Cyberama: Thomas Vašek

Cyberama von Thomas Vašek Paperwhite-Effekt

Warum der Kindle-Reader technisch zu gut ist

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Der Kindle Paperwhite ist eigentlich ein ziemlich perfektes Gerät. Die Hintergrundbeleuchtung erzeugt ein angenehmes Lesegefühl. Der Touchscreen funktioniert fast verzögerungsfrei; Textstellen lassen sich einfach per Wischgeste markieren. Außerdem sieht das Gerät auch noch ziemlich gut aus. Und doch hat der Paperwhite einen schwerwiegenden Fehler, der paradoxerweise in einer technischen Verbesserung gründet. Auf dem alten Kindle musste man eine Pfeiltaste drücken, um sich von einer Seite zur nächsten (oder wieder zurück) zu bewegen. Das war auf die Dauer etwas nervig. Beim Paperwhite wischt man zum Umblättern einfach mit dem Finger über den Schirm. Das geht so nahtlos und schnell, dass ein eigentümlicher Effekt auftritt, vor allem bei Schnell- und Viellesern wie mir: Man verliert plötzlich jegliches Gefühl, wo im Text man sich befindet – und ob man die betreffende Seite schon gelesen hat oder nicht. Stattdessen surft man mit den Fingern (und dem Blick) gewissermaßen über eine gefühlt unendliche Textfläche.

Bei gedruckten Büchern ist das natürlich völlig anders. Schon rein haptisch kann man feststellen, wie viel man bereits gelesen hat – und was noch vor einem liegt. Der Paperwhite ersetzt dieses „Feedback“ zwar durch die Anzeige der verbleibenden Lesezeit. Trotzdem bleibt das Gefühl, in den Weiten des Textes verloren zu gehen. Der Paperwhite ist ein schönes Beispiel für ein scheinbar paradoxes Phänomen: Der Nutzen eines Geräts wächst nicht linear mit seiner technischen Perfektion. Das Problem liegt dabei nicht nur in der wachsenden Komplexität, in der Vielzahl der Funktionen. Die Imperfektion der analogen Welt hat den großen Vorteil, dass sie menschengerecht ist. Das gedruckte Buch mit all seinen Nachteilen ist dafür das beste Beispiel. Es ist ein Fehler, alle Schwächen des Analogen zu eliminieren. Auch der Kindle braucht seine Eselsohren, damit wir uns mit ihm wohlfühlen können.

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