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Bush in der Falle der CIA

Bush in der Falle der CIA

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Der russische Geheimdienst FSB hat das Attentat in der Moskauer U-Bahn trotz angeblicher Hinweise so wenig verhindert wie die CIA trotz erwiesener Hinweise die Anschläge vom 11. September 2001. Erfolgreicher scheint der FSB beim Vertuschen der Zahl der Todesopfer, so wie die CIA mit mehr Erfolg für eine falsche Begründung des Irak-Feldzuges gesorgt hat. Die größten Nachrichtendienste erscheinen zunehmend unfähig, ihre aktuelle Aufgabe zu lösen, und sind restlos unglaubwürdig.

Die USA haben immerhin (im Gegensatz zu England) eine Überprüfung der CIA in Gang gesetzt. Und zwar nicht nur, weil die Demokraten, sondern weil auch viele Republikaner diese Untersuchung gefordert haben. Sie fühlen sich ähnlich in die Irre geführt wie ich: Selbst für diejenigen, die die Befreiung des Irak für das legitimere Ziel einer bewaffneten Intervention gehalten haben, hat Saddam Husseins angebliche Verfügung über Massenvernichtungswaffen doch wesentlich dazu beigetragen, den Waffengang tatsächlich zu akzeptieren. Ein Ausschuss des US-Kongresses soll daher vor allem untersuchen, welche Informationen über irakische Massenvernichtungswaffen die CIA besessen, wie sie sie aufbereitet und an George Bush weitergegeben hat. Denn daraus resultiert die Gretchenfrage: Wie ist der Präsident damit umgegangen?

In einer ersten Rede zur Voraus-Verteidigung seiner Organisation gegen die gärende Kritik hat CIA-Direktor George Tenet eine halbe Stunde lang die zahlreichen Hinweise aufgezählt, die die CIA in Bezug auf chemische und biologische Kampfmittel im Irak besessen hat, um diese dann freilich mit aller notwendigen Vorsicht zu resümieren: Die CIA habe als erwiesen angesehen, dass Saddam Hussein nachdrücklich versucht („intended“) habe, Programme zur Herstellung solcher Waffen in Gang zu setzen.

In der Vergangenheit war vonseiten der CIA immer von laufenden Programmen und fertig produzierten Kampfstoffen die Rede.

Drei Argumente sprechen dafür, dass die CIA – und mit ihr Bush – damals auch selbst an die Existenz dieser Waffen geglaubt hat:

Die US-Kampftruppen sind trotz der mörderischen Hitze in ABC-Schutzanzügen zum Sturm auf Bagdad angetreten. Auch alle anderen Nachrichtendienste, selbst der kritische französische, haben die Existenz chemischer Kampfmittel im Irak angenommen. Und selbst Iraks politische Elite war überzeugt, dass Saddam Hussein solche Waffen besitzt.

„Hussein hat uns offenbar bewusst in diesem Glauben gelassen“, findet einer von ihnen im CNN-Interview eine Erklärung für das gespaltene Verhalten des Diktators (der ja öffentlich – und wie sich nunmehr herausstellt zu Recht – den Besitz chemischer und biologischer Waffen bestritten hat). „Die Überzeugung, dass er doch über solche Waffen verfügt, hat seine interne Macht vermehrt, und außerdem hat er offenbar gedacht, dass es die USA von einem Angriff abhalten wird.“

Wenn das stimmt – und der Interviewte nicht von der CIA gekauft war –, dann lässt es die falsche Beurteilung durch die internationalen Nachrichtendienste zumindest in einem milderen Licht erscheinen: Wenn selbst hohe irakische Politiker der Überzeugung waren, Saddam Hussein sei im Besitz der verbotenen Waffen, dann musste sich das in allen Geheimdienstberichten aus diesem Land entsprechend niederschlagen. Saddam Hussein hätte dann, in falscher Einschätzung der amerikanischen Reaktion, wesentlich zu seinem Untergang beigetragen, indem er die CIA in ihrem Irrglauben belassen, ja bestärkt hat.

Die meisten Menschen glauben freilich eher an die andere Alternative: Die CIA hat sich nicht irreführen lassen, sondern immer gewusst, dass Saddam keine ernst zu nehmenden Kontingente chemischer oder biologischer Kampfstoffe besitzt. Sie hat den Präsidenten entweder bewusst falsch informiert oder ihm mit seinem Einverständnis einen falschen Kriegsgrund geliefert. Die Unglaubwürdigkeit der USA ist so groß, dass selbst diese letzte, schlimmste Version von niemandem ausgeschlossen wird.

Ich persönlich halte die Unfähigkeit der CIA für größer als ihre Unanständigkeit: Eher scheint sie mir an die Existenz chemischer und biologischer Waffen geglaubt zu haben, auch wenn Bushs Ambitionen diesen Glauben zweifellos beflügelt haben. Da es die Waffen jetzt offenkundig nicht gibt, versucht Tenet mittels der neuen Sprachregelung zwischen den beiden unangenehmen Alternativen – Unfähigkeit oder Unanständigkeit – hindurchzusteuern: Saddam Hussein „intended“ entsprechende Programme in Gang zu setzen.

George Bush kann und wird das nicht akzeptieren, sondern sich auf jene eindeutigen Berichte der CIA berufen, in denen von laufenden Produktionen die Rede ist. Doch dieser Widerspruch muss Tenet noch nicht den Kopf kosten. Um den geht es erst in einer anderen Passage aus Tenets TV-Auftritt: Er behauptet, als Bushs einziger relevanter Gesprächspartner, dem Präsidenten immer nur mitgeteilt zu haben, dass die Waffenprogramme des Irak ein Risiko, nie aber eine „unmittelbare Gefahr“ („imminent threat“) für die USA darstellten.

Das lässt nur drei Möglichkeiten offen: Entweder Tenet lügt und hat in Wirklichkeit sehr wohl eine unmittelbare Bedrohung behauptet. Oder Bush hat gelogen, als er die USA mit Berufung auf diesen „imminent threat“ in den Krieg geschickt hat. Oder beide lügen: Sie waren darin einig, dass es die „unmittelbare Bedrohung“ nicht gibt – doch dass sie, um des Krieges willen, einvernehmlich behauptet werden soll.