Das Geheimnis von Strasshof

Das Geheimnis von Strasshof: Ludwig Adamovich im Interview mit profil

Ludwig Adamovich im Interview mit profil

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profil: Seit Februar 2008 befasst sich eine Evaluierungskommission unter Ihrer Leitung mit der Causa Kampusch. Was ist bisher herausgekommen?
Adamovich: Wir haben schon vor einem Jahr einen Bericht erstattet, fast 60 Seiten lang, in dem auf alle möglichen Pannen, Versäumnisse und so weiter hingewiesen wurde. Ohne Zweifel gab es Fehler bei der Suche nach dem oder den Tätern. Auf der anderen Seite ist aufgefallen, dass zu dem Zeitpunkt, als Frau Kampusch wieder auf der Bildfläche erschienen ist und man erkannt hat, dass der Herr Priklopil da eine nicht unwesentliche Rolle gespielt hat, die Sicherheitsbehörden total verschreckt waren, weil offensichtlich war, dass er schon Gegenstand von Erhebungen war. Da hat es dann alle möglichen G’schichtln gegeben: Es sind Unterlagen zurückgegeben, Protokolle der Staatsanwaltschaft oder dem Gericht überlassen worden, ohne dass man Kopien gemacht hätte, und es ist insgesamt der Eindruck entstanden, dass man die Sache so schnell als möglich vom Tisch haben wollte, ohne weiteren Spuren nachzugehen.

profil: Dieser Bericht Ihrer Kommission hatte offenbar keinerlei Auswirkungen.
Adamovich: Das Ganze ist mehr oder weniger ­verpufft, obwohl darin auch eine Vielzahl von ­Empfehlungen gegeben wurde. Dann hat man
sich aber im Bundeskriminalamt ein paar Fragen gestellt, und das hat dann auf sehr komplizierten Wegen dazu geführt, dass die Staatsanwaltschaft dem Bundeskriminalamt den Auftrag gegeben hat – ohne jetzt einen Zusammenhang mit der ­Causa Kampusch herzustellen – zu prüfen, ob es Hinweise in Richtung Kinderpornografie gegeben hat.

profil: Die Soko hatte anfangs nur den Auftrag, wegen Kinderpornografie zu ermitteln?
Adamovich: Ja, wobei sie natürlich von sich aus auch ermitteln kann. Aber, und das ist jetzt ein wesentlicher Punkt: Das alles setzt die Kooperation mit der Staatsanwaltschaft voraus. Sonst funktioniert das nicht. Und die Staatsanwaltschaft hat sich bisher mehr oder weniger tot gestellt. Wir haben jetzt einen Zwischenbericht erstattet, in dem wir darüber Klage führen.

profil: Das dürften jene Teile sein, die nicht veröffentlicht wurden.
Adamovich: Ja, das war ein Abkommen zwischen den Kabinetten für Justiz und Inneres.

profil: Haben Sie das Gefühl, dass im Fall Kampusch etwas vertuscht werden soll?
Adamovich: Mir ist völlig unklar, was dahinter steht. Es wird immer wieder mit Nachdruck der Aspekt des Opferschutzes ins Treffen geführt. So nach der Devise, lassts das arme Mädchen in Ruhe. Aber es gibt ein paar Sachen, denen man nachgehen müsste.

profil: Zum Beispiel?
Adamovich: Alles, was sich rund um den berühmten Hundeführer abgespielt hat, ist im höchsten Maße sonderbar (ein Hundeführer der Wiener Polizei hatte das Sicherheitsbüro schon 1998 auf Priklopil aufmerksam gemacht, Anm.).

profil: Was genau meinen Sie?
Adamovich: Das steht auch in unserem Bericht. Erstens war es merkwürdig, dass sein Hinweis unter den Tisch gefallen ist. Und zweitens: Als Frau Kampusch wieder da war, wurden zwei Kollegen von der Sonderkommission zu ihm geschickt, die ihm angeblich empfohlen haben, über die Sache nicht mehr zu reden. Auch er selbst hat sich widersprochen: Zuerst gab er an, Priklopil habe sexuelles Interesse an Kindern und besitze Waffen. Später hat er das wieder zurückgenommen.

profil: Wie geht es jetzt weiter mit Ihrer Kommission?
Adamovich: Irgendwann könnte der Zeitpunkt kommen, wo uns – und damit meine ich die sechs Mitglieder der Evaluierungskommission – die Geduld reißt. Denn wir machen uns ja lächerlich, so wie das jetzt ausschaut. Es kann durchaus der Moment kommen, ab dem die Mitglieder sagen werden, bitte, so nicht, nicht mit uns.

profil: Wie ich höre, sind auch die ermittelnden Beamten im Bundeskriminalamt sehr frustriert. Was läuft da falsch?
Adamovich: Es müsste zusätzliche Aufträge der Staatsanwaltschaft geben. Aber die Staatsanwaltschaft hat bisher nicht einmal auf die Zwischenberichte reagiert, die von den Beamten erstattet wurden. Bekanntlich hat das BKA auch den Antrag gestellt, Einsicht in die Einvernahmeprotokolle nehmen zu können. Die Staatsanwaltschaft reagiert nicht. Und man muss sich natürlich fragen, was da los ist.

profil: Warum unternimmt Justizministerin Bandion-Ortner nichts?
Adamovich: Nach einigem Hin und Her hat sich die Ministerin dankenswerterweise entschlossen, den Ersten Grazer Oberstaatsanwalt Thomas Mühlbacher der Oberstaatsanwaltschaft Wien zuzuteilen und ihm die Erstattung eines Berichts binnen einer Arbeitswoche aufzutragen. Er war schon einmal in dieser Sache tätig, dann gab es aber Verzögerungen, weil er auf dem Besetzungsvorschlag für die Stelle des Leitenden Staatsanwalts in Graz steht. Aber mittlerweile ist er doch mit der Sache befasst worden. Vielleicht geht jetzt etwas weiter.

profil: Sie haben sich intensiv mit der Causa Kampusch und den Ermittlungen beschäftigt. Glauben Sie noch an die These vom Einzeltäter?
Adamovich: Das ist einer der vielen Punkte, die Schwierigkeiten machen. Frau Kampusch selbst hat ihre Version vom Einzeltäter. Und wer immer auftritt mit der Behauptung, das stimme nicht, unterstellt ihr, dass sie die Unwahrheit sagt, und setzt sich damit entsprechenden Sanktionen aus. Ich sehe es so: Die objektive Wahrscheinlichkeit, dass das Ganze eine Aktion des Herrn Priklopil und sonst von niemandem war, ist, vorsichtig ausgedrückt, sehr, sehr gering. Dem steht aber als wuchtiger Block die Aussage der Frau Kampusch entgegen, der ich nicht unterstelle, bewusst die Unwahrheit zu sagen. Wenn man ihre Aussage in Zweifel zieht, stellt sich natürlich sofort die Frage, warum sie so zäh daran festhält. Das muss ja irgendeinen Grund haben.

profil: Haben Sie eine Vermutung?
Adamovich: Mit allen notwendigen Vorbehalten: Vermutungen gibt es alle möglichen. Erpressung könnte durchaus sein – im Zusammenhang mit irgendwelchem Material, das für sie unangenehm ist. Das familiäre Milieu, aus dem sie kommt, hat ihr sicher schlimme Kindheitserfahrungen beschert.

profil: Ludwig Koch, der Vater von Natascha, behauptete schon öfter, es gebe Verbindungen zwischen Nataschas Mutter und Priklopil. Haben Sie da Erkenntnisse?
Adamovich: Nichts wirklich Handfestes. Auch da kann man nur wittern, und das ist halt zu wenig. Allerdings: Dass der Herr Priklopil eines schönen Tages mit seinem Kastenwagen unterwegs war und geschaut hat, ob da irgendein Mäderl daherkommt, das er brauchen kann, halte ich für absurd. Der hat schon gewusst, wen er vor sich hat. Und da gibt es die Aussage der einzigen Tatzeugin, die steif und fest behauptet, es waren zwei Täter. Aber das ist wieder diese Geschichte: Kampusch sagt etwas anderes. Sie ist das Opfer, und wer dem Opfer Unwahrheit unterstellt, geht ein beträchtliches Risiko ein.

profil: Es ist aber eher selten, dass ein Opfer so stark Einfluss auf die Ermittlungsarbeit nehmen kann.
Adamovich: Dabei geht es wirklich nicht darum, ­Natascha Kampusch einen Tort anzutun. Sondern wenn da im Hintergrund noch irgendwelche anderen Leute am Werk waren, ist das ja nicht beschränkt auf den Fall K. Dann muss man damit rechnen, dass die sonst auch noch Böses getan haben. Aber dafür braucht man handfeste Unterlagen. Oder jedenfalls ein größeres Mosaik. Was diese Burschen im BKA so rausgefischt haben, ist schon ganz schön viel.

profil: Zum Beispiel?
Adamovich: Ein ganzer Berg von kleinen Details, der den Sachverhalt in einem neuen Licht erscheinen lassen könnte.

profil: Wieso ist das bisher niemandem aufge­fallen?
Adamovich: Die Polizei ist durch die Umstände des Wiederauftretens von Frau Kampusch traumatisiert worden. Kennen Sie die Geschichte mit Convera?

profil: Nein, was ist das?
Adamovich: Convera ist ein elektronisches System, mit dem man über einen Aktenbestand drüberfahren kann, um festzustellen, ob ein bestimmter Name schon vorgekommen ist. Und als Kampusch wieder da war und Priklopil tot, ist ein Kriminalbeamter mit der Convera über die Akten gefahren, um zu sehen, ob der Name Priklopil drinsteht. Und der ist zweimal vorgekommen. Daraufhin ist die Exekutive in Panik geraten. Gleichzeitig sind die Anwälte aufgetreten, die für zusätzliche Panik gesorgt haben, weil sie gesagt haben: „Wehe, da kommen irgendwelche Details an die Öffentlichkeit, dann werdets schon sehen.“ Dazwischen gab es dann, das war ein Pech, dieses ORF-Interview mit der jungen Polizeibeamtin. Das ist eine nette Person, die sich redlich um Frau Kampusch bemüht hat. Aber sie hat alles Mögliche gesagt, was sie nicht hätte sagen dürfen.

profil: Wenn es Vertuschungen gab: Welches Motiv könnte dahinterstecken? Es kann ja wohl nicht nur darum gehen, Ermittlungsfehler zu verheimlichen.
Adamovich: Sollte sich wirklich herausstellen, dass die Einzeltätertheorie nicht stimmt, dann verlieren etliche Menschen ihr Gesicht. An erster Stelle Natascha Kampusch selbst. Und natürlich ein paar andere auch. Das ist schon ein wesentlicher Punkt. Es hat ja auch immer wieder das Gerücht gegeben, dass irgendwelche höheren Persönlichkeiten involviert sein könnten. Dafür gibt es bislang keinen fassbaren Hinweis.

profil: Der ursprüngliche Auftrag an das BKA war, den Pornografieverdacht zu klären. Was ist dabei herausgekommen?
Adamovich: Nichts Spezifisches. Allerdings: Man hat Erhebungen im Rotlichtmilieu betrieben und eine vertrauliche Information bekommen, die sich auf eine ganz andere Geschichte bezog. Nämlich einen Kriminalfall aus dem Jahr 2002, der damals rätselhaft war. Der wurde in dem Zusammenhang aufgeklärt.

profil: Im Zusammenhang mit Natascha Kampusch gab es keine Hinweise?
Adamovich: Da gab es immer wieder Spekulatio-
nen …

profil: Angeblich gibt es eine DVD mit einem Mädchen, das ihr sehr ähnlich sieht.
Adamovich: Da sind alle möglichen dubiosen Gestalten aufgetreten, die behauptet haben, sie haben Material. Herausgekommen ist nichts. Aber auf der anderen Seite ist es evident, dass Kampusch verschiedene Gegenstände und Unterlagen, die am Tatort gefunden wurden, so rasch als möglich zurückgegeben wurden. Man vermutet auch, dass es Tagebücher von Priklopil und von ihr gab. Außerdem gibt es Hinweise, dass sich Priklopil nach der Flucht von Natascha Kampusch mit Gewalt Einlass in das so genannte Verlies verschafft und dort irgendetwas gesucht hat.

profil: Was heißt, es gibt Hinweise? Hat ihn jemand gesehen?
Adamovich: Er hat den Tresor, der den Eingang verstellt hat, umgeworfen.

profil: Es ist aber nie ein Tagebuch aufgetaucht.
Adamovich: Nein, aber es heißt, Priklopil sei unter anderem ein Zwangsmensch gewesen, der über alles und jedes Notizen gemacht hat. Es wäre extrem unwahrscheinlich gewesen, wenn er gerade über sein Zusammenleben mit Natascha Kampusch keine Notizen gemacht hätte.

profil: Das Verlies wurde doch untersucht, oder?
Adamovich: Ja, natürlich. Aber die Frage ist, ob das mit letzter Konsequenz passiert ist. Es gibt auch massive Anhaltspunkte dafür, dass dieses Verlies zum Zeitpunkt der Entführung noch gar nicht fertig war. Laut einer Aussage von Frau Kampusch habe Priklopil sie zuerst in ein Waldstück gebracht, dort herumtelefoniert und dann gesagt: „Die kommen nicht.“ Das sagt sie selber. Was irgendwie darauf schließen lässt, dass der ursprüngliche Plan ein anderer war. Sodass er unerwarteterweise mit dem Mädel allein dagestanden ist.

profil: „Die kommen nicht“ würde heißen, dass es sogar mehr als einen Mittäter gab.
Adamovich: Allerdings. Aber die Geschichte mit dem Waldstück erzählt sie selber. Die Aussage findet sich in der Strafanzeige der damaligen Sonderkommission vom 22.9.2006.

profil: Experten wundern sich auch darüber, dass Kampusch sich ganz anders verhält, als Opfer das normalerweise tun. Dass sie beispielsweise das Haus in Strasshof haben will, dass sie angeblich Kontakt zu Priklopils bestem Freund hat …
Adamovich: Aber erst, seit Priklopil tot ist, sagt sie. Widerlegen Sie einmal eine Ikone! Wobei, was immer sich im Einzelnen abgespielt hat: Dass sie schreckliche Erfahrungen gemacht hat, kann ja kein Mensch bestreiten. Insoweit verdient sie zweifellos Mitleid.

profil: Halten Sie Wolfgang Priklopil noch für die Hauptfigur in diesem Verbrechen?
Adamovich: Priklopil hat sicher eine wesentliche Rolle gespielt. Aber was die Hauptsache war und was nur ein Nebenprodukt, das weiß man bis jetzt nicht.

Rosemarie Schwaiger