Die Insel der Schein-Heiligen

Steueroasen. Die scheinheilige Debatte um das Bankgeheimnis - und das große Geschäft dahinter

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Privatsphäre also. Der argumentative Not­ausgang der Bankgeheimnis-Verfechter aller Couleurs. ÖVP-Vizekanzler Michael Spindelegger. ÖVP-Finanzministerin Maria Fekter. ­SPÖ-Budgetsprecher Christoph Matznetter. FPÖ-Generalsekretär Harald Vilimsky. BZÖ-Chef Josef Bucher.
Soll sein, reden wir über die Privatsphäre! Wo fangen wir an? Bei der Vorratsdatenspeicherung, die Telefonverbindungen, E-Mails und Internet-Verbindungen aller Österreicher archiviert? Bei der Flugdatenerfassung, die jede Flugbewegung speichert? Oder doch lieber beim Projekt „Clean IT“, der geplanten EU-weiten Überwachung des Netzes – mit wohlwollender Zustimmung Österreichs im Allgemeinen, des Innenministeriums im Besonderen? Wie wär’s mit den biometrischen Pässen, die von der vollprivatisierten Staatsdruckerei produziert werden, der somit sämtliche personenbezogene Daten vorliegen – Fingerabdrücke inklusive? Gerne können wir auch über die vom Sicherheitspolizeigesetz gedeckten Lauschangriffe auf Telefonate mittels so genannter IMSI-Catcher reden – ohne richterliche Verfügung. Oder, ganz aktuell: über das geplante zentrale Wählerregister, in dem Unterstützungserklärungen etwa für Volksbegehren namentlich zugeordnet werden sollen. A propos: War da nicht auch der kommerzielle Deal des Innenministeriums mit Daten des Zentralen Melderegisters? Und wie ist das jetzt mit der geforderten Offenlegung der Einkommen all jener, die im Gemeindebau wohnen?

Alles Einschnitte in die Privatsphäre, geplant oder längst umgesetzt. Umfassend. Konsequent. Vorbehaltlos. Vorauseilend. Wo blieb der breite Widerstand der Politik von der Regierungsbank abwärts gegen diese Überwachungsmaßnahmen? Wo die verfassungsrechtlichen Bedenken? Die populistischen Analogien zu George Orwell? Die Drohgebärden gegenüber Brüssel oder Washington?

Das Bankgeheimnis dagegen: Unantastbar. In Stein gemeißelt. Hochsensibel. Traditionsreich. Eine Errungenschaft der Revolution von 1848. Soll Omas Konto vor dem Zugriff gieriger Behörden bewahren. Ja, eh.

Verlogenes Rückzugsgefecht
Selten zuvor ist ein Rückzugsgefecht verlogener geführt worden.
Vor nunmehr drei Wochen trat eine konzertierte Aktion („Offshore-Leaks“) internationaler Medien eine Debatte über Steueroasen und deren Nutznießer los (siehe profil 15/13). Und es sollte nicht allzu lange dauern, bis Österreich und Luxemburg in die Ziehung kamen. Die Deutschen, die Franzosen, die EU-Kommission machen Druck: Wien soll das Bankgeheimnis – oder das, was davon noch übrig ist – aufgeben und endlich beim internationalen Informationsaustausch mitmachen.
Luxemburg, bisher verlässlicher Verbündeter in Sachen Bankgeheimnis, gab bereits klein bei. Österreich? Hat Maria Fekter. Diese zog schmallippig ins Feld und geißelte Großbritannien, das sich bis heute Steuerparadiese wie die Cayman Islands, die Jungferninseln oder die Bermudas hält. Zu Recht. Das gilt so übrigens auch für die Niederlande und deren karibische Kronländer. Für Zypern. Für Malta. Und erst recht für die Nicht-EU-Mitglieder Schweiz und Liechtenstein.

Das ändert freilich nichts an den Tatsachen.

Die politische Sorge um die Privatsphäre der Bürger ist vornehm ausgedrückt künstlich – aber es ist ja auch Wahljahr. In Wahrheit geht es um handfeste wirtschaftliche Interessen hinter dem Bankgeheimnis. Österreichs Banken haben in der Vergangenheit hervorragend davon gelebt. Der Paragraph 38 des Bankwesengesetzes war über Jahre so etwas wie ein willkommener Werbeträger. Die öffentlich zugänglichen Botschaften zweier Banken an die Adresse ausländischer Klientel seien hier stellvertretend für den Kreditsektor zitiert: „Banking Secrecy in Austria: Privacy is a primal urge of man“, schreibt die Vorarlberger Landeshypo auf ihrer Homepage. Oder die Bank-Austria-Tochter Schoellerbank: „The Austrian Republic is a banking haven. That’s because this nation has one of the strongest financial privacy laws in the world.“
Und so darf es nicht überraschen, dass auch obskure „Treuhandgesellschaften“, welche Offshore-Konstruktionen über das Internet verticken, Österreich auf eine Stufe mit Panama, der Karibik, Zypern, Gibraltar und Liechtenstein stellen. Im Ranking einer „SCF-Group Licensed Trust & Management Firm“ etwa erhält der Finanzplatz Österreich dank des Bankgeheimnisses immerhin neun von zehn möglichen Punkten.
Austria, nine points.

