Bad Religion: Politi- sche Mode Atheismus

Bad Religion

Gegen den Einfluss von Islam, Christentum & Co

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Gerade lief es für den Alten noch bestens: Der Präsident der einzigen verbliebenen Supermacht konsultierte ihn regelmäßig, und auch dessen fanatische Widersacher riefen ihn an, bevor sie ihre Selbstmordgürtel zündeten. Aber auch die Friedfertigen hielten sein Banner hoch. Und wer an ihm zweifelte, tat es nur im Stillen, denn schließlich will man ja niemandes Gefühle verletzen. So viel mitzureden in der Politik, und zwar weltweit, hatte er schon lange nicht. Die Rede ist natürlich von Gott.

Doch wie schon der Prophet Salomo sagte: „Ein Jegliches hat seine Zeit.“ Nichts ist von Dauer. Vor allem ein Mann will den Gottgläubigen das Handwerk legen: Richard Dawkins, 65, britischer Evolutionsbiologe von höchstem Renommee, hat nun den Kampf gegen die Religion aufgenommen. Mit seinem Buch „The God Delusion“ („Der Gotteswahn“) tourt er durch die USA und Großbritannien. Und vor allem im bigotten Amerika, wo der Einfluss der evangelikalen Hardliner auf die Politik in den vergangenen Jahren erstaunliche Ausmaße erreicht hat, wird Dawkins gefeiert wie ein Prophet. Auf der Sachbuch-Bestsellerliste der „New York Times“ hat Dawkins seit elf Wochen seinen fixen Platz unter den Top Ten, in Großbritannien rangiert das Buch zu Redaktionsschluss im aktuellen Verkaufsranking des Internet-Buchhändlers Amazon an achter Stelle.

Es ist, als hätten viele Menschen nur auf einen wie Dawkins gewartet; einen, der Verständnis für die und Respekt vor den Religionen beiseite lässt; einen, der sagt, man solle den Irrglauben an höhere Wesen nicht tolerieren. Zumal Dawkins nur der leidenschaftlichste und renommierteste Vertreter einer neuen Strömung ist. Gerade eben landete der Autor Sam Harris mit seinem bitterbösen „Letter to a Christian Nation“ einen veritablen Bestseller, und auch der Philosoph Daniel Dennett, Anführer der Brights-Bewegung, die gegen den Glauben an übernatürliche Kräfte aller Art kämpft, brachte von seinem jüngsten Buch „Breaking the Spell“ zehntausende Exemplare an die Leute.

„Bis zu 30 Millionen Atheisten gibt es in den USA“, schätzt Dawkins. Im öffentlichen Leben jedoch seien sie an den Rand gedrängt. „Wir sind in derselben Situation wie die Schwulenbewegung vor ein paar Jahrzehnten. Ein Coming out ist nötig.“

Die Bewegung der New Atheists, der Neuen Atheisten, ist jetzt der letzte Schrei in Amerika. Magazine wie „Newsweek“ widmeten ihnen große Storys, das Technologiejournal „Wired“ feierte den New Atheism gar mit einer knalligen Covergeschichte. Überall in den USA entstehen Aktivistengruppen, und in den wendigen Weblog-Netzwerken im Internet gilt der Kampf gegen die Religion schon als „the next big thing“.

Bittere Weihnachten also für die Freunde von Grand Old Rauschebart.

Pendelschlag retour. Eine Überraschung – und wiederum auch nicht. Nirgendwo hatten bigotte Christenaktivisten das Feld in den vergangenen Jahren so gut bestellt wie in den USA – dem Land im Westen, in dem sich rund 90 Prozent der Bürger als religiös deklarieren und zwei Drittel bekunden, sie würden nie einen Politiker wählen, der nicht an Gott glaubt. Heute, konstatiert der rechte Vordenker Samuel Huntington, ist die Religion „präsenter im öffentlichen Leben als je zuvor seit Beginn des 20. Jahrhunderts“.

