Autodrom: David Staretz

Autodrom: David Staretz Von der Historie zur Hysterie

Von der Historie zur Hysterie

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Weil man den Leuten Zukunft bieten muss und weil es sonst nichts Machbares und Vorzeigbares gibt, wird das Elekroauto vorangehypt, als hätte man bisher etwas übersehen. Aufgescheuchte Großkonzerne blicken paralysiert auf einen Kleinfabrikanten, der seinen hübschen Sportwagen mit 6831 Handy-Akkus antreibt, oder kaufen sich gleich bei ihm ein, um sich damit auf den aktuellen Stand der Technik zu katapultieren. Wie Professor Jürgen Stockmar in der „autorevue“ so lapidar schreibt: „Was haben eigentlich die großen Entwicklungsabteilungen (der Autokonzerne, Anm.) in den letzten Jahren erarbeitet, wenn sie jetzt die Verwendung handelsüblicher Laptop-Batterien studieren möchten?“
Sie sollten sich lieber um längere Kabel umsehen. Denn offensichtlich hat Strom, der so problemlos aus den Steckdosen fließt, eine grundsätzliche Abneigung: Er lässt sich nur höchst ungern einsperren. Daran hat sich in den vergangenen 200 Jahren nichts geändert, die Speichererfolge sind ernüchternd, selbst die modernsten Lithium-Ionen-Akkus verschaffen praxisnahen Kleinfahrzeugen Reichweiten, die wir mit herkömmlichen Benzin- und Dieselautos einkalkulieren, sobald das Reservelämpchen aufleuchtet.
In Relation betrachtet, haben sich Elektroautos durch Stagnation dramatisch rückentwickelt, während die Zeit an ihnen vorbeizog. Das wird kaum aufzuholen sein.

Dabei reicht die Erfolgsgeschichte des Elektroautos weit über die Geschichte des Autos zurück. Der dreirädrige Benz-Patent-Motorwagen von 1886, an dem gemeinhin die Geburtsstunde des Automobils festgemacht wird, fiel damals in eine rege Entwicklungszeit batteriebetriebener Elektro--Kutschen. Die Ansprüche an Fahrgeschwindigkeit, Reichweite, Fahrverhalten und Komfort waren vergleichsweise -gering, der Verkehr spielte sich mangels attraktiver Überlandstraßen in den Städten ab. Die Franzosen und Engländer waren damals auf der Höhe der Zeit, das erste reguläre Elektroauto wurde 1881 von M. Gustave Trouvé gebaut, das als Speicher den 22 Jahre zuvor von Gaston Plante erfundenen (aufladbaren) Blei-Akkumulator verwendete und damit Reichweiten an die vierzig Kilometer erreichte, bei einer Fahrgeschwindigkeit von annähernd 12 km/h. Ein Jahr später folgten die Engländer Ayrton und Perry mit einem marginal leistungsfähigeren Dreiradfahrzeug. 1890 ging es in New York los. -Andrew L. Riker schaffte mit seinem Dreirad (damals reichte diese Radanzahl) fast 50 Kilometer Reichweite.
Anschließend wird es unübersichtlich, von überall her kamen neue, verbesserte Elektro-Kutschen auf den Markt; der erste offizielle Geschwindigkeitsweltrekord, das erste Übertreffen der 100-km/h-Marke, wurde in einem Elektrofahrzeug bewältigt. Die „Jamais Contente“ („Niemals Zufriedene“) war eine hochbeinige, zigarrenförmige Batteriekammer, gesteuert von Camille Jénatzy, der 1899 den legendären Rekord brach. Welcher sieben Jahre später um exakt 100 km/h überboten wurde – von -einem Stanley-Steamer-Dampfauto.
Von der Jahrhundertwende an bis etwa 1915 schien der Durchbruch des Elektroautos eine klare Sache zu sein. Besonders als Mietfahrzeuge waren die lautlosen, sauberen Kutschen beliebt, fast alle New Yorker Taxis fuhren elektrisch. Denn das Elektroauto hatte damals einen großen Vorteil: Man musste es nicht, wie seinen großen Konkurrenten, den Dampfwagen, erst dreiviertelstundenlang anheizen, man musste nicht an einer Kurbel reißen und allerlei Vorzündungs-Zauber betreiben wie bei Verbrennungskraftfahrzeugen (deren Reichweitenhunger durch eine heute vergessene Tatsache unterbrochen wurde: Sie überhitzten rasch, weil die umlaufende Flüssigkeitskühlung noch nicht erfunden war).

Dagegen war etwa die schlichte, elegante Modernität eines elektrobetriebenen Baker Motor Vehicle (verewigt als Oma Ducks Ipsomobil) bei den Frauen der gehobenen Schichten sehr beliebt. Man konnte im samtgepolsterten, ziselierten, mit Drehsitzen versehenen Boudoir zum Einkaufen in die City rollen, ohne sich schmutzig zu machen. Gelenkt und beschleunigt -wurde über einen Winkelhebel, die gerahmten Glasfenster -ließen sich zwecks Lüftung öffnen – alles sehr modern und -unkompliziert.
Die sportlichen Wettbewerbe liefen weniger auf Tempo als auf Reichweite hinaus. Ein optimierter Baker schaffte 1909 mit einer Ladung 259 Kilometer, zwei Jahre später schob nämlicher Emil Gruenfeldt seinen Rekord auf 324 Kilometer bei einer mittleren Reisegeschwindigkeit von 17 km/h. Erst 2009 konnte eine respektable Steigerung erzielt werden: Der Tesla Roadster schaffte 501 Kilometer mit einem Schnitt von 55 km/h.

Der Mann, der dem Elektroauto die Zukunft nahm, hieß Charles Kettering, und er tat dies anhand eines Elektro-motors: Er erfand den Elektrostarter. Dieser, zusammen mit verbessertem Kühlsystem, einfacherer Bedienung, erweiterten Tankstellennetzen und -geschmeidigeren Überlandstraßen, verhalf dem Verbrennungskraftfahrzeug zum Durchbruch, das nun nicht mehr mit Schmutz und Lärm in Verbindung gebracht wurde, sondern mit Kraft, Potenz und Prestige. Darüber allerdings sind wir noch immer nicht weiter hinweggekommen.