Das Geschäft mit dem Bankgeheimnis lässt sich auch quantifizieren. Nach Erhebungen der Oesterreichischen Nationalbank parkten ausländische Privatkunden und Unternehmen (keine Banken) Ende Februar dieses Jahres in Summe 54,7 Milliarden Euro auf österreichischen Konten. Dabei handelte es sich ausschließlich um Spareinlagen und Kontoguthaben. Der Bestand an Wertpapierdepots ist hier nicht inkludiert. Diese Summe hat sich in nur zehn Jahren mehr als verdoppelt. Im Februar 2003 waren es nur 26,4 Milliarden Euro gewesen.

Nun ist nicht davon auszugehen, dass Österreich allein deshalb so begehrt ist, weil die Banken hier so unanständig hohe Zinsen zahlten.

Ganz im Gegenteil.

Es bedarf schon einer gehörigen Portion Naivität um anzunehmen, das Bankgeheimnis und die Weigerung Österreichs, am internationalen Datenaustausch zu partizipieren, hätten nur Steuerehrliche und deren Vermögen ins Land geholt. profil hat vergangene Woche einer Reihe von Großbanken die zugegebenermaßen nicht einfach zu beantwortende Frage gestellt: Können Sie ausschließen, dass Schwarzgeld – also unversteuertes Geld ausländischer Kunden – auf Ihren Konten liegt? Die Repliken waren umso verblüffender. Erste Bank, Raiffeisen und Bawag ließen die Frage unbeantwortet. Bank-Austria-Generaldirektor Willibald Cernko antwortete immerhin, wenn auch ausweichend: „Durch das Bankgeheimnis wurde die Prävention von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung in Österreich nie behindert. Die Erstattung einer Geldwäsche-Verdachtsmeldung durchbricht schon heute das Bankgeheimnis. Wir schöpfen alle Möglichkeiten aus, die uns zur Verfügung stehen. So überprüfen wir beispielsweise jeden auffälligen Geldeingang und verlangen vom Kunden Belege über die Herkunft seiner Gelder.“

Für die Banken sind Kundeneinlagen billiges Geld, so genannte Liquidität. Sie vergeben damit Kredite, kaufen Wertpapiere, Immobilien, manche gehen auch ins Casino – siehe Volksbanken AG, siehe Hypo Alpe-Adria, siehe Hypo Niederösterreich. Müsste Österreich das Bankgeheimnis in seiner jetzigen Form aufgeben – woran wohl kein Weg mehr vorbeiführt –, gingen die Banken mit einem Schlag eines nicht zu unterschätzenden Wettbewerbsvorteils verlustig.

Wenn die Finanzministerin sich also vehement für das Bankgeheimnis stark macht, dann wirft sie sich letztlich nur für den Kreditsektor auf die Schienen. Umgekehrt: Wenn Deutschlands Finanzminister Wolfgang Schäuble, ein Gesinnungsgenosse Fekters, das österreichische Bankgeheimnis weghaben will, dann geschieht dies auch im Interesse der deutschen Banken. Schließlich stellen Deutsche den größten Kundenstock im Lande – was die Banken jenseits der Grenzen nicht erst seit gestern hochgradig verstimmt.

Geschäftsgeheimnis bleibt unberührt
Man kann es drehen und wenden, wie man will. Ein Bankgeheimnis, das österreichische zumal, schützt ausschließlich jene, die Geld am Fiskus vorbeimogeln wollen. Die landauf, landab geäußerte Befürchtung, nur das bestehende Reglement würde sicherstellen, dass der missgünstige Nachbar, der neidische Arbeitskollege, der erbschleichende Verwandte keinen Einblick in fremde Vermögensverhältnisse bekommt, ist schlicht falsch. Das Geschäftsgeheimnis, das jedes Unternehmen für sich in Anspruch nimmt, bliebe davon unberührt. Auch in delikaten Scheidungsangelegenheiten wirkt das Bankgeheimnis seit Abschaffung der anonymen Sparbücher vor einer Dekade längst nicht mehr. Eheleute können vor Gericht die Kontenöffnung des jeweils anderen erzwingen (immer unter der Annahme, dass diese Konten auch bekannt sind). Im Todesfall sind die Banken ohnehin zur Offenlegung verpflichtet. Bedingten Schutz bietet das Bankgeheimnis nur jenen, die es darauf angelegt haben, Sozialleistungen zu erschleichen, etwa bei der Mindestsicherung.

