Der Waffendeal der Verfassungsschützer

Aufklärungswürdige Rolle der BVT-Beamten

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Werner Neymayer hat lebenslang. Er sitzt in seiner Zelle in der Strafvollzugsanstalt Garsten, wühlt in mehr als 150.000 Aktenseiten und kämpft um die Wiederaufnahme des Verfahrens. Sein Argument: Ein unzulängliches Gerichtsgutachten habe ihm das Urteil eingebracht. Beobachter geben dem wenig Chancen: Dass Neymayer im September 2004 seine damalige Sekretärin während einer „Übergabe von Kriegsmaterial an die Polizei“ auf der Wiener Höhenstraße mittels einer präparierten Handgranate ermordete, um an ihre Lebensversicherung zu gelangen, sei auch durch zahlreiche andere erdrückende Indizien untermauert.

Doch die Rolle, welche die Beamten des Bundesamtes für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT), der früheren Staatspolizei, in dieser Causa gespielt haben sollen, war bisher unbekannt. Nun liegt profil eine Strafanzeige des Büros für interne Angelegenheiten (BIA) vor. Darin wird die Vorgehensweise der Verfassungsschützer im Rahmen dieser „Amtshandlung“ schonungslos dargestellt. „Amtsmissbrauch“ klingt noch harmlos für das, was die Ermittler des Innenministeriums dem BVT vorwerfen.

Als Werner Neymayer, heute 41 Jahre alt, wegen des „fast perfekten“, jedenfalls aber „eines der hinterhältigsten Morde in der österreichischen Kriminalgeschichte“ am 14. Oktober 2005 zu lebenslanger Haft verurteilt worden war, konnten die betroffenen Beamten des BVT beruhigt sein. Kein Mensch glaubte dem Mörder, und so setzte sich die verzerrte Tatversion der früheren Staatspolizei ungehindert in der Öffentlichkeit durch: Neymeyer hätte es zuwege gebracht, „hochrangige Ermittler der Staatspolizei und einen Journalisten wochenlang so zu manipulieren, dass er seinen perfiden Plan umsetzen konnte“. Neymayer habe sich Berge von Kriegsmaterial besorgt, das bosnische Kämpfer in Österreich gelagert gehabt hätten und nach dem Ende der Jugoslawienkriege loswerden wollten. Automatische Waffen, Handgranaten, Pistolen, Munition, Sprengstoff. Neymayer sei zunächst als anonymer Informant aufgetreten, hätte dem damaligen Reporter der Zeitschrift „News“, Andreas Zeppelzauer, sowie mehreren Staatspolizisten „Waffenübergaben“ in Aussicht gestellt und die Fahnder durch camouflierte Anrufe zu den Schauplätzen gelotst.

Der erste Schauplatz war eine Autobahnabfahrt nahe Purkersdorf bei Wien, wo die Staatspolizisten am Morgen des 10. September 2004 tatsächlich schwarze Müllsäcke voller kriegstauglichen Materials auffanden. Zehn Tage später seien die ahnungslosen Fahnder zu einem Parkplatz auf der Wiener Höhenstraße – wieder durch anonyme Hinweise – zu einer weiteren Übergabe gelotst worden.

Doch diesmal explodierte eine der Handgranaten. Die damals 39-jährige Petra Müller, Mutter einer elfjährigen Tochter und Neymayers Sekretärin, die bei der Deponierung der Waffen „geholfen“ hatte, war sofort tot.

Neymayer, wegen eines zurückliegenden Überfalls auf ein Geldinstitut und anderer Vergehen vorbestraft und mit teils dubiosen Firmen hoch verschuldet, wurde noch am selben Tag festgenommen, zwei Tage später wieder auf freien Fuß gesetzt, dann wieder verhaftet. Erdrückende Indizien kamen ans Tageslicht: Die Polizze einer hohen Lebensversicherung Petra Müllers wurde entdeckt, deren Nutznießer Neymayer war. Dem Verdächtigen konnten Internetrecherchen nachgewiesen werden, im Rahmen derer er sich über Handgranaten-Sprengfallen, „tödliche Missgeschicke“ sowie „getarnte Verbrechen“ kundig gemacht hatte und anderes mehr. Ein Sachverständigengutachten kam zu einem eindeutigen Ergebnis, und die Geschwornen urteilten einstimmig: lebenslange Haft wegen vorsätzlichen Mordes. Der Aktendeckel „Höhenstraßen-Mord“ wurde geschlossen.

Zu diesem Zeitpunkt gab es freilich längst eine 70 Seiten umfassende „Strafanzeige gegen mindestens fünf Beamte des BVT wegen des dringenden Verdachtes nach § 302 (Amtsmissbrauch, Anm.) u. a. Delikte n. d. StGB“. Eingebracht vom Büro für interne Angelegenheiten (BIA).

BIA-Ermittler hatten die die Rolle der Staatspolizisten während dieser folgenschweren Amtshandlung untersucht. Nach einer Weisung durch die Wiener Oberstaatsanwaltschaft wurde diese Anzeige am 15. März 2005 zur Verwunderung zahlreicher Beobachter ohne weitere Ermittlungen zurückgelegt. Nicht nur der damalige Untersuchungsrichter Martin Bodner und ein BIA-Fahnder sind überzeugt, „dass die Zurücklegung aus prozesstaktischen Gründen erfolgt ist, um die Geschwornen nicht zu verwirren und das Urteil nicht zu gefährden“.

Arbeitsmethoden. Der penibel ausgeführte Ermittlungsakt des BIA gibt einen Einblick in die angeblichen Arbeitsweisen der Verfassungsschützer, die keines Kommentars mehr bedürfen. Die Wahrheit über die Rolle der „Terrorbekämpfer“ laut BIA ist: Das BVT habe bei den tatsächlich inszenierten „Waffenfunden“ nicht nur mitgemacht, sondern praktisch Regie geführt, um die Lorbeeren des „polizeilichen Erfolges“ zu ernten. Man habe Vorgesetzte, Minister und Staatsanwaltschaft mit Unwahrheiten eingedeckt, Beteiligte zu falschen Aussagen angehalten, dem Mordverdächtigen Neymayer Termine für Hausdurchsuchungen verraten und ihn aufgefordert, Spuren und Beweismittel zu vernichten. Wochenlang hätten die Polizisten nicht zugegriffen, als Neymayer mit Bergen von scharfem Kriegsgerät durch die Gegend fuhr. Nicht einmal einfachste Vorsichtsmaßnahmen seien gesetzt worden. Erst als Petra Müller tot war, waren die Fahnder „geschockt“ und fragten sich: „Wer erklärt nun dem elfjährigen Mädchen, dass seine Mutter tot ist?“

Der Direktor des BVT, Gert Polli, sei über das Vorgehen seiner Beamten nicht nur informiert gewesen, sondern habe auch einen wahrheitswidrigen Bericht an den Generaldirektor für die öffentliche Sicherheit geschickt, der ebenfalls profil vorliegt.

Die Strafanzeige des BIA im Wortlaut: „… besteht der dringende Verdacht, dass Beamte des BVT … im gemeinsamen Zusammenwirken ihