Autodrom: David Staretz

Autodrom: David Staretz 100 Jahre Porsche 911

100 Jahre Porsche 911

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Denkt man allgemein an Ferrari, entsteht vor dem inneren Auge etwas Rotes, Organisches. Hysterie in optischer Auflösung. Denkt man an Jaguar, fällt einem meist ein rabiater Oldtimer ein. Wird aber Porsche aufgerufen, gibt das Vorstellungsvermögen sofort die klare, unverkennbar schlichte Profillinie des Typ 911 frei, eingeprägtes Kindheitsmuster, Power-Point-tauglich für alle Design- und Produkt-Workshops, wenn es um essenzielle, unverwechselbare Formen und die Ikonographie der Warenkultur geht.

Der Porsche 911 als Nachfolger des rundgehämmerten 356 (der noch entfernte Nähe zum Volkswagen erkennen ließ) wurde, wie das damals üblich war, komplett im eigenen Haus konstruiert, entworfen und gebaut. (Sein Designer, F. A. Porsche, genannt Butzi, ist vorigen April gestorben. Er entwarf auch ULF, die Wiener Straßenbahn.)

Der 911 hätte ursprünglich 901 heißen sollen, doch Peugeot beanspruchte die Null in der Mitte für sich. Also zählte man halt zehn dazu. War eh besser.

Der Erfolg des Porsche 911 war gewiss nicht vorgegeben. Das Konzept versprach zwar technische Problemlosigkeit dank Entfall von Kühlern und Schläuchen durch Lamellenkühlung, wie man sie bei alten Motorrädern sieht. Der bodenflache Sechszylindermotor samt Getriebe und Kupplung im Heck sorgte für raumsparende Konzentration und gute Traktion. Allerdings musste man die frühen Modelle mit Gussgewichten in der vorderen Stoßstange beschweren, um die Seitenwind-Empfindlichkeit zu reduzieren. Zwanzig Kilo sollten reichen.

Die Frontpartie war eher einfallslos; es gehörte Mut dazu, den Blechdeckel zwischen den Scheinwerferdomen der Radkästen schlicht schräg nach vorne ablaufen zu lassen. Auch das Heck war eine eher pragmatische Lösung; frühere Entwürfe sahen noch Platz für Fondpassagiere vor und wirkten entsprechend holprig. Sehr praktisch waren die Türen gelöst: Man konnte sie bis zum rechten Winkel hinaus öffnen.

Schließlich geriet der 911 in seiner Form und Technik so einmalig und archetypisch, dass niemand auf die Idee kam, ihn in irgendeiner Form nachzuahmen. Auch das macht ihn bis heute so besonders. Selbst wenn die Nachahmer längst im eigenen Haus sitzen: An der Grundform wurde so lange fahrlässig herumgebastelt, bis sie in den neunziger Jahren - als man nicht mehr länger am überkommenen Konzept des luftgekühlten Motors festhalten konnte und damit scheinbar jegliche Contenance verwarf - geradezu parodistisch interpretiert wurde und man den einst schlanken, knappen Sportwagen aufblähte zu heute absurd anmutenden Dimensionen und Formen.

Offenbar war den Porscheleuten selbst der Erfolg des 911 unheimlich geworden; seine eigentlich längst fällige und immer wieder verschobene Einstellung versuchte man durch technischen Overkill und die Option auf zwei zu transportierende Golfbags wettzumachen. (Im Original-Lastenheft, das Ferry Porsche, der Sohn des VW-Begründers Ferdinand an die Ingenieure ausgegeben hatte, war in den frühen sechziger Jahren ein Golfköcher eingefordert worden.)

So war und wurde der Porsche 911 ein perfektes Abbild unserer Gesellschaft: Immer mehr "Have-the-cake-and-eat-it“, immer mehr Sicherheitsdenken, und statt Ruhm einzufahren, ging es vermehrt darum, ihn zu verwalten, zu interpretieren, darzustellen und an die Käufer zu vermitteln. Typisches Beispiel: Entfall des Handbremshebels zugunsten eines elektronischen Zupserls, oder, wie das der Rallye-Weltmeister und Porsche-Vertraute Walter Röhrl für sich interpretierte: "‚Kinder‘, hab ich zu den Ingenieuren g’sagt, ‚ihr nehmt’s mir ja meine Lebensversicherung.‘“ (Marktsoziologische Profilabgleichungen haben offenbar ergeben: Mittels Handbremse wird heute vernachlässigbar selten gelenkt.)

Doch selbst die Cabrioletversionen verloren ihre Intensität, verzärteln ihre Passagiere mit allen Annehmlichkeiten wie elektrisch ausfahrbarem Windschott, das die Turbulenzen mindern und dem Offenfahren seine Schrecken nehmen soll, sofern die Klimaanlage und Sitzheizung dazu nicht ausreichen. Dass das Zündschloss wie in LeMans-Tagen links neben dem Lenkrad liegt, wirkt heute nur noch wie ein Marketinggag. USP!

Ein Porsche 911 ist heute dargelegt in 500-seitiger Bedienungsanleitung namens Bordliteratur, angereichert mit befremdlichen Kürzeln (PCM, PASM, PCCB), über die Heerscharen von Technikern gebrütet haben, nicht um die beste, sondern die allerbeste Lösung für ein meist selbst gestelltes Problem zu finden. Das lässt sich allerdings auch der jahrzehntelangen Rennsportnähe des 911 zuschreiben: Im Motorsport wird versucht, jede noch so kleine Lücke für technischen Vorsprung aufzumachen und mit neuen, siegbegünstigenden Lösungen zu füllen. Und das konsequenterweise auch in Zivil. Insofern ist sich der 911 sehr treu geblieben.

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