Doch auch das ist Betrug.

So gesehen ist Fekters Haltung umso verstörender. Gerade sie als Finanzministerin müsste ein vitales Interesse daran haben, dass jeder Abgabenpflichtige seinen Verpflichtungen auch wirklich nachkommt. Denn das Bankgeheimnis schützt natürlich nicht nur ausländische Steuersünder – sondern auch heimische.

Nach Studien des Linzer Universitätsprofessors Friedrich Schneider sind Schwarzarbeit und Sozialbetrug durchaus prosperierende Wirtschaftszweige. 2012 soll die Schattenwirtschaft in Österreich insgesamt 20,7 Milliarden Euro umgesetzt haben – wovon weder Steuern noch Sozialabgaben bezahlt wurden. Und irgendwo muss dieses Geld ja hin – also zum Beispiel auch auf ein Bankkonto. Oder in ein Wertpapierdepot. Das Argument, das Bankgeheimnis wirke bei Steuerdelikten längst nicht mehr, weil Finanzbehörden bei eingeleiteten Verfahren ohnehin Zugriff auf Kundendaten bekämen, greift viel zu kurz. Denn dazu braucht es erst einmal einen Anfangsverdacht. Anders als etwa in Frankreich, Dänemark, Spanien, Schweden oder sogar England haben die Kreditinstitute keine gesetzliche Verpflichtung, den Steuerbehörden in regelmäßigen Abständen den Kontostand ihrer Kunden zu melden. Eine psychologische Hürde zweifellos, wie auch Wolfgang Nolz einräumt, langjähriger Sektionschef im Finanzministerium und nunmehr Kapitalmarktbeauftragter der Regierung. Fekters Haltung will er übrigens nicht kommentieren. Dass auch in den genannten Ländern schwarz gearbeitet wird, ist unbestritten. Aber auch kein Argument für das Bankgeheimnis.

Meisterklasse „Briefkasten-Architektur“
Zugegeben, Steuerflucht ist ein globales Problem. Daran wird die Abkehr vom Bankgeheimnis in Österreich auch nichts ändern. So ist es ab einer gewissen Gewichtsklasse bis heute problemlos möglich, sein Vermögen steuerschonend zu veranlagen, tatkräftige Unterstützung vorausgesetzt. Die Branche der Fluchthelfer Richtung Offshore-Destinationen funktioniert mittlerweile wie geschmiert: Wirtschaftsprüfer, Rechtsanwälte, Steuerberater, Notare, professionelle Treuhänder und natürlich auch Banken. Hand in Hand sorgen sie dafür, dass sauberes und auch schmutziges Geld still ins Land gebracht wird. Oder aus dem Land. Je nachdem. So existierten keine annähernd gesicherten Daten, wie viel Vermögen Österreicher im Ausland liegen haben. Der lückenlose Informationsaustausch auf EU-Ebene etwa scheitert schon daran, dass dieser nur natürlich Personen erfasst. Wer sich hinter Trusts, Stiftungen, Treuhändern und Briefkästen versteckt, bleibt unsichtbar. Überhaupt dann, wenn die Fluchtorte irgendwo in Übersee liegen.

Am Beispiel Julius Meinl. Der Eigentümer der kleinen Wiener Meinl Bank – formell gehört diese einer niederländischen Holding – hat im Laufe der Jahre die Meisterklasse „Briefkasten-Architektur“ absolviert (siehe hier). Zumindest 18 Scheinadressen, von Aruba bis Zypern, standen oder stehen im Einflussbereich des Bankiers. Und es würde nicht überraschen, sollten auch Kunden der Bank von deren einschlägiger Expertise profitiert haben.
profil hat bereits in der Vorwoche über Österreicher berichtet, die in der Vergangenheit Gelder über Offshore-Gesellschaften schleusten. Karl-Heinz Grasser, Wolfgang Flöttl und Alfons Mensdorff-Pouilly sind die prominentesten. Die Liste ist noch nicht annähernd vollständig, doch sie wächst. Da wäre einmal der frühere BZÖ-Verteidigungsminister Herbert Scheibner. Dieser ließ hunderttausende Euro an Provisionen über die Vereinigten Arabischen Emirate, Zypern und die Britischen Jungferninseln laufen. Oder der greise Waffenindustrielle Gaston Glock. Über dessen kreative Steuererklärungen hatte profil 2001 berichtet. Und was bewog den früheren ÖVP-Vizekanzler Josef Taus eigentlich dazu, gemeinsam mit seinem Partner Martin Schlaff einen Briefkasten auf Zypern zu eröffnen?
Da wie dort ging es dabei immer nur um zweierlei: Intransparenz und – um ­einen in Fachkreisen gängigen Euphemismus zu strapazieren – Steueroptimierung.

