Autodrom: David Staretz

Autodrom: David Staretz Vordersitzbänke

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Offensichtlich sind wir in die Sicherheits- und Sportlichkeitsfalle gegangen mit unseren breitschultrigen Breitreifenautos, mit Sportlenkrad und Drehzahlmesser, mit Sportfahrwerk und S-Modus, mit sportlichem 7G-Doppelkupplung-Schaltshifter, mit lordosenverstellbaren Anti-Dive-Sitzen und Integral-Aktivlenkung. Vielleicht ist es ein grotesker Irrtum, in tiefgezogene Sitzschalen eingesackt zu sein wie in einer Bonbonniere? All diese Sportlichkeit, dieses formschlüssige Eingebautsein ins Kompetitive, das so fraglos als erstrebenswert angepriesen wird, richtet sich möglicherweise vollkommen gegen die Anforderungen der Zeit. Es wird laut über Tempo 100 auf Autobahnen nachgedacht, aber wir bekommen von Automarken emotionale Sport­pakete untergeschoben, als ginge es darum, den großen Preis der Südosttangente zu gewinnen.
Manchmal habe ich Lust, in einer großzügig, aber nicht übermäßig motorisierten, entspannten Limousine ins Abendlicht zu rollen, leicht schräg in die Sitzbank gefläzt, eine Hand lässig über den Bügel der Lenkradschaltung gelegt, leicht federnd im Gelenk, wodurch die Asche von selbst von der Zigarette fällt. Meine Liebste hat sich elegant an mich drapiert und haucht mir Unerhörtes ins Ohr, ihre Hände weißgottwo. Die Musik aus dem Autoradio? Passend. Wenn die bei Superfly nur den Mund halten könnten.
Abgesehen davon, dass ich gar nicht rauche – wohin ist die ganze Lässigkeit (und Eleganz) geraten? Warum karnifeln wir uns selber so mit gesteigerter Räson? Und wo bleibt die Schönheit? Wir betreiben unser Leben zwischen Rasenkantenschneider und günstigstem Handytarif, zwischen Flatscreen und Aktivurlaub, unsere Autos schauen auf absurde Weise böse und kompetent drein, jedes ein Winner unserstatt, anforderungsoptimiert an das tägliche Rat Race, mit Allrad, ­Active Vectoring und ConnectedDrive TeleService.
Wir dürfen längst nirgendwo mehr selber Hand anlegen angesichts der großen Oberflächenspannung und Integraldurchnetzung des gesamten Mobilsystems. Aber nein, wählen Sie ruhig aus unserem großen Felgenangebot und aus den tropischen Furnierhölzern unseres Individualisierungsprogramms, erfreuen Sie sich an der Emotionalität der Leidenschaft und der abmattierten Eleganz dezenter Black-­Panel-Technologie.
Genießen Sie den sonoren Klang der TwinPower-Turbo- Technologie mit High Precision Injection, aber lassen Sie um Gottes willen die Motorhaube geschlossen.
Ja, wir sind das Auto los. Das gehört den Herstellern bis ans Ende der Tage, schon allein, damit der Garantieanspruch nicht erlischt, und dann stünden wir da mit der BlueTech-Technologie und all dem Hochspezialkram und wüssten nicht mehr aus noch ein. So ein anspruchsvolles Präzisionswerk aus Effizienz und Dynamik wagt man nicht einmal mehr selber zu waschen. Vorbei die Zeit, als Autos noch Kosenamen hatten. Emotionalität ist zu einem Leitbegriff der Marketingleute verkommen. Marketingleute, das sind die, die unser ­Leben kaputtverbessern und exakt nicht verstehen würden, was daran so schlimm sein soll.
Und so sehne ich mich manchmal nach einem anspruchslosen Low-Tech-Stinker mit einer Sitzbank bis zum Bürgersteig, mit einer Bücherei im Handschuhfach und Connie Francis im Radio. Das nur deshalb, weil ich auch nichts Besseres anzubieten weiß, als möglichst uncool zu sein in einer coolen Zeit.

Der einzige Automensch, der je einen radikal neuen Ansatz ventilierte, war der geschmähte BMW-Chefdesigner Chris Bangle. Sein Projekt GINA – verkörpert etwa in einem Cabriolet mit einer elastischen Stoffkarosserie, die von innen durch variable Bügel gestrafft und umgeformt werden konnte – blieb allerdings ein Einzelstück. Die plakative Abkürzung steht übrigens für Geometry and Functions In „N“ Adaptions (N für unbegrenzte Zahl). Wenn sich die Türen öffnen, schlagen die Gelenke Ärmelfalten, und wenn das Licht eingeschaltet wird, ändert sich die Kontur der Bugpartie. Der High-Tech-Stoff überspannt Wagen und Innenraum völlig nahtlos. Längs über dem Motor befindet sich ein Reißverschluss, der Zugang zur Technik erlaubt.
Bangle selber: „Ja, wir haben mit Stoff begonnen und kamen dann zu einer neuen formalen Lösung in Stahl. Das hat uns auf folgende Idee gebracht: We are talking about a material, we are talking about a car – we are talking about a philosophy! A philosophy, die erlaubt: Lass das Material sprechen und sieh zu, was passiert!“
Haben wir es hier nicht nur mit des Autos neuen Kleidern zu tun? Chris Bangle lacht: „Ja, es ist ein bisschen so. Aber grundsätzlich: Ich bin ein echter Vertreter der Meinung, dass das Automobil zu einer Lösung führen kann und nicht zu einem Problem mit sich selbst. Ich glaube, man kann durch technologische Entwicklungen zur Problemlösung finden.“
Manchmal wünscht man, er hätte Recht.
Bangle, der Prophet und Überzeugungskünstler, der seinen Chefs nach 17 Jahren dann doch zu unbequem geworden war, verschwand mit Familie ins Piemont, wo er sein Designbüro Chris Bangle Associates betreibt und Wein anbaut. Aber der Mann hätte noch einiges zu sagen. Mehr darüber demnächst.