Kahlschlaganfall

Diplomatie. Agrarminister Berlakovich spart seine Attachés ein

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Birgit Hell hat einen Job, für den sie von vielen Kollegen beneidet wird. Als Agrar- und Umweltattachée des Lebensministeriums in Paris verfolgt sie fachspezifische Entwicklungen in der französischen Politik. Sie besucht Sitzungen in der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit (OECD) und berichtet darüber regelmäßig und ausführlich ihrem Ressortchef Nikolaus Berlakovich.

Die als fachkundig geschätzte Beamtin hat nur einmal die Prioritäten nicht richtig eingeschätzt. Während einer OECD-Sitzung im Dezember 2010 erreichte sie die Nachricht, dass ihr Ressortchef verspätet in Paris landen werde und den Anschlussflug zur Klimakonferenz in Cancún (Mexiko) verpassen könnte. Frau Hell entschied, dass auch ihre Sekretärin beim Flughafen intervenieren könnte, und befand es für wichtiger, die Sitzung bis zum Ende zu verfolgen.

Ein schwerer Fehler. Der sonst so gelassen wirkende Minister verpasste den Weiterflug und bekam in Gegenwart von mitreisenden Journalisten einen Wutanfall. Er sprach von einem "Saustall“ an der Botschaft und drohte die Kündigung seiner Beamtin an. Später söhnte sich der Minister mit ihr aus, nicht zuletzt, weil die Expertin zur Hälfte der österreichischen Botschaft bei der OECD zugeteilt ist, die nicht auf sie verzichten wollte.

Nun könnte Frau Hell doch noch ihren Posten verlieren. Im Sparpaket der Bundesregierung hat Berlakovich eine Reihe von Einsparungen angekündigt. Damit er bei den Förderungen für Landwirte und Umweltprojekte nicht kürzen muss, entschloss er sich, 100 Millionen Euro bei Verwaltung und Bürokratie zu sparen.

Vom Sparstift sollen auch seine sieben Agrar- und Umweltattachés erfasst werden. Die Vertreterin in Paris wollte dazu auf profil-Anfrage keinen Kommentar abgeben. "Ich bin auf einer Sitzung“, so Hell.

Berlakovichs geplanter Kahlschlag unter den Standorten Prag, Budapest, Paris, Rom, Washington, Moskau und Zagreb - der Posten in Berlin wurde schon von seinem Vorgänger Josef Pröll eingespart - bringt nun die anderen Ministerien in Verlegenheit. Wenn Attachés so leicht ersatzlos gestrichen werden können, wie lassen sich dann die Kosten für die übrigen knapp 70 ministeriellen Auslandsexperten rechtfertigen? Die grüne EU-Abgeordnete Ulrike Lunacek: "Wenn wir Attachés abschaffen, dann muss das für alle Bereiche gelten - auch und besonders für Militärattachés. Ich sehe nicht ein, warum deren Präsenz im Ausland wichtiger sein soll als die von Umweltattachés.“ Auch der außenpolitische Sprecher der ÖVP, Reinhold Lopatka, erkennt Einsparungsbedarf. Sinnvoll seien Attachés nur in Brüssel: "Im Regelfall kann deren Arbeit von Diplomaten gemacht werden.“

Der frühere EU-Agrarkommissar Franz Fischler sieht das ähnlich. Neben Brüssel sei eigentlich nur noch der Posten in Rom sinnvoll, wo die UN-Ernährungsorganisation FAO angesiedelt ist. "Aber wozu wir etwa einen eigenen Agrarvertreter in Prag brauchen, versteht kein Mensch“, so Fischler. Viele Aufgaben könnten Beamte auch von Wien aus erledigen.

"Diplomaten sind Generalisten“, warnt Außenamtssprecher Peter Launsky-Tieffenthal. "In Spezialbereichen ist es sicher von Vorteil, wenn Experten ins Ausland geschickt werden.“

Neben rund 20 Verteidigungsattachés werken derzeit Experten der Ministerien für Inneres, Finanzen, Wissenschaft, Soziales, Bildung sowie Agrar- und Umwelt im Ausland (siehe Kasten).

Weitgehend unbestritten sind die Vertreter der Ministerien in Brüssel. 170 Arbeitsgruppen der EU tagen dort regelmäßig und bereiten Entscheidungen für die EU-Ministerräte vor. "Hier ist wirklich die Expertise von Fachreferenten gefragt“, betont Hubert Heiss, Leiter der EU-Sektion im Außenministerium. "Da sollte man wirklich nicht sparen, weil es auch um Durchsetzung von österreichischen Interessen in der EU geht.“

Doch der anlaufende Aufbau eines eigenen Europäischen Auswärtigen Dienstes mit eigenen EU-Botschaften in Drittstaaten erfordert Reformen in der österreichischen Diplomatie. "Wir werden den Mehrwert so mancher Botschaft überdenken müssen“, so der frühere Generalsekretär im Außenministerium, Albert Rohan. "Auch viele Attachés der Ministerien sind nicht immer notwendig.“

"Enormes Einsparungspotenzial“ erkennt der frühere ÖVP-Vizekanzler und Balkan-Experte Erhard Busek in den traditionellen Botschaften. "Wenn sich Minister und hohe Beamte ohnehin ständig in Brüssel treffen, wozu braucht man dann in jeder EU-Hauptstadt teure Botschaften? Da könnte man gemeinsame Vertretungen mit anderen EU-Ländern einrichten. Und wer braucht im Zeitalter des Internets noch Berichte von Botschaftern, die oft nur aus den lokalen Zeitungen abschreiben?“ "Viel flexibler“ als jetzt sollte auch die Kulturarbeit erfolgen. "Die teuren Kulturinstitute sollte man zusperren und durch Anmietung von Veranstaltungssälen ersetzen“, so Busek.

Dem widerspricht Emil Brix, Botschafter in London und ehemaliger Leiter der Kultursektion im Außenministerium. "Österreich muss weiter Flagge zeigen“, so Brix. Die klassische Diplomatie mit Cocktailempfängen, Geheimdepeschen und Arrangieren von Besuchen im Gastland sei ohnedies "längst überholt“. "Heute sind Diplomaten Netzwerker und Lobbyisten. Auf diese zu verzichten wäre etwa so, wie wenn man dem ORF alle Auslandskorrespondenten streichen würde, weil man eh alle Berichte über Agenturen kriegt.“

Brix hält auch die Fachattachés für unverzichtbar, "solange sie ihren Job richtig machen“.

Die von Berlakovich geplante Streichung der Agrar- und Umweltattachés sei daher "extrem kurzsichtig“. Brix selbst hat die Entsendung eines Finanzattachés nach London durchgesetzt, "weil die Entwicklungen auf dem Finanzplatz London direkte Auswirkungen auf Österreich haben können“.

Bewährt haben sich die 27 "polizeilichen Verbindungsbeamten“ des Innenministeriums, die etwa in Balkanländern, in Nordafrika oder auch in Thailand zu den lokalen Polizeibehörden Kontakt halten. Als Beispiel für gelungene Kooperation nennt der Sprecher des Innenministeriums, Karl-Heinz Grundböck, die Festnahme der so genannten "Dalton-Bande“ 2010 in Italien, die in Österreich gleich neun Banken überfallen hatte. Der Verbindungsbeamte in Rom habe in Fluchtautos gefundene Spuren italienischen Kollegen vorgelegt, worauf rasch die Identität der Gangster feststand.

Die Sinnhaftigkeit der Tätigkeit der drei Attachés des Sozialministeriums in Moldau, Kroatien und Serbien ist weniger ersichtlich. Sie sollen dort über das europäische Sozialmodell informieren und mithelfen, soziale Mindeststandards anzuheben, heißt es. Zusätzlich würden auch bilaterale Abkommen zur Sozialversicherung vorbereitet.

Den von BZÖ-Ministerin Ursula Haubner nach Rumänien entsandten Beamten, der sich dort auch um die deutsche Volksgruppe kümmern sollte, hat Sozialminister Rudolf Hundstorfer vor Kurzem abgezogen.

Verteidigungsminister Norbert Darabos hält an seinen 20 Verteidigungsattachés eisern fest. "Wir erhalten von ihnen wertvolle Informationen, gerade aus Regionen, in denen Bundesheersoldaten stationiert sind.“ Einige Posten in der unmittelbaren Nachbarschaft seien ohnedies eingespart worden. So gebe es jetzt zwei Offiziere, die von Wien aus mehrere EU-Länder betreuen würden.

Brigadier Reinhard Schöberl ist seit drei Jahren Militärattaché in Belgrad, von wo aus er auch Mazedonien und Montenegro mitbetreut. Zweck seiner Arbeit sei, "die Balkanländer auch durch militärische Kooperation näher an die EU heranzuführen“. Die früher oft geläufige Beschreibung, Militärattachés seien legale Spione, treffe längst nicht mehr zu. "Wir erhalten unsere Informationen über offizielle Quellen und Kontakte.“

Einer seiner Vorgänger hatte freilich am Beginn des NATO-Luftkriegs gegen Serbien beim Schutz der österreichischen Botschaft übers Ziel geschossen. "Er wollte eine Art Scharfschützenstellung im ersten Stock einrichten“, erinnert sich ein Diplomat. "Von dort wollte er auf mögliche Eindringlinge schießen.“

Spitzendiplomat Rohan hält es für "unnötig“, in fast jeder europäischen Hauptstadt einen Militärattaché zu haben. "Heute kriegt das Bundesheer alle wichtigen Informationen von der NATO, im Rahmen der Partnerschaft für den Frieden. Ich sehe nicht, was ein eigener Offizier dazu noch liefern könnte. Das ist ein Musterbeispiel für obsolete Diplomatie.“