Hintergrund

Julius Meinl
Der Bankier bewegte über ­Domizilgesellschaften im Umfeld der Meinl Bank in den vergangenen Jahren hunderte Millionen Euro. Kein anderer nutzte mehr Scheinadressen im Ausland.

Oryx Ltd., Cayman Islands
Somal A.V.V., Aruba
Armadillo Investments Ltd., ­Zypern
Meinl Bank Antigua Ltd., Antigua
Meinl Antigua Land and ­Properties Ltd., Antigua
Fifth Avenue Investments A.V.V, Aruba
Park Avenue ­Investments A.V.V., Aruba
Tshela A.V.V., Aruba
Hellemund Corporation A.V.V, ­Aruba
Lancerus Investment A.V.V., Aruba
Julius Meinl Finance N.V., Curacao
Coffee Finance A.V.V, Aruba
Communfin N.V., Curacao
Delta Asset Management Ltd., Bermuda
Geojet Ltd., Bermuda
Gipel Management Ltd, Britische Jungferninseln
Socanza Holdings Ltd., Zypern
Armadillo Investments Ltd, Zypern

Wolfgang Flöttl
Der Filius des legendären Bawag-Generals Walter Flöttl wusste ­Einkünfte und Vermögenswerte stets kreativ zu verbuchen.

Ross Capital Markets Ltd., ­Bermuda
International Asset Management Ltd, Bermuda
Technical Arbitrage Investments Ltd., Cayman Islands
MEL Holdings Ltd., Bermuda
Applegrove Investments Ltd., ­British Virgin Islands
Capper Ltd., Bermuda

Karl-Heinz Grasser
KHG wollte nie ein „Fall Androsch“ werden. Das ist ihm gelungen. So viele Briefkästen führte vor ihm noch kein Finanzminister a. D.

Silverwater Stiftung, Liechtenstein
Waterland Stiftung, Liechtenstein
Silverwater Invest and Trade Inc., Britische Jungferninseln
Man Angelus Ltd., Zypern
Levesque Holding Ltd., Zypern
Geimain Ltd., Zypern
Ferint AG, Schweiz
Mandarin Group Ltd., Belize

Herbert Scheibner
Der frühere BZÖ-Verteidigungs­minister kassierte von mehreren Auftraggebern hunderttausende Euro an Provisionen, darunter auch vom Eurofighter-Hersteller EADS. Natürlich über Umwege.

S.I.T. FZE, Vereinigte Arabische Emirate
Tussonia Ltd., Zypern
Colonial Trading Ltd., Britische Jungferninseln

Gaston Glock
Der Waffenindustrielle i. R. nutzte einst ein dichtes Geflecht an ­Domizilgesellschaften – was ihm 2001 Probleme mit der österreichischen Finanz bescheren sollte (die später still und leise bereinigt wurden).

Unipatent Holding SA, Luxemburg
BASE Technical Engineers Ltd., Großbritannien
Reofin International S.A., Panama
Taziria Holding Ltd., Aruba
Minami Holding, ­Liberia
Glock America NV, Curacao

Alfons Mensdorff-Pouilly
Der Lobbyist schickte im Auftrag seines verstorbenen „Wahlonkels“ Timothy Landon Millionen um den Globus.

Valurex International S.A., ­Panama
Brodmann Business S.A., Britische Jungferninseln
Prefinor International S.A., ­Britische Jungferninseln
Pomarex Group S.A., Britische Jungferninseln

Walter ­Meischberger
Hocheggers Partner für alle Fälle. Auch er nutzte Scheinadressen – und kann Einkommensteuer­erklärungen bis heute nicht ­unfallfrei ausfüllen.

Omega International LLC, ­Delaware
Mandarin Group Ltd., Belize

Peter Hochegger
Über Hocheggers zypriotischen Briefkasten liefen mehrfach ­dubiose Zahlungen, darunter die notorischen Buwog-Provisionen.

Astropolis Investments
Consulting Ltd., Zypern

Herbert Stepic
Der Vorstandschef von Raiffeisen International hat Ärger mit der ­Finanzmarktaufsicht. Eine ihm ­zugerechnete Liechtensteiner Stiftung soll über einen zypriotischen Briefkasten in einen merkwürdigen Immobiliendeal in Serbien verwickelt sein.

Enthusa Limited, Zypern
Restern Foundation, Liechtenstein

Josef Taus
Gemeinsam mit Geschäftsmann Martin Schlaff unterhielt der frühere ÖVP-Parteiobmann zumindest eine Adresse auf Zypern, an welche der Telekom-Austria-Konzern „Beraterhonorare“ überwies.

Holdenhurst Holding Ltd., Zypern