Autodrom: David Staretz

Autodrom: David Staretz 360°

360°

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Sehr geehrter Herr Staretz!

Als Abonnent des profil habe ich seinerzeit Ihren Artikel „Blick in die Rückfahrkamera“ mit großem Interesse gelesen, und ich hätte da eine Frage bzw. Diskussionsanregung.

Es handelt sich um die Frage, ob man nicht einmal die Diskussion starten sollte, warum eine 360°-Videokamera, die immer die letzten zehn Minuten der Fahrtstrecke speichert, nicht einführbar ist, die beispielsweise einen Unfallhergang, Klärung des Verschuldens, Nötigung im Straßenverkehr, rowdyhaftes Verhalten, Radl­fahrer, Fußgänger etc. aufzeichnet.
Die ganzen Sachverständigen wären mit einem Schlag weg, Verfahren verkürzt, Kosten gespart, die Versicherungen hätten es leichter, und vor allem Verschuldensfragen wären leichter lösbar.

Auch die Verkehrssicherheit des Einzelnen würde sich deutlich erhöhen, würde es beweisbar, dass man von jemandem bedrängt wurde, hinten nicht mehr aufgefahren werden kann etc. Wenn es einen Fahrtenschreiber in Lkws gibt, warum nicht eine kleine Kamera auf dem Dach und ein Kistl, das die Sachen speichert. Technisch dürfte das kein Problem mehr sein, rechtlich auch nicht, gibt es ja Videoüberwachung überall. Und es wäre ein enormer Fortschritt in Sachen mehr Sicherheit und weniger Verfahrenskosten bzw. -dauer. Auch bei Unfällen oder Vorfällen im Ausland!
Bietet das vielleicht schon jemand an? Wäre das nicht eine Diskussion wert?

Mit besten Grüßen
Mag. Wolfgang-Lukas Strohmayer
Generalkonsul der Republik Österreich, Stellvertretender Ständiger Vertreter Österreichs beim Europarat
29, Avenue de la Paix, F-67000 Strasbourg

Sehr geehrter Herr Mag. Wolfgang-Lukas Strohmayer,
vielen Dank für Ihr umfassendes Schreiben samt ­Themenvorgabe.
Ihr Vorschlag ist in der Tat verführerisch; allerdings hätte ich mir gewünscht, Ihr Schreiben wäre noch länger geraten, dann müsste ich nicht so viel antworten, wo es mir doch fast die Sprache verschlägt.

Bisweilen trifft man Leute wie Sie, die mit traumwandlerischer Klarheit derartige Ideen aufbringen und sie leidenschaftlich zu vertreten wissen. Ich fühle mich dann immer so verloren und fehl am Platz, dass ich, während ich höflich nicke und murmelnd beipflichte, an meine Zweitkarriere als einsamer Alkoholiker in Odessa denke oder sonstwie hinter der Tapete verschwinden möchte. Denn Ideen wie die Ihre sind so haltlos vernünftig, so bodenlos richtig, dass es mir die Antwort versagt.

Ich muss Ihnen aufrichtig gestehen: In so einer Welt des gemeinen Hausverstandes würde ich nicht leben wollen und allein, dass solche Vorstellungen nun wirklich virulent werden, ist schon äußerst beunruhigend.
Offensichtlich wurden sie schon länger geschürt; jetzt aber, dank mikromanischer Halbleitertechnologien, die uns die Machbarkeit von allem, was denkbar ist, ermöglichen, scheinen derartige Umsetzungen nur mehr eine Frage der Zeit zu sein. Und denken Sie nur, wer aller daran und wie grandios mitschneiden könnte! (Was aber dann auch schon egal wäre.)

Sie haben Recht: Eh schon überall Video. Und schon ­nisten sich die ersten Black Boxes in unseren Autos ein ­(garantiert anonym und keineswegs nachverfolgbar) zum Wohle der Gesamtheit und zum Besten des Einzelnen. Günstiger Versicherungstarif!

Haben Sie auch meine Kolumne zum überwachten ­Autofahrer gelesen, sehr geehrter Herr Generalkonsul? („Datenmüll für alle!“, profil 40/2012)

Ihr Vorschlag, mit Verlaub, geht um jenen kleinen, entscheidenden Schritt zu weit, der uns alle zu Vernaderern, Anschuldigern, Selbstbeschützern und aufrechten Denunzianten macht. Und das Perfide ist: Sie, sehr geehrter ­Magister Strohmayer, sind selber schon auf Ihre glänzende Idee reingefallen – die ich gar nicht Ihnen persönlich anlaste; offenbar ist die Atmosphäre bereits angereichert genug für solchen Niederschlag. Wie leicht und gern werden da erst Mindere mitmachen wollen!

Zum Abschluss gestatten Sie mir noch ein Zitat aus besagter Kolumne: „Es ist ein Thema, das uns allen noch zu schaffen machen wird, das unsere gesamte Lebensgrundhaltung vereinnahmen kann und die Art, wie wir aufeinander, die Welt und ihre Beschaffenheit blicken werden.
Dabei weiß man nicht einmal, wo der Feind wohnt, was seine Antriebe und Absichten sind, wie er tickt und was ihn umtreibt, obwohl wir ihn immer exakter lokalisieren können in all seinen Gewohnheiten, Vorlieben und Peinlichkeiten: Es sind wir selber. (…) Dass Datenschutz so wichtig ist, liegt nicht nur daran, dass wir uns, egal von wem, nicht ins Blatt schauen lassen dürfen. Ein Grundrecht. Es geht mehr aber noch um kommende Generationen, die in diese überwachte Welt hineinwachsen wie in etwas Selbstverständliches, Unabänderliches.“ Und was, sagen Sie mir, wird denen dann noch einfallen?

Mit freundlichen Grüßen
David Staretz

[email protected]