Autodrom: David Staretz

Autodrom: David Staretz Fußmatte des Grauens

Fußmatte des Grauens

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In den achtziger Jahren, als Automatik-Fahrzeuge der damals neu in den USA ausgelieferten Marke Audi gegen Garagenwände knallten, weil einige Amerikaner nicht mit den für ihr Empfinden zu eng nebeneinanderstehenden Pedalen zurechtkamen, zeigte sich erstmals die verheerende Macht amerikanischer Verbraucherschutzverbände. Audi benötigte acht Jahre und mehr, um sich aus dem Schlimmsten zu befreien. Bis heute ist es nicht ganz gelungen, den Makel der „unintended acceleration“ abzulegen. Obwohl eindeutig kein Konstruktionsfehler als Anlass für die unbeabsichtigten Beschleunigungen vorlag, wurde der deutsche Hersteller mit einer Klagewelle überzogen. Auch nach erfolgter Rückrufaktion von ­nahezu hunderttausend Fahrzeugen und dem Umbau der Pedale (und sicherheitshalber auch der Neu-Verankerung von Fußmatten) krachten immer noch Audis gegen Hindernisse. Von 600 gemeldeten Unfällen sollen sechs tödlich verlaufen sein. Öffentliche Hysterie führte dazu, dass einige Parkhäuser sogar das Einfahrverbot über den Audi 5000 (so hieß der Audi 100 in den USA) verhängten. Die Verkäufe brachen massiv und nachhaltig ein; bis heute liegen BMW und Mercedes in den USA weit voran.

Jedem Europäer war klar, dass ein statistisch relevanter Teil der vom Autofahren entwöhnten Amerikaner schlicht auf beide Pedale gleichzeitig gelatscht war und deren Audis deshalb beschleunigten. Doch das, was klar und offensichtlich erscheint, wird ausgeschaltet, sobald die Verbraucheranwälte mit ihren Millionenforderungen ins Spiel kommen. Dann wird ein Kaffeebecher zum Schmelztiegel und ein Mikrowellenherd zur tödlichen Pudelfalle.

Wenn jemand etwas hergestellt hat, sein Produkt ausgiebig nach allen Eventualitäten hin getestet hat, fällt es ihm immens schwer, daran zu glauben, dass es jemand von auswärts schafft, noch irgendwas kaputt zu machen. Deshalb veranstalten Autohersteller so genannte Clinics, einst auch schlicht „Missbräuchlichkeitstests“ genannt. Dann werden Familien mit Kindern eingeladen, sich den neuen Wagen, noch ehe er für den Verkauf freigegeben worden ist, noch einmal richtig herzunehmen. Ingenieure, die ja wissen, wie man eine Heckklappe schließt, eine Sitzlehne verstellt, eine Schaltung bedient, staunen dann, was kreativen Untams noch alles einfällt. Als ausgebildeter Techniker und Konstrukteur kinetischer Objekte weiß ich: Alles, was schiefgehen kann, geht schief. Selten hat Technisches die Tendenz, sich selber zu verbessern oder gar zu reparieren. Eher umgekehrt.

Die Tücke des Objekts führt dann selbst in der ausgeklügelten Gaspedalführung noch zu Verklemmungen, und herauszufinden, was eine sich selbst überlassene Fußmatte alles anstellen kann, dafür benötigt die Geschichtsschreibung noch weitere Jahrzehnte.

Darauf konnte ich in dieser Kolumne schon öfter verweisen, wie zuletzt im Jahr 2008: „Auch im Jahre 122 nach der Erfindung des Verbrennungskraft-Autos durch Carl Benz ist es noch nicht gelungen, Bodenteppiche – speziell auf der Fahrerseite – so zu verankern, dass sie sich nicht aus der Verheftung lösen und von Schuhabsätzen unters Gaspedal gestopft werden.“ Und vor rund acht Jahren war hier zu lesen: „Losgetretene Fußmatten, die sich unter der Bremse und vor allem unter dem Gaspedal schoppen, sind das große unlösbare Problem der Automobilgeschichte. Das reicht hinauf bis zum hyperschlauen Mercedes-Benz SL 500.“

Ständig hatte ich in allen möglichen Testwagen mit irgendwie sich in den Pedalen verhedderten Fußmatten zu kämpfen. Was tun? Man schiebt sie beiseite oder schmeißt sie überhaupt aus dem Auto. Allein bei meiner Reportage über die Brünner Straße habe ich vier Stück im Graben gefunden.
Allerdings kam es ja in den USA (und offenbar ausschließlich dort) tatsächlich zu Todesfällen – erst 21, jetzt 34, die Tendenz ist rückwirkend steigend.

In diesem Zeitraum gab es tausende „herkömmliche“ Todesfälle mit Autos, und in irgendeiner Weise waren sie wohl menschlich verschuldet, sonst würden sie ja dem Fußmatten-Syndrom zufallen. Ich will hier nichts gegenrechnen, aber man muss sehenden Auges klarstellen, dass Toyotas nicht des Teufels sind und dass es offenbar eine signifikante Anzahl von Menschen gibt, die nicht imstande ist, herzhaft auf die Bremse ihres Autos zu steigen, in welcher Situation auch immer.

Unlängst las ich von einem klugen Mann, der sich darüber beklagte, dass den Menschen der Hang zur materiellen Technik abhandenkomme. Das liege daran, sagte er, dass es kaum noch reparierbare Dinge gibt – keine Wecker, die man zerlegen, keine Mopeds, die man frisieren kann.

Einen 2CV oder VW Käfer konnte man mit Geschick und Glück noch selber zum Laufen bringen. Bei einem modernen Kleinwagen gibt es nur noch modulares Austauschen. Ein Blick unter die Motorhaube lohnt kaum, es gibt da eh nichts zu sehen. Überkorrekte Assistenzsysteme wie vibrierende Lenkräder, blinkende Rückspiegel, besorgte Kaffeetassensymbole nehmen uns den Durchblick aufs Eigentliche. Bald wird es einen Fußmattensensor geben. Toyota zieht schon einmal die Notbremse: Man möchte eine Not-Aus-Taste installieren. Dreimal drücken genügt.