„Dem Trottel, dem zeig ich’s“

Joe Zawinul über seinen Herzensfreund Thomas

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profil: Ausgerechnet an Ihrem 72. Geburtstag, auf einer Tournee in Italien, haben Sie die Nachricht vom Tod Ihres Freundes erhalten. Was geht da in einem vor?
Joe Zawinul: Mein Geburtstag, der war da nicht mehr wichtig. Es tut mir so Leid, dass der Thomas nicht mehr da ist. Ich wollte ihm zu seinem Abschied aus dem Amt eine CD von unserem Konzert in der Kirche von Mariazell schenken, eine CD nur für ihn gemacht. Jetzt spielen wir auf der Tournee jedes Konzert für den Thomas.
profil: Vor wenigen Wochen haben Sie sich bei der Eröffnung Ihres neuen Wiener Jazzclubs Birdland getroffen. Haben Sie geahnt, dass es so plötzlich zu Ende geht?
Zawinul: Gesundheitlich ist es ihm zuletzt nicht sehr gut gegangen. Er hat sich ja auch nicht geschont. Die Arbeit war im Grunde sein Ein und Alles, alles für Österreich tun, so eine Art Kennedy-Typ: Frage nicht, was dein Land für dich, sondern was du für dein Land tun kannst. Wir wollten uns wieder öfter sehen, möglicherweise wieder ein bissel Musik machen.
profil: War er als Musiker wirklich so begabt?
Zawinul: Als Teenager haben wir immer musiziert. Ich am Klavier oder mit Seidenpapier und Kämmen in verschiedenen Größen. Wenn man darauf bläst, das ergibt einen wunderschönen Ton. Einmal, nach dem Film „Easter Parade“ von Fred Astaire, hab ich die erste Stimme durch den Kamm gespielt, er die zweite Stimme dazu, aber nicht die einfachen Terzen, sondern eine neue, eine andere Melodie dazu. Das können nur Musiker. Das werd ich nie vergessen.
profil: Wie haben Sie sich eigentlich gefunden?
Zawinul: Ich hab den Thomas am 1. September 1945 auf der Erdberger Straße angesprochen und gefragt, ob er weiß, wo das Realgymnasium ist. Er war auch auf dem Weg dorthin. So hat es angefangen und nie wieder aufgehört. Ich mochte an ihm, dass er ein ehrlicher Kerl und für jeden Blödsinn zu haben war und dass wir bis zuletzt miteinander lachen konnten. Dieses Jahr, am Tag nach dem Opernball, bei einem langen ausgedehnten Lunch, was haben wir uns da abgehaut.
profil: Als Klestil dann später an der Universität für Welthandel promovierte, gingen Sie – mit nichts in der Tasche – nach New York. Hatten Sie auch während Klestils Diplomatenkarriere Kontakt zueinander?
Zawinul: Wenn wir auf verschiedenen Erdteilen waren, hat Thomas immer wieder meine Eltern in Wien angerufen und gefragt, wie’s mir so geht. Eine Zeit lang waren wir beide in Kalifornien, Klestil war Generalkonsul in Los Angeles. Ich hab ihn zu Konzerten und Partys mitgenommen. Er war ja ein Supersympathler. Cannonball Adderley hat damals schon gesagt, du, dein Freund, der wird einmal was.
profil: Dachten Sie das auch?
Zawinul: Der Thomas war schon immer irgendwie speziell. Ein Geschichtenerzähler, irrsinnig gut in Deutsch, nicht so sehr in den anderen Gegenständen, weil wir oft die Schule geschwänzt haben.
profil: Und was haben Sie da angestellt?
Zawinul: Nichts Schlimmes. Einen ganzen Sommer lang haben wir uns ins Stadionbad reingeschlichen, indem wir unter dem Zaun ein Loch gegraben haben, das wir dann wieder mit Ästen zudeckten. Es war ein heißer Sommer, und unsere Familien waren arm. Spätabends streunten wir oft durch die Straßen von Erdberg. Meine Eltern waren eher streng, aber wenn ich sagte, ich bin mit dem Thommy unterwegs, dann ging das okay. Er war eine Vertrauensperson. Ich war oft bei den Klestils daheim, das waren herzliche, nette Leute. So ist er dann ja auch geworden.
profil: Hat Sie das zusammengeschweißt, die Kleine-Leute-Herkunft ?
Zawinul: Man hat schon gespürt, dass man unter Umständen nicht dazugehört. Im Gymnasium wurde der Thomas vom Lehrer einmal gefragt, was denn sein Vater von Beruf sei, und der Thomas sagt stolz: „Er war Straßenbahner.“ – „Na, dann wirst halt auch ein Straßenbahner“, sagt der drauf. Das hat dem Thomas echt wehgetan. Das hat er nie vergessen. Damals sagte er zu mir: „Dem Trottel, dem zeig ich’s.“
profil: Schon erstaunlich, was aus den Erdberger Lausbuben dann geworden ist.
Zawinul: Im Grund habe ich das dem Thomas zu verdanken. Irgendwie hat er mich auf den richtigen Weg gebracht. Einmal nimmt er mich ins Gebet und sagt: „Du, ich will einmal was machen aus meinem Leben, und du solltest das auch. Hau dich rein in die Musik, du kannst was!“ So bin ich geworden, was ich bin, und er ist der Präsident.
profil: Was war für Sie das Besondere am Präsidenten Klestil?
Zawinul: Ich kannte ihn so, wie ihn kaum jemand hat kennen lernen können. Eine Jugendfreundschaft, die ein Leben lang hält, das ist an sich schon was sehr Besonderes. Als Bundespräsident ist ihm manchmal eine Träne runtergelaufen, wenn’s ihn gedrückt hat. Auch bei Konzerten. Und er hat sich nicht geschämt. Ich finde, das zeigt die Größe eines Menschen. Jetzt, nach seinem Ableben, ist er größer denn je.