen Ihrer unterbezahlten Mitarbeiter nicht zu jener Revolution wurde, die sie einfach hätte werden müssen, Glauben schenken.

Behelligen Sie sich niemals wieder mit dem undelikaten Krempel aus Zahlen, Fakten und Daten – es würde das Blendwerk, wonach Ihr Ingenium aus Ihrem Innersten kommt, erheblich beeinträchtigen, weil nun schon niemand mehr gewohnt ist, daran zu zweifeln, dass Sie über kleinkarierte Relikte wie Branchensondierung und Marktanalysen erhaben sind.

Verpacken Sie jeden Furz, der Ihnen entfährt, augenblicklich in Goldlamee, und geben Sie ihn als das Odeur von morgen aus.

Schauen Sie sich alte Erfindungen an, deren Patentrechte abgelaufen sind, und geben Sie sie mit der wesentlichen Bereicherung der gängigen Werbesprache als Ihr eigen Ersonnenes heraus. Lassen Sie von einem anonymen Grafiker das Logo Ihrer Firma wechseln.

Was Sie da tun, ist nicht Schein statt Sein. Es ist das Dasein in einer Gesellschaft, die an Chimärchen glauben will. Und Sie sind ihr Erlöser, der keine Wunder vollbringen muss. Es genügt das Blaue vom Himmel.