Autodrom: David Staretz

Autodrom: David Staretz Bonetto auf Cisitalia

Bonetto auf Cisitalia

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Unlängst entdeckte ich im Internet ein vor Jahrzehnten verlorenes Foto wieder, das mich so nachhaltig für das Thema Auto begeistert hatte, dass ich von weit her ins oberösterreichische Steyr ging, um dort eine Schule für Motoren- und Kraftfahrzeugbau zu besuchen.

Das schütze ich jedenfalls gern vor, um nicht zugeben zu müssen, dass mich der Film „Herbie – Ein toller Käfer“ mit seiner den animistischen Religionen entlehnten Botschaft, dass Gegenstände (wie Verkehrsampeln oder eben Autos) beseelte Wesens- und Charakterzüge annehmen können, grundsätzlich für Autotechnik begeistert hat.

Ich dachte, wenn ich erst einmal so eine Schule absolviert hätte, würde ich mir auch so ein Gerät bauen können mit 200 PS. Insofern habe ich mein Lernziel nicht erreicht. Und das Internat in Steyr war auch eine Enttäuschung. Keine dunkelblauen Club-Blazer über auf Kante gebügelten Bermudas, keine schräg gestreiften Krawatten. Nur Präfekten in weißen Mänteln, die ihre kurzen Hosen verdeckten, sodass behaarte Waden über beigen Socken in Holzpantoffeln als Fundamente der Autorität verblieben. So hatte ich mir das nicht vorgestellt.

Aber es gab immer noch Bonetto auf Cisitalia. Alles, was sich später cool nennen wollte, perlte an diesem Urbild wahrer Gelassenheit ab. Wir besaßen daheim kein Auto, aber jede Menge Autozeitschriften. Dieses Foto war auf einer „Letzte Seite“, die den Kuriosa und Besonderheiten vorbehalten war, abgebildet, woraus ich es ausschnitt. Es gab einen Bildtext, der erklärte, dass das Bild 1948 auf dem Circuito di Mantova entstanden war.

Doch die Botschaft des Fotos (sein Autor ist leider nicht überliefert) reicht noch weiter.

Es geht um diese unglaubliche Diskrepanz zwischen extremer Kurvendramatik und gepflegtem Ennui, um den mit entspannter Könnerschaft und Zigarette bei hohem Tempo beherrschten Drift, der den Wagen in einer schnellen Rechtskurve weit nach links auspendeln lässt.

Teils rutschen sie, teils fräsen die Hinterräder voran. Nur noch die Vorderräder geben den Verlauf der Fahrtrichtung an, wobei auch gut zu erkennen ist, dass das linke Rad stärker auslenkt als das dem Betrachter nähere. Diese Art von Spreizung kann man übrigens auch an Traktoren so deutlich erkennen, und sie rührt daher, dass ein kurvenäußeres Rad einen weiteren Radius zu bewältigen hat als das kurven­innere. (Überhaupt hat das Frontportal eine gewisse Ähnlichkeit mit dem nur in Orange ausgelieferten Steyr-188-Traktor der sechziger Jahre.)

Vortrieb, Masse, Fliehkraft, Reibung, Kurvenradius und Anstellwinkel – hier finden fahrkinetische Phänomene in diffizilem Zusammenspiel zu einer rasenden Balance, deren Artistik durch dieses absolut gelangweilte Gesicht des Fahrers, seine hochgeschobene Brille, die in Fahrtrichtung weisende Zigarette und diese völlig schlichte Armhaltung auf eigenartige Weise konterkariert und zugleich bestätigt wird.

Gäbe es eine verzerrte Miene, wehende Kleidungsteile, dramatisch zupackende Handwechsel und keinerlei Zigarette, so fände man das Foto grandios und würde es bei tausend weiteren grandiosen Fotos einordnen. So aber erhebt sich das Bild zur Ikone der Lässigkeit einer unspektakulären Eleganz, weil Bonetto so versonnen wirkt, versunken; ein Mann am Arbeitsplatz bei einer Tätigkeit, die er beherrscht und die er liebt, weil sie ihm gelingt und immer noch Zeit lässt für eine Zigarette nebenbei.

Es ist anzunehmen, dass dieses Bild nicht im Rennen (das er, mit 45 Jahren auf dem Höhepunkt seiner Nachkriegskarriere, gewann), sondern beim Training entstanden ist, wofür diese vom Weltlichen losgelöste Laborsituation, die Zigarette, die Brille und das schüttere Publikumsaufkommen im Hintergrund sprechen. Der im fotografischen Bild erzielte Stillstand scheint von weit her zu entspringen; die gerade Kopfhaltung, der lakonische Blick, die völlig ruhiggestellte Armhaltung verweisen auf einen immerwährenden Drift als Aggregatzustand aufgehobener Geschwindigkeit.

Der nonchalante Balanceakt als Sinnbild einer gelungenen Lebensweise im Extrembereich, vergleichbar mit Wolkenkratzer-Bauarbeitern, die auf schwankenden Stahlträgern frühstücken – das half mir durch Schule und Internat und gab mir ein erstes Gefühl für die besonnene Grundhaltung der Zeitschrift „autorevue“, der ich später beitreten durfte. Herbie half auch.

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