Die Wiener befürworten per Volksbefragung den Führerschein für aggressive Vierbeiner

Beißkräftig: Die unheimliche Macht der Hundelobby

Das Hunde-Syndikat protestiert

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Hundewesen in Theorie und Praxis am Beispiel des American Staffordshire Terriers und wie ihn das Magazin „Wuff“ sieht: „Der Stafford freut sich über jeden Besuch und ist sogar zu Fremden immer freundlich, daher auch nicht unbedingt als Wachhund geeignet. Sein Leben lang bleibt er verspielt und menschenfreundlich, bereit für jeden Unsinn.“ Zeitungsmeldung vom 3. Februar: „Vierjähriges Mädchen von American Staffordshire Terrier verletzt“; Meldung vom 4. Februar: „Staffordshire-Rüden verletzten Steirer und seine beiden Hunde.“

Der Rottweiler und wie ihn „Wuff“ nach den Standards der „Fédération Cynologique Internationale“ beschreibt: „Von freundlicher und friedlicher Grundstimmung, kinderliebend, ist er sehr anhänglich, gehorsam, führig und arbeitsfreudig.“ Meldung vom 28. Dezember: „Rottweiler biss Kleinkind tot“; Meldung vom 5. Februar: „Rottweiler töten ältere Frau.“

„Familienhunde“ in der kynologischen Theorie, „Kampfhunde“ in der medialen Praxis – und nach Auffassung des Wiener Bürgermeisters Michael Häupl ein derart dringliches Problem, dass es neben Citymaut, Nacht-U-Bahn, Hausmeister-Wiederbelebung und Ganztagsschulen einer Volksbefragung zuzuführen war. Das deutliche Endergebnis von vergangener Woche: Knapp 90 Prozent der Teilnehmer beantworteten die Frage „Sind Sie dafür, dass es in Wien für so genannte ,Kampfhunde‘ einen verpflichtenden Hundeführschein geben soll?“ mit Ja.

Grundlage des „Kampfhundeführ(er)-scheins“ ist eine schwarze Liste des Rathauses, hinter der Laien eher südamerikanische Pornodarsteller und englische Grafschaften als Hunderassen vermuten würden: Dogo Argentino, Fila Brasileiro, Tosa Inu, Argentinischer Mastiff, Mastiff, Bullmastiff, Staffordshire, Bullterrier, American Staffordshire Terrier, Mastino Napoletano, Mastín Español, Rottweiler, Pitbullterrier. Das Führerscheinargument der verantwortlichen SPÖ-Stadträtin Ulli Sima: Kampfhunde machten zwar nur fünf Prozent aller Hunde in Wien aus, verursachten aber 25 Prozent aller Bissverletzungen.

Ein kleiner Satz für eine Stadträtin, eine große Provokation für ein soziales Netzwerk, vor dem normalerweise sogar Bürgermeister Michael Häupl kneift: die Hunde-Lobby. Deren Macht liegt in der großen Zahl. 600.000 Hunde bellen und beißen hierzulande ordnungsgemäß gemeldet, geschätzt 400.000 illegal als U-Boote. „Eine Million Österreicher leben mit einem Hund im Haus“, sagt Alexandra Neubauer, die vor Kurzem ihre Werbeagentur in Niederösterreich verkaufte und sich einem neuen Projekt widmet: der Gründung des ersten Österreichischen Hundehalterverbands. Der ÖHV bezweckt gemäß Statuten „die Förderung und Vertretung der Hundehalter in allen hundehaltungsspezifischen Belangen“ und bietet „Serviceangebote für Hundehalter“ – ein ÖAMTC für Zwei- plus Vierbeiner.

Neubauer besitzt seit ihrer Kindheit Hunde, derzeit einen Podenco Ibicenco. Barba ist ein Flüchtling aus dem Süden. In Spanien werden Podencos als Jagdhunde eingesetzt und bei mangelnder Eignung mit Drahtschlingen an Bäumen aufgeknüpft – erzählen die Podenco-Retter außerhalb Spaniens.

Neubauers langjähriger Bekannter Gerald Pötz, 39, bildet die publizistische Speerspitze der Hunde-Lobby. Vor 15 Jahren gründete er das Magazin „Wuff“, laut Pötz das einzige Fachmedium, das unabhängig berichtet und auf Inserenten wie die Futtermittelindustrie keine Rücksicht nimmt. Co-Gründer und Chefredakteur ist Hans Mosser, hauptberuflich Primararzt am Radiologie-Institut des Landesklinikums Krems, und damit ein beinahe unantastbares Testimonial in Hundefragen.

Rassismusverdacht.
Im „Wuff“-Büro im niederösterreichischen Maria Anzbach hängen ein Porträt eines Bullterriers und Karikaturen an der Wand. Im Besprechungszimmer steht eine Schäferhundskulptur. Wer glaubt, die Cheflobbyisten Neubauer und Pötz als verbohrte Hunde-Fundamentalfanatiker entlarven zu können, irrt: rationale, sympathische Leute, die „Gackerl ins Sackerl“ für eine Selbstverständlichkeit und Hunde nicht für bessere Menschen halten. Und Dinge sagen wie: „Es gibt viele Leute, die keinen Hund haben sollten.“ Oder: „Manche Rassen eignen sich nicht für eine Stadt.“ Der Hundeführerschein sei richtig – auf freiwilliger Basis, Simas Liste freilich „rassistisch“, weil bestimmte Hundehalter dadurch „stigmatisiert“ würden: „Es gibt keine Kampfhunde.“ Pötz wurde vor drei Wochen auffällig, weil er den Rassenkampf mit zweifelhaften Assoziationen führte. In einer Anzeige bildete er einen Rottweiler-Welpen mit gelbem Stern auf der Brust ab.

Pötz’ Glaube an das Gute im Hunde ist unerschütterlich. Unglaublich scheint, dass es der private Familien-Rottweiler war, der das einjährige Mädchen Ende Dezember in Niederösterreich tötete. Pötz’ Verdacht, den er auch zur Anzeige brachte: Der scharfe Diensthund des Familienvaters, eines Polizisten, habe das Kind getötet. Die meisten Bissverletzungen passierten aus Versehen, bedauerliche Haushaltsunfälle, schuld sei letztlich das Herrl, nicht der Hund. Pötz wurde erst einmal gebissen, von einem aggressiven Hund aus dem Tierheim. Am Finger blieb eine Narbe.

In ihrer Anti-Diskriminierungskampagne stützen sich Pötz und Neubauer auf wohlorganisierte Interessenvertretungen: zuvorderst den Österreichischen Kynologenverband, Dachvereinigung von 100 Züchterverbänden und 500 angeschlossenen Vereinen; Gebrauchshundesport-Verband; Polizei- und Bundesheer-Hundeeinheiten; Interessenvertretung der Österreichischen Tierärzte; Futterindustrie; Zoohandel; private und universitäre Forschungseinrichtungen; Madeleine Petrovic, Präsidentin des Wiener Tierschutzvereins. Die frühere Grünen-Chefin („Es gibt keine Kampfhunde“) hatte einst das Parlament durch Mitnahme ihrer Dogge zur Hundezone gemacht und schon im Jahr 2000, ­begleitet von einem Lab­rador-Bullmastiff-Mischling, eine Pressekonferenz zum Thema „Killerhunde“ abgehalten. Der Tier­schutzverein ist Sammelpunkt der Prominenz, einer für bissige Lobbys unverzichtbaren Macht. Kynophile, aus Funk und Fernsehen bekannte Persönlichkeiten sind Hugo Portisch, Ingrid Thurnher, Hansi Hinterseer, Karl Moik (unvergessen: der Fernsehwastl!), Alfons Haider, Mirjam Weichselbraun und Thomas Schäfer-Elmayer.

Der mächtigste Hunde-Lobbyist des Landes ist wie Pötz Verleger: Hans Dichand, der „lieber daheim seinen Hund streichelt, als Macht auszuüben“. Dass die Stadt Wien nicht mit drastischen Strafen gegen Hunds­trümmerl-Sünder vorgeht, ist auch Verdienst des „Krone“-Eigentümers. Dichand wird nachgesagt, Artikel über Bissattacken nur in drastischen Ausnahmefällen ins Blatt zu rücken. Dafür dürfen selbst linkest-linke Grünpolitiker mit Fotos in der „Krone“ rechnen, solange sie als Ausländer- auch Hundefreunde bleiben. Für Irritation in der „Wuff“-Redaktion sorgte freilich, dass „Krone“-Tiertante Maggie Entenfellner („Kein gesunder Hund wird aggressiv geboren“) offenbar wider besseres Wissen Ulli Simas Hundeführerschein-Kampagne unterstützte.

Entenfellners Kolumnistenkollege im „Kurier“, Thomas Maurer, outete sich in der Vorwoche als Besitzer eines Bullterriers. Es sei irritierend, als solcher für „psychisch geschädigt“ gehalten zu werden. Auch für Maurer, im Hauptberuf Kabarettist, existieren Kampfhunde nur unter Anführungszeichen. Sein Bullterrier sei „phlegmatisch freundlich“, also ungefährlich, aber zugegebenermaßen „schiach“ anzusehen, weil vom äußeren Erscheinungsbild „ein bleichsüchtiges Schweindl mit Halsband“.

Gernot   Bauer

Gernot Bauer

ist seit 1998 Innenpolitik-Redakteur im profil und Co-Autor der ersten unautorisierten Biografie von FPÖ-Obmann Herbert Kickl. Sein journalistisches Motto: Mitwissen statt Herrschaftswissen.