„Cameron ist der unehrlichste Premier“

„Cameron ist der unehrlichste Premier“

Interview. Der ehemalige Londoner Bürgermeister Ken Livingstone über die EU-Pläne der Torys und die Badehosen-Verordnung

Drucken

Schriftgröße

Interview: Edith Meinhart und Robert Treichler

profil: Die unvermeidliche Frage: rein oder raus?
Livingstone: Aus der EU auszutreten, macht keinen Sinn. Kein europäisches Land hat allein Gewicht. Großbritannien würde an den Rand gedrängt.

profil: Wie kommt Premier David Cameron gerade jetzt auf diese Idee?
Livingstone: Vergessen Sie eines nicht: Trotz starker Konkurrenz ist Cameron höchstwahrscheinlich der unehrlichste Premierminister, den Großbritannien zu meiner Lebenszeit hatte. Er hat die Bevölkerung in so vielen Fragen belogen und seine Wahlversprechen gebrochen, dass er jetzt von all dem ablenken muss – vor allem von seiner desaströsen Bilanz, was die Wirtschaft betrifft.

profil: Die EU-Skepsis ist nicht auf David Cameron beschränkt.
Livingstone: Ich kenne jedenfalls keinen Labour-Abgeordneten, der aus der EU austreten möchte. Ich glaube, dass es viel gibt, was wir an der EU reformieren sollten. Aber wir brauchen einen Handelsraum in der Größe Europas. Und wir könnten eine Menge Geld sparen, wenn wir etwa Militär und Außenpolitik europäisch organisierten.

profil: Großbritannien stemmt sich seit jeher gegen jede Form von politischer Integration.
Livingstone: Den Briten wurde immer gesagt, die EU sei nur eine Handelszone. Sie wurden jahrzehntelang von Tory- und Labour-Politikern über den Grund belogen, weshalb wir Mitglied der EU sind.

profil: Die frühere Labour-Regierung unter Tony Blair wagte es nicht, Großbritannien in den Euro zu führen. Sie selbst waren für einen Eurobeitritt.
Livingstone: Ja, obwohl ich den Euro schon damals für falsch konstruiert hielt. Deutschland, Österreich, die skandinavischen Staaten, die Niederlande und vielleicht Frankreich und Großbritannien hätten meiner Meinung nach anfangs den Euro einführen sollen, aber nicht die Mittelmeerländer. Die Unterschiede zwischen den Volkswirtschaften waren einfach zu groß. Ich war dafür, dass Großbritannien mitmacht, damit unser Immobilienmarkt modernisiert wird. In Großbritannien investieren immer noch viel zu viele Leute in ein Eigenheim, deshalb sind die Preise exorbitant hoch. In einem Euro mit den genannten Staaten hätten wir Strukturreformen durchführen müssen. Auch Frankreich hätte seine überregulierte Wirtschaft liberalisieren müssen. Aber es kam anders.

profil: Selbst ein Linker wie Sie kritisiert französischen Etatismus?
Livingstone: Ich war vor eineinhalb Jahren mit meinen Kindern in Frankreich in einem Hallenbad. Da wurde uns der Eintritt verweigert, weil unsere Badehosen nicht den landesweiten Vorschriften entsprachen. Das waren ganz normale Speedos, aber sie schlossen am Bein nicht so eng ab, wie es die Verordnung vorschreibt. Was für eine verrückte Idee, dass sich der Staat darum kümmert, mit welchen Badehosen man schwimmen geht!

profil: Dem Kontinent täte etwas mehr britischer Liberalismus zweifellos gut. Man hat aber den Eindruck, der politische Wille, europäisch zu agieren, fehlt in Großbritannien gänzlich.
Livingstone: Sehen Sie sich die Tories an. Sie sind vergleichbar mit der Tea Party in den USA: besessen von der Angst vor der Homo-Ehe. Einige von denen glauben vermutlich, Homosexualität gebe es bei uns erst seit dem EU-Beitritt.

profil: Cameron galt anfangs als moderne Version eines Konservativen. War das ein Irrtum?
Livingstone: Es ist wahr, er akzeptierte selbst die Homo-Ehe, er sprach sich gegen den Krieg gegen Drogen aus. Er wollte, dass die Tories nicht länger die garstige Partei seien. Aber in Wahrheit glaubt Cameron an gar nichts, außer daran, dass David Cameron Premierminister sein soll. Man kann nicht vorhersagen, was Cameron tun wird, weil er es selbst nicht weiß.

profil: Dann können Sie auch nicht vorhersagen, wie es mit Großbritannien weitergeht?
Livingstone: Doch. Labour-Chef Ed Miliband wird die nächsten Wahlen gewinnen. Er ist der erste Labour-Parteivorsitzende seit 20 Jahren, zu dem ich Vertrauen habe.

profil: Werden Sie selbst in den Wahlkampf ziehen?
Livingstone: Natürlich. Ich bin noch Mitglied im Nationalen Exekutiv-Komitee der Labour-Partei. Wenn ich nicht gerade im Garten arbeite, mich um Kinder und Haushalt kümmere oder als Experte für die ­Citymaut herumreise, werbe ich für ­Labour.

Zur Person
Ken Livingstone, 67. Der wegen seiner ausgeprägt sozialistischen Orientierung „Red Ken“ genannte Politiker war von 2000 bis 2008 Bürgermeister von London und davor lange Zeit Abgeordneter im Unterhaus. Bei den Bürgermeisterwahlen kandidierte er als Unabhängiger, weil Labour-Chef Tony Blair, der Livingstone nicht mochte, einen anderen Kandidaten aufstellen ließ. ­Livingstone siegte 2000 und 2004; 2012 unterlag er gegen den Tory-Kandidaten Boris Johnson.