Die evangelikalen Gemeinden haben an Schlagkraft gewonnen, die besonders konservativen haben durchschnittlich um 20 Prozent mehr Mitglieder als Anfang der neunziger Jahre. Sie nehmen nicht nur Einfluss auf die Regierungspolitik von George W. Bush, sie wirken bis in die politische Mitte hinein – weil viele liberale Politiker eine Scheu davor haben, sich mit den aggressiven Kampagnenprofis der christlichen Rechten anzulegen.

Die religiöse Rechte kämpft dagegen, dass Darwins Evolutionstheorie in Schulen unterrichtet wird, und will stattdessen, dass „Intelligent Design“ – also die Lehre, dass der Schöpfer-Gott auch die Evolution vorausgeplant habe – in die Lehrpläne aufgenommen oder gleich der Kreationismus unterrichtet wird, also der Glaube, dass Gott die Erde, genau so, wie sie ist, vor wenigen tausend Jahren erschaffen hat. Seien es die Auseinandersetzungen um die Homo-Ehe oder der Streit um die Stammzellenforschung, überall versuchen die christlichen Gemeinden Einfluss auf die Politik zu nehmen.

Und auch in die Außenpolitik mischen sie sich lautstark ein – schließlich kommt ihnen die Vorstellung eines „Kampfes der Kulturen“ entgegen. „Gegen diese Vermischung von Politik und Religion gibt es eine Gegenreaktion, die Leute haben das satt“, sagt Keith Porteous Wood, ein Mitstreiter Dawkins von der britischen National Secular Society.

Gegen Toleranz. Unerwartet viele Tore öffnen sich den New Atheists dieser Tage. So predigte Dawkins unlängst in der First Parish Church am Harvard Square in Cambridge, Massachusetts – draußen warb ein Spruchband für die gleichgeschlechtliche Ehe. Drei Dollar Eintritt muss hinlegen, wer Dawkins’ Brandreden hören will, die Säle und Kirchen sind meist bis auf den letzten Platz gefüllt. Schließlich tut Dawkins auch etwas für sein Geld. In elegantem Oxford-Englisch, das immer auch ein bisschen arrogant klingt, sagt Dawkins einen provokativen Satz nach dem anderen. „Solange wir daran festhalten, dass man religiösen Glauben respektieren muss, alleine deshalb, weil er religiöser Glaube sei, wird man Schwierigkeiten haben, Osama Bin Laden oder Selbstmordattentätern diesen Respekt zu versagen.“

Gottglaube sei irrational, aber aufgrund falsch verstandener Toleranz handle es sich dabei um die einzige Art Nonsens, von dem es als anstößig gilt, ihn als solchen zu bezeichnen. Dass Eltern ihren Kindern ihren Glauben vermitteln, nennt er gerne „Kindesmisshandlung“. Wenn er von der Ausbreitung der Religion spricht, redet er von „mentalen Viren“. Wenn man ihm vorhält, er propagiere Intoleranz, dann interpretiert er das als Symptom des „privilegierten Status der Religionen, die gewohnt sind, sich durchzumogeln, und erwarten, dass sie sich Kritik nicht stellen müssen“. Nichts verabscheut er deshalb auch mehr als Atheisten, die sagen, die einfachen Menschen bräuchten eben den Glauben.

Dawkins und seine Mitverschwörer, formulierte das Magazin „Wired“ treffend, kämpfen „nicht nur gegen den Glauben an Gott, sie kämpfen auch gegen den Respekt vor dem Glauben an Gott“. Sie wollen nicht die Gläubigen zum Unglauben verführen, sondern die Agnostiker und Liberalen zum Kampf gegen die Religiösen. „Imagine no religion“, lautet Dawkins’ liebster Kampfspruch: „Stellt euch vor, es gäbe keine Religion.“ Dann gäbe es auch keinen Kampf der Kulturen, die Wissenschaft müsste sich nicht mit bigottem Nonsens herumschlagen, Kinder würden zu vernünftigem Denken erzogen, und die Türme des World Trade Center würden auch noch stehen. „Imagine no 9/11, keinen Bürgerkrieg in Nordirland, keine Massaker, keine Ehrenmorde.“ Die Gläubigen würde er nur dann in Ruhe lassen, „wenn sie uns in Ruhe lassen, wenn sie die Kinder in Ruhe lassen, wenn sie aufhören, sich gegenseitig zu bekämpfen und den Rest der Welt in Gefahr zu bringen“.

