Die Akte Kasachgate

Causa Aliyev: Alfred Gusenbauer unter Spionageverdacht

Exklusiv. Alfred Gusenbauer unter Spionageverdacht

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Der Mann hat eigentlich alles, was der Machtmensch so braucht: ein rohstoffreiches Land, ein Präsidentenamt ohne Ablaufdatum, ein gefügiges Parlament, einen mächtigen Polizeiapparat, einen eigenen Feiertag, Denkmäler, Geld wie Heu – und, sehr exklusiv, Immunität vor Strafverfolgung auf Lebenszeit. Wenn Kasachstans Staatspräsident Nursultan Nasarbajew etwas fehlt, dann ist es A) ein guter Ruf im Westen und mehr noch B) die Anwesenheit seines abtrünnigen Ex-Schwiegersohnes Rakhat Aliyev, einst Offizier des kasachischen Geheimdienstes KNB und später Kasachstans Botschafter in Österreich. Dieser soll hunderte Millionen Dollar aus der Familienkasse entwendet und obendrein die Entführung und Ermordung zweier Landsleute angeordnet haben. Dafür wurde Aliyev, der heute Shoraz heißt, in Kasachstan zu insgesamt 40 Jahren Haft verurteilt – in Abwesenheit. Er hat seinen Lebensmittelpunkt inzwischen nach Malta verlagert und zeigt eher keine Ambition, seine alte Heimat zu besuchen.

Während sich also Problem B hartnäckig einer Lösung verweigert, macht Nasarbajew bei Behebung von Problem A ungleich größere Fortschritte.

Längst wähnt sich der Autokrat – Unterdrückung politischer Opposition, freier Wahlen und ebensolcher Meinungsäußerung hin oder her – auf dem besten Weg in Europas Mitte. Schließlich hat er ja eine illustre Beraterrunde um sich geschart, die ihm bei der Vermenschlichung seiner selbst helfen soll. Allesamt aufrechte Demokraten und Staatsmänner a. D.: Deutschlands Altkanzler Gerhard Schröder, Großbritanniens Ex-Premier Tony Blair, Polens früherer Präsident Alexander Kwaśniewski, Italiens Romano Prodi – und Österreichs Alfred Gusenbauer, SPÖ-Bundeskanzler von Jänner 2007 bis Dezember 2008.

Guter Rat ist nicht ganz billig. Es gilt als offenes Geheimnis, dass Nasarbajew seine Triple-A-Konsulenten jährlich mit siebenstelligen Beträgen entschädigt, wobei Tony Blair mit kolportierten neun Millionen Euro Jahresverdienst ganz oben steht. Was man dafür leisten muss?

Nasarbajews „Seelenmasseure“
(profil 9/13) haben über Art und Umfang ihrer Tätigkeiten bisher nicht allzu viele Worte verloren. Alfred Gusenbauer etwa hatte bereits Anfang 2010 in aller Stille bei Nasarbajew angedockt, die Öffentlichkeit erfuhr davon erst ein Jahr später.

Seit dreieinhalb Jahren also steht Gusenbauer dem kasachischen „Führer der Nation“ zur Seite. Jedenfalls mit Rat. Doch möglicherweise auch mit Tat.
4 St 21/13b: Unter dieser Aktenzahl legte die Zentrale Staatsanwaltschaft zur Verfolgung von Wirtschaftsstrafsachen und Korruption (WKStA) vor wenigen Monaten einen Akt an, der – wenig überraschend – sofort zur Verschlusssache erklärt wurde.

"Kasachische Interessen im Verfahrenskomplex Aliyev"

Die darin formulierten Verdachtsmomente wiegen so schwer, dass sie mit Bekanntwerden wohl für innen- und außenpolitische Verwerfungen allerersten Ranges sorgen werden: Alfred Gusenbauer, Bundeskanzler der Republik Österreich außer Dienst, und der Wiener Rechtsanwalt Gabriel Lansky, einer der renommiertesten Repräsentanten seines Berufsstandes, sollen als Zuträger des kasachischen Geheimdienstes KNB fungiert und diesen mit vertraulichen Dokumenten aus dem österreichischen Parlament zum Fall Aliyev versorgt haben. Sie sollen, wie es justizintern heißt, „kasachische Interessen im Verfahrenskomplex Aliyev unterstützt“ haben.
profil legt Wert auf die Feststellung, dass es sich um eine Verdachtslage handelt. Bewiesen ist nichts, weder Gusenbauer noch Lansky wurden dazu bisher als Beschuldigte einvernommen. Es gilt die Unschuldsvermutung.

Auslöser der Investigationen soll nach profil-Recherchen eine Sachverhaltsdarstellung „aus dem russischen Raum“ gewesen sein, die zunächst Teil eines anderen Verfahrenskomplexes war. Bei der Korruptionsstaatsanwaltschaft waren bis vor Kurzem Untersuchungen gegen einen Oberst des Wiener Bundeskriminalamts wegen mutmaßlichen Amtsmissbrauchs in der Causa Kasachstan anhängig. Diese wurden zwischenzeitlich eingestellt. Die angezeigten Vorwürfe gegen Gusenbauer und Lansky aber wurden von der WKStA in einem gesonderten Akt (4 St 21/13b) gebündelt und der Staatsanwaltschaft Wien übermittelt. WKStA-Sprecher Erich Mayer sagt dazu nicht viel: „Ich kann nur bestätigen, dass wir einen Akt angelegt haben. Dieser wurde mangels Zuständigkeit an die StA Wien abgetreten.“ Das war Ende März dieses Jahres.

Der rechtliche Hintergrund: Gusenbauer und Lansky sind per Definition keine Amtsträger. Und das vermutete Vergehen ist kein Wirtschaftsdelikt im engeren Sinne. Daher der Behördenwechsel. Gusenbauer und Lansky werden eines Verbrechens verdächtigt, das dunkle Erinnerungen an den Kalten Krieg weckt: „Geheimer Nachrichtendienst zum Nachteil Österreichs“, definiert in Paragraf 256 des Strafgesetzbuches. Da heißt es knapp: „Wer zum Nachteil der Republik Österreich einen geheimen Nachrichtendienst einrichtet oder betreibt oder einen solchen Nachrichtendienst wie immer unterstützt, ist mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren zu bestrafen.“

Auch die Staatsanwaltschaft Wien will sich dazu nicht äußern. Die Leiterin der Medienstelle Nina Bussek wollte profil vergangene Woche auf Anfrage lediglich bestätigen, dass ein entsprechender Akt von der WKStA übermittelt worden sei. „Es handelt sich um ein laufendes Ermittlungsverfahren, zu dem wir keinerlei Auskunft geben.“

Verschlusssache eben. Es ist in diesem Zusammenhang sehr unwahrscheinlich, dass etwa eine Oppositionspartei hinter den Vorwürfen steckt. Das Anschütten des politischen Gegners, und seien es ein ehemaliger Bundeskanzler und ein der SPÖ nahestehender Anwalt, gehört zwar zum Tagesgeschäft. In diesem Fall wäre die Sachverhaltsdarstellung aber spätestens mit Einlangen bei der Justiz öffentlich geworden. Und das war nicht der Fall.

profil hat Gusenbauer und Lansky jeweils zwei Fragen gestellt:
Trifft es zu, dass Sie der kasachischen Regierung parlamentarische Unterlagen aus Österreich übermittelt haben? Wenn ja, um welche Art von Unterlagen handelte es sich hierbei? Lansky antwortete darauf kurz und bündig: „Nein.“ Gusenbauer, etwas ausführlicher: „Ich habe zu keinem Zeitpunkt, weder vor, während oder nach Amtszeit dem kasachischen Präsidenten irgendwelche parlamentarischen beziehungsweise Regierungsunterlagen der Republik Österreich zur Verfügung gestellt.“

Aus den profil vorliegenden Informationen geht nicht hervor, um welche parlamentarischen Dokumente es sich gehandelt haben könnte. Tatsache ist, dass der Fall Aliyev 2009 Gegenstand eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses war. Dieser war eingesetzt worden, um zwei Themenkomplexe aufzuarbeiten: auf der einen Seite die Bespitzelung von Nationalratsabgeordneten durch die österreichische Polizei (allen voran der damalige BZÖ-Mandatar Peter Westenthaler und dessen Mobiltelefon); auf der anderen Seite die vermutete „Beeinflussung“ der österreichischen Politik durch das kasachische Regime. Nach fünf Monaten und 17 Sitzungen war Schluss. Als das Beweisthema „Aliyev“ auf die Tagesordnung kam, verloren die Regierungsparteien schlagartig das Interesse an einer Fortführung des Ausschusses. Die SPÖ wollte nicht länger wissen, warum zwei ihrer Parteigänger, Ex-Innenminister Karl Blecha sowie der frühere Wehrsprecher Anton Gaál, schon längere Zeit ausgesuchte Kontakte nach Astana unterhielten – Gusenbauer stand zum Zeitpunkt des Ausschusses 2009 noch nicht in Nasarbajews Sold.

Die ÖVP wiederum war tunlichst bemüht, die Hintergründe von Aliyevs Aufenthaltsgenehmigung nicht öffentlich werden zu lassen. Dieser war im Mai 2007 als Kasachstans Botschafter in Österreich abgesetzt worden, im September 2007 stellte ihm die Bezirkshauptmannschaft Horn auf Druck des ÖVP-regierten Innenministeriums (Minister damals: Günther Platter) einen Aufenthaltstitel aus. Wie es dazu kam, blieb bis heute nebulos.

Der U-Ausschuss endete also wie zahlreiche andere zuvor: im Nichts. Was blieb, waren mehr als 40.000 Seiten an klassifizierten Dokumenten, die von Staatsanwaltschaften, Gerichten, Sicherheitsbehörden sowie den Ministerien für Justiz und Inneres ins Parlament eingeliefert worden waren. Ein nicht kleiner Teil hatte direkten Bezug zum Komplex Kasachstan: Berichte des Verfassungsschutzes, Einvernahmeprotokolle, die Abschriften von Telefonüberwachungen, Korrespondenz zwischen Innenministerium und nachgelagerten Dienststellen und vieles mehr.

Ausschuss-Akten sind nicht öffentlich. Sie werden bei Einlangen katalogisiert, verschlagwortet, gescannt und mit Sicherheitsbanderolen versehen. Wer diese Unterlagen an Dritte außerhalb des Parlaments weiterreicht, bricht das Amtsgeheimnis und macht sich strafbar – von der Übermittlung an einen ausländischen Nachrichtendienst ganz zu schweigen. Es ist vorerst durch nichts belegt, dass Alfred Gusenbauer oder Gabriel Lansky tatsächlich Zugriff auf die versiegelten Akten des U-Ausschusses 2009 hatten, erst recht nicht, dass sie diese dem kasachischen Regime zuspielten. Es liegt umgekehrt aber auf der Hand, dass Kasachstan großes Interesse daran hatte, in den Besitz derartiger Informationen zu gelangen – und sei es nur, um die wechselnden Aufenthaltsorte von Rakhat Aliyev in Erfahrung zu bringen.

Dass sensible Akten das Hohe Haus an der Wiener Ringstraße verlassen haben, ist evident. Rakhat Aliyev zum Beispiel hat einige der mit dem Siegel „Vertraulich“ versehenen Dokumente in seinem kürzlich erschienenen zweiten Buch „Tatort Österreich“ zwanglos faksimiliert (wobei alle Hinweise auf den Ursprung unkenntlich gemacht wurden). Den naheliegenden Verdacht, dass er hinter der Anzeige gegen Gusenbauer und Lansky stünde, weist Aliyevs Anwalt Otto Dietrich zurück: „Mein Mandant hat damit nichts zu tun. Es ist vielmehr so, dass uns hier die Akteneinsicht verwehrt wird, obwohl diese Ermittlungen offensichtlich in Zusammenhang mit dem Verfahren gegen meinen Mandanten stehen.“ Mehr sagt auch Dietrich nicht. „Ich kommentiere Strafverfahren gegen Kollegen grundsätzlich nicht.“

Die Rolle von Rechtsanwalt Gabriel Lansky bedarf in diesem Zusammenhang einer Präzisierung. Formell steht er in keinem Auftragsverhältnis zu Kasachstan oder dessen Präsidenten Nursultan Nasarbajew. Lansky, seit 2012 geschäftsführender Präsident der Österreichisch-Kasachischen Gesellschaft, vertritt vielmehr die Interessen des Vereins „Tagdyr“ (zu Deutsch: Schicksal), hinter dem die Hinterbliebenen von Zholdas Timraliyev und Aybar Khasenov stehen. Beide waren Manager der kasachischen Nurbank, an welcher Aliyev bis 2007 die Mehrheit hielt. Sie sollen auf sein Geheiß hin entführt und ermordet worden sein. Aliyev bestreitet das. Gegenüber profil sagte er 2011: „Nasarbajew versucht seit Jahren, mich zu etwas zu machen, das ich nicht bin. Ich bin weder ein Entführer noch ein Mörder. Ich habe die mir zur Last gelegten Taten nicht begangen.“ (profil 26/11)

Der Fall Aliyev sorgt seit Jahren für Spannungen zwischen Wien und Astana. Kasachstan wollte wiederholt die Auslieferung des Landsmannes erzwingen, was Österreich stets mit dem Hinweis verweigerte, Aliyev habe in seiner Heimat keine Chance auf ein faires Verfahren. Er lebt heute, wie erwähnt, in Malta, dessen Regierung die Auslieferung übrigens ebenso verweigert. Umgekehrt hat die österreichische Justiz bereits 2011 Morduntersuchungen gegen den Ex-Botschafter und mehrere mutmaßliche Komplizen eingeleitet; das Verfahren läuft.

