Bröckelndes Bollwerk

Bröckelndes Bollwerk: Darabos' Rücktritt und die SPÖ

SPÖ. Norbert Darabos übernimmt in der Löwelstraße eine Großbaustelle

Drucken

Schriftgröße

Die „Kurier“-Schlagzeile verhieß nichts Gutes: „Norbert Darabos für Aufgabe bereit: In der SPÖ-Zentrale zeichnen sich Turbulenzen ab.“ Der so aktuell anmutende Zeitungstitel über das Revirement bei den Roten ist fast auf den Tag genau zehn Jahre alt. Damals, am 3. März 2003, war der Burgenländer als Co-Geschäftsführer Doris Bures zur Seite gestellt worden, nachdem sich Andrea Kuntzl auf den Posten der SPÖ-Wissenschaftssprecherin zurückgezogen hatte.

Bei seinem zweiten Einzug ins Parteihaus mag Darabos vieles ernüchternd erscheinen: Das einst so mächtige und geheimnisumwitterte Bollwerk der Sozialdemokratie ist heute ein weitgehend handlungsunfähiger Torso.
Löwelstraße 18 – das war ein denkwürdiger Ort gewesen. Früher stand hier die Löwelbastei der Wiener Stadtbefestigung; die blutigsten Kämpfe der Türkenbelagerung von 1683 gab es genau an dieser Stelle. Nach dem Schleifen der Stadtmauer baute man entlang der nunmehrigen Löwelstraße Wohnhäuser für betuchtere Bürger. Im Juni 1945 zogen die Sozialdemokraten in eines dieser Gebäude. Seither ­residieren deren Vorsitzende im Erkerzimmer des zweiten Stockwerks. Der mächtige Parteiapparat – auf dem Höhepunkt in den 1970er-Jahren zählte man 700.000 Mitglieder und 70.000 Funktionäre – wurde von hier dirigiert. Die „Löwelstraße“ verwaltete Beteiligungen an Druckereien und Reisebüros, Versicherungen, Buchhandlungen, Verlagen, Tageszeitungen und Schulungsheimen. Heute haben die Sozialdemokraten gerade noch das Low-Budget-Hotel neben der Parteiakademie Renner-Institut und das Café auf der Schönbrunner Gloriette im Portefeuille.

Am politisch nachhaltigsten wirkte sich allerdings eine schon unter Alfred Gusenbauer von schwerer Finanznot erzwungene Organisationsreform aus: Die mehr als 100 SPÖ-Sekretariate in den österreichischen Bezirken, deren Chefs bis dahin Angestellte der Bundes-SPÖ waren, wurden damals von den Landesorganisationen übernommen. Die Bundespartei hatte damit kein bundesweites Durchgriffsrecht mehr.

Entsprechend fiel die personelle Ausdünnung in der Parteizentrale aus. Zuletzt wurden sogar wichtigste Posten eingespart: Es gibt keinen Organisationssekretär mehr – einst die bedeutendste Funktion im Parteihaus. Die Personalchefin und die für die Analyse der Meinungsforschung zuständige Grundlagenabteilung wurden wegrationalisiert. Das Internationale Referat, das einst Bruno Kreiskys außenpolitische Aktivitäten koordiniert hatte, wurde in die Parteiakademie ausgelagert. Den Finanzchef macht der von Werner Faymann beauftragte Wirtschaftstreuhänder Günther Havranek extern.

Chronisch klamme Partei
Havranek, der als Treuhänder eine zentrale Rolle bei der Gründung von Eva Dichands U-Bahn-Zeitung „Heute“ gespielt hatte, orchestrierte in den vergangenen Jahren die massiven Personalkürzungen der chronisch klammen Partei. Die Schnitte gingen stellenweise tief. Dem abgehenden Bundesgeschäftsführer Günther Kräuter unterstanden zuletzt nur noch seine Sekretärin und sein parlamentarischer Mitarbeiter.
Ein zumindest formal noch größeres Ressort verantwortete die für Kommunikation zuständige Geschäftsführerin Laura Rudas, der auch der SPÖ-Pressedienst untersteht. Zwischen den beiden SPÖ-Managern stimmte die Chemie allerdings von Beginn an nicht. „Zuletzt gab es Grabenkämpfe wie am Isonzo“, vergleicht ein geschichtsmächtiger Parteimitarbeiter die internen Auseinandersetzungen mit dem Ersten Weltkrieg.

Nur folgerichtig, dass sich in diesem Klima die Pannen häuften. In der „Reichshälfte“ von Laura Rudas etwa trug sich im Spätherbst 2011 die Facebook- und Leserbrief-Affäre zu: Es war aufgeflogen, dass für Werner Faymanns Facebook-Seite schockweise „Freunde“ aus Katalogen gekauft worden waren. Überdies wurden von Computern der Parteizentrale jahrelang die SPÖ bejubelnde Leserbriefe mit falschen Namen an Tageszeitungen geschickt.

Der nächste Bauchfleck, die Organisation des Parteitags im vergangenen Herbst, fiel in die Verantwortung Günther Kräuters. Er hatte eine Eventagentur mit der Ausstattung des Konvents beauftragt. Die „Presse“ bescheinigte dem tristen Ergebnis „Ostblock-Charme in der Betonhalle“. Dass Werner Faymann dann lediglich mit 83 Prozent der Delegiertenstimmen wieder zum Parteivorsitzenden gewählt wurde, komplettierte das Debakel.

Auslöser für das nunmehrige Revirement war allerdings das Versagen der Parteizentrale vor der Abstimmung über die Wehrpflicht. Anfragenden Journalisten wurde von Kommunikationschef Oliver Wagner nur die Handynummer von Günther Kräuter übermittelt: Dieser sei für die Abstimmung allein zuständig. Er, Wagner, ressortiere ausschließlich zu Laura Rudas, und sie habe damit nichts zu tun.

Obsoletes Organigramm
Das Abstimmungsergebnis war für die SPÖ entsprechend blamabel: Nur 43 Prozent der SPÖ-Wähler von 2008 hatten, wie von der Bundespartei empfohlen, für ein Berufsheer gestimmt. Damit war das Schicksal der Parteizentrale in der aktuellen personellen Aufstellung besiegelt. Allerdings sei Faymann schon im vergangenen Sommer überzeugt gewesen, nicht mit dem Duo Kräuter/Rudas in den Wahlkampf gehen zu wollen, erzählen Eingeweihte.

Den Betroffenen war das offenbar nicht bewusst: Günther Kräuter legte dem Vorsitzenden noch vor zwei Wochen ein Organigramm für den Wahlkampf vor, das nun wohl Makulatur ist. Seit Mitte vorvergangener Woche sprach Faymann mit Darabos über die bevorstehende Rochade, die endgültige Entscheidung fiel dann am Wochenende in kleinem Kreis. Am Montag nach den Landtagswahlen wurde die Personalmaßnahme verkündet. Norbert Darabos, daran ließ Faymann keinen Zweifel, ist jetzt die Nummer eins in der Löwelstraße, Laura Rudas akzeptiert das (siehe Interview am Ende). Eine Wahlkampf-Entscheidung hat sich der Vorsitzende allerdings vorbehalten: Er will die Kampagne unbedingt von der Agentur Demner, Merlicek & Bergmann gestalten lassen.

Sein wichtigstes Personal bringt Darabos aus dem Ministerium mit: Pressesprecher Stefan Hirsch wird SPÖ-Kommunikationschef, der schon früher in der Löwelstraße tätige Paul Pöchhacker kümmert sich um die Meinungsforschung.

Neben der Großbaustelle SPÖ übernimmt Darabos auch eine Baustelle im engeren Sinn: Nach einem jährlichen Verlust von 150.000 Euro wurde vor einigen Wochen die Buchhandlung im Straßenlokal des Parteihauses aufgelassen. Nach entsprechenden Umbauten soll hier ein von der Restaurantkette Levante betriebenes Café auch Laufkundschaft in die Löwelstraße holen. Im Abgang hat der für die Baustelle verantwortliche Bundesgeschäftsführer Kräuter nun signalisiert, sich künftig nicht mehr darum kümmern zu wollen. Neuer Bauherr ist Norbert Darabos.

Der hat nach Meinung eines nahen Beobachters allerdings auch einen großen Vorteil: „Er kann es eigentlich nur besser machen.“

Interview
„Es sind sicher Fehler passiert“
SPÖ-Geschäftsführerin Laura Rudas über die Probleme der Partei­zentrale und ihr Auskommen mit Norbert Darabos.

profil: Frau Rudas, Norbert Darabos wird jetzt Wahlkampfleiter, Sie sind weiterhin für die Kommunikation zuständig. Wie geht das? Wahlkämpfe bestehen doch praktisch ausschließlich aus Kommunikation.
Rudas: Die genaue Aufteilung der ­Zuständigkeiten klären wir in den nächsten Tagen. Klar ist, Norbert Darabos ist Wahlkampfleiter, er gibt die Linie vor. Ich werde ihn unterstützen, wo es nur geht, vor allem bei der Kommunikation.

profil: Die Unzufriedenheit in der SPÖ über die Bundesgeschäftsstelle ist beträchtlich. Was ist denn da passiert?
Rudas: Es sind auch viele Dinge gelungen. Aber ja, in der Zusammenarbeit zwischen Günther Kräuter und mir sind sicher Fehler passiert. Jetzt geht es in den Wahlkampf, und da muss man sich die besten Köpfe holen. Mit einem erfahrenen Wahlkampfmanager wie Nobert Darabos zu arbeiten ist eine Ehre. Da ich ihn schon lange kenne und persönlich sehr schätze, freue ich mich auch schon darauf.

profil: Man hat von Ihnen in den vergangenen Monaten wenig gesehen. Sind Sie untergetaucht?
Rudas: Ich bin nicht untergetaucht und habe kein Interview abgelehnt. Bundesgeschäftsführer einer Partei haben nicht mehr dieselbe Medienpräsenz wie früher. Die letzte bundesweite Aktion war die Wehrpflichtabstimmung, zu der wurde ich – da ich sie nicht geleitet habe – nicht viel gefragt.

profil: Die einst so mächtige Parteizentrale in der Löwelstraße ist ziemlich menschenleer. Wie wollen Sie da einen Wahlkampf organisieren?
Rudas: Die Zeiten haben sich geändert, und wir haben leider erheblich weniger Geld als früher. Aber wenn man sich Kärnten ansieht, erkennt man, dass es auch anders geht: Man muss eine Bewegung zustandebringen und auf den direkten Kontakt setzen.