Breitseite gegen Gott. Die Rhetorik der Neuen Atheisten ist kaum zu verstehen ohne die harten Bandagen, mit denen die religiöse Gegenseite bisher agierte – die hatte mit Provokationen und aggressiver Polarisierung Erfolg, und diese Strategie greifen ihre Gegenspieler einfach auf. Mal eher polemisch, mal eher wissenschaftlich versuchen sie zu beweisen, dass Gott gar nicht existieren kann. Zu einiger Berühmtheit brachte es in diesem Zusammenhang schon die Website www.whydoesgodhate amputees.com. Die entwaffnende Frage: Wenn Gott existiert und die Gebete der Menschen erhört, warum wachsen dann Amputierten nicht ihre Gliedmaßen nach? Die Antwort: Entweder die Gebete nützen nichts, weil Gott gar nicht existiert. Oder Gott existiert – und hasst die Amputierten. Mit ähnlich bissiger Logik argumentiert Sam Harris gegen religiöse Abtreibungsgegner: „20 Prozent aller Schwangerschaften enden mit Fehlgeburten. Wenn Gott existiert, dann ist er der fleißigste Abtreibungsdoktor von allen.“

Schon warnt etwa Nicholas Kristof, Kolumnist der „New York Times“, vor der aggressiven Militanz der „Atheistenbrigade“ – die schramme selbst scharf an fundamentalistischen Dogmatismus heran. John Green vom Pew Forum on Religion and Public Life, einem New Yorker

Think Tank, assistiert: „Man kann von einem säkularen Fundamentalismus sprechen, der den religiösen Fundamentalismus attackiert.“

Nicht unwahrscheinlich, dass trotz anderer Debattenlage die New-Atheists-Bewegung auch auf Europa übergreift – schon alleine, weil alles, was in Amerika in Mode kommt, irgendwann auf Europa abstrahlt. Brights-Aktivisten gibt es schon in Großbritannien, Frankreich und Deutschland. Außerdem gibt es auch in hiesigen Breiten Versuche christlicher Würdenträger, wieder mehr Einfluss auf das politische und kulturelle Leben zu nehmen – etwa im Europäischen Verfassungskonvent oder in der Debatte, ob die Türkei zu den „christlichen Werten“ Europas passe. So fragen führende Intellektuelle wie etwa der Hamburger Literaturwissenschafter Jan Philipp Reemtsma: „Muss man Religiosität respektieren?“ Reemtsma: „Nicht jeder Unfug, nur weil einer ihn für wichtig hält, kann Achtung verlangen, wenn man unter Achtung mehr versteht, als ihn einfach machen zu lassen, sofern er keinen Schaden anrichtet.“

Richard Dawkins jedenfalls will seinen Kampf mit Elan weiterführen. Denn obwohl der Evolutionsbiologe Gläubige aller Art für Idioten hält, will er nicht darauf vertrauen, dass sie gemäß dem Darwin’schen Prinzip „Survival of the Fittest“ aussterben: „Die Ignoranz stirbt nicht aus.“ Vielleicht aber, ätzt die „New York Times“, gelinge es dem Naturwissenschafter ja doch, manch Gottgläubige in ihren Gewissheiten zu erschüttern. Schließlich stelle sich die Frage, warum Gott, wenn er denn allmächtig und omnipräsent sei, „nicht einen Blitz vom Himmel schickt, um Richard Dawkins zu zerschmettern“.

Von Robert Misik