Und da kommt Gabriel Lansky ins Spiel. Der Opferanwalt hatte bisher ein hohes Arbeitspensum zu bewältigen, etwa durch mehrere Pressekonferenzen und -communiqués, in denen er die Arbeit der österreichischen Justiz scharf kritisierte. Er hat auch eigens eine umfangreiche Homepage einrichten lassen (www.tagdyr.net). Lansky hat berechtigtes Interesse daran, dass den Ermittlern in Wien die kasachischen Belastungszeugen nicht ausgehen. Und er soll sich nicht einmal gescheut haben, der Obduktion der 2011 aufgefundenen Leichname persönlich beizuwohnen. Zuletzt hatte der Anwalt im Februar dieses Jahres einen seiner großen Auftritte. Er präsentierte der Öffentlichkeit einen neuen Mitstreiter: Otto Schily, einst Deutschlands Bundesinnenminister (SPD).

Wie engagiert Gabriel Lansky zu Werke geht, dokumentiert ein Fall, den profil vor über einem Jahr aufdeckte. Am 7. und 8. November 2011 hatte das Bundeskriminalamt in Wien vier Kasachen als Beschuldigte geladen, welche die beiden Bank-Manager in Aliyevs Auftrag beseitigt haben sollen. Während der Einvernahmen stellte sich heraus, dass das Amtsgebäude observiert wurde, von Privatschnüfflern des deutschen Sicherheitsunternehmens „Result Group“. Befragungen ergaben, dass die Detektive von Gabriel Lansky beauftragt worden waren, die Kasachen zu beschatten. Der Rechtsanwalt verteidigte sein Vorgehen damals wie heute so: „Ich halte es für die zentrale Rechtspflicht eines Opfervertreters in einem derart gravierenden Strafverfahren, sich dieser Frage mit allen legalen Mitteln, also auch Beweiseinholung durch Detektive, zu widmen.“ Zugleich betont er, dass die Detektive niemals den Auftrag gehabt hätten, das Gebäude des Bundeskriminalamts zu beschatten: „Der Observationsauftrag lautete ausschließlich, zu klären, ob die Beschuldigten im Vorfeld der Einvernahme Haftgründe realisieren würden, insbesondere dadurch, dass sie miteinander Absprachen treffen.“

Die Observationen beschäftigten auch die Wiener Rechtsanwaltskammer. Diese stellte in einem profil von Lansky übermittelten Beschluss vom 14. November des Vorjahres fest, dass die Beauftragung der Detektive weder „verboten“ noch „standeswidrig“ sei.

Für die österreichischen Behörden war die Angelegenheit damit keineswegs erledigt. Das Bundeskriminalamt schaltete den Verfassungsschutz und die Staatsanwaltschaft Wien ein, die unter der Aktenzahl 502 St 100/12f ein Ermittlungsverfahren gegen den Rechtsanwalt einleitete – ebenfalls eine Verschlusssache. Die zunächst nur gegen Lansky – als Auftraggeber der Detektive – gerichteten und unbewiesenen Verdachtsmomente: „Geheimer Nachrichtendienst zum Nachteil Österreichs“, „Nötigung“ sowie „schwere Nötigung“.

Und jetzt also auch noch der Verdacht der Weitergabe parlamentarischer Verschlussakten an den kasachischen Geheimdienst durch Gusenbauer und ihn.

In einem im Juni 2011 publizierten profil-Interview hatte Rakhat Aliyev eine in diesem Kontext bemerkenswerte Aussage getätigt: „Nasarbajew hat seit Jahren sehr gute Beziehungen zu Österreich im Allgemeinen und zur SPÖ im Speziellen. Die SPÖ hat Nasarbajew viel zu verdanken, und durch Gusenbauer ist das Verhältnis noch enger geworden. Es ist ja kein Zufall, dass dieser heute den Präsidenten berät.“ Und weiter: „Nasarbajew war großzügig zu Österreich und zur SPÖ. Und jetzt erwartet er eben Gegenleistungen.“