Erlösung zwischen Leben und Tod

Black Sabbath: Erlösung zwischen Leben und Tod

Rock. Black Sabbath veröffentlichen wieder ein Studioalbum mit Sänger Ozzy Osbourne

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Von Philip Dulle

Eigentlich ist alles wie immer. Ozzy Osbourne hatte erst kürzlich einen Rückfall. Der Alkohol. Schon wieder. Tony Iommi, 65-jähriger Gitarrengott, der seine Gitarre seit seinem 17. Lebensjahr mit zwei Fingerprothesen spielt, ist während den Vorbereitungen zum neuen Album an Lymphdrüsenkrebs erkrankt. Geezer Butler, Veganer, Bassist und Hauptsongschreiber der Band und nur zwei Jahre jünger als Iommi, schaut derweil nicht wirklich gesünder aus als seine beiden Kollegen. Die drei haben vier Jahrzehnte Drogen, Alkohol und Rock’n’Roll hinter sich. Ein Wunder, dass die kranken Männer Mitte sechzig überhaupt noch leben. Der einfachste Teil sei es, sich darauf zu einigen, dass man ein neues Black-Sabbath-Album macht, erklärte Ozzy kürzlich in einem Interview: „Danach geht meistens alles schief.“ Ihren einstigen Schlagzeuger Bill Ward mussten sie aus der Band werfen. Ward, von unzähligen Herzattacken und Paranoia gezeichnet, kann sich angeblich keine drei Songs mehr merken. Das ist sogar für Black Sabbath zu viel.

Und Ozzy? Dem ist das auch schon mal passiert. Vor mehr als 30 Jahren haben sie ihn aus der Band geworfen. Man konnte sich einfach nicht auf diesen Typen verlassen, der immer zu spät kam, niemals nüchtern wurde und sich statt Koks auch mal eine Linie Ameisen durch die Nase schnupfte. So geht zumindest die Legende. Und man weiß auch gar nicht, bei welcher Anekdote man anfangen sollte, wenn man von Ozzy spricht. Zu viele sind es. Die mit dem abgebissenen Fledermauskopf kennt jeder. Auch die groteske MTV-Reality-Show „The Osbournes“, die Ozzy als überforderten alten Mann zwischen Frau und Kindern zeigt, der kaum noch die einfachsten Dinge verrichten kann und wie eine Marionette dem Serienskript folgt. Ein Gespenst, mehr tot als lebendig. Ein Clown in schwarzen Kleidern, der nicht mehr weiß, dass die halbe Welt über ihn lacht. Er, der Fürst der Dunkelheit? Zum Totlachen.

Dass Black Sabbath, die Band aus den englischen Bergbau-Slums rund um Birmingham, Ende der Sechziger nicht nur den Heavy Metal erfunden hat, sondern auch eine Antithese zur Hippie-Musik geschaffen hat, ist auch so eine Legende. Mit der Flower-Power-Folklore der Sechziger konnten die Jugendfreunde aus der Nachkriegsunterschicht in England ohnehin nichts anfangen. Ihre Musik sollte so klingen, dass die Leute sich fürchteten. Ihren Blues haben sie dafür mindestens einen Halbton tiefer gespielt. Und irgendwann wurde aus dem Blues eben richtig fieser Rock – und aus drei Schuljungen, die sich vor der Arbeit drücken wollten, die Band Black Sabbath.

Dass nun, 43 Jahre nach der Gründung, tatsächlich ein neues Black-Sabbath-Album erscheint, ist vor allem einem Mann geschuldet: Rick Rubin. Der Star-Produzent mit dem Rauschebart, der in den Achtzigern in New York City nicht nur schwarzen Rappern zu Mainstreamerfolgen verhalf, sondern auch einem greisen Johnny Cash zu einem zweiten Frühling verhalf, war für die drei kranken Typen von Black Sabbath genau der Richtige. Sein Geheimnis liegt darin, Künstler daran zu erinnern, woher sie eigentlich kommen; wie ihre Anfänge waren und was sie danach alles falsch gemacht haben. Dass war nicht nur bei Johnny Cash so, auch die Problemkinder von Metallica und Neil Diamond nahm er unter seine Fittiche. Mit Erfolg, wenn man so will.

Sein Rezept veränderte Rubin auch bei Black Sabbath nicht: Er lässt Ozzy, Tony und Geezer die Geschichte einfach nochmal erzählen. Von Anfang an. Vielleicht ein wenig besser. Mit der Weisheit des Alters und ein paar technischen Kunstgriffen. Und plötzlich klingt Ozzy besser als mit Mitte Zwanzig, kann Iommi nochmal die besten Riffs der Rockgeschichte schreiben und Butler ungemein monoton dahinbrummen. Der Rock’n’Roll von Black Sabbath im Jahr „13“ nach Christus schleppt sich dahin wie ein sterbendes Tier, das sich noch ein letztes Mal aufbäumt. Auf der Bühne stehen, die Kraft spüren, ein paar Moralisten vergraulen und ein wenig böse sein: Die Songs sind länger, die Gitarren kraftvoller und die Solis ausschweifender. Rick Rubin holt nicht nur die alte Erinnerung zurück, er transformiert das Trio ins Hier und Jetzt. Eine perfekte Inszenierung, die ihr verdientes Ende in einem Meisterwerk findet.

Um das Ende ging es bei Black Sabbath ohnehin immer: Ich möchte nicht für immer leben, aber ich will auch nicht sterben, singt Ozzy im zentralen Song „Live Forever“; Gedanken eben, die einen in der Nacht quälen, wenn die Schlaftabletten und der ganze Rotwein wieder nicht wirken. Er singt dabei nicht nur von sich, sondern auch von der Band, von seinen beiden Kollegen, die sich nicht nur fast ihr ganzes Leben lang kennen, sondern noch einmal zusammengefunden haben, um ihr Testament auf Platte zu brennen. Black Sabbath haben ihre Erlösung schon immer im Grenzbereich von Leben und Tod gefunden. Den Frieden jedoch, werden sie nicht finden.

Aber sie leben noch. Die Band hat die Welttournee rund um die Bestrahlungstermine von Tony Iommi gelegt. Ozzy soll inzwischen wieder weg sein vom Alkohol. Black Sabbath, das ist der ewige Kampf zwischen Gut und Böse, Gott und Satan – und Ozzy, Iommi und Butler irgendwo mittendrin. Diese Runde geht an sie. Wer möchte schon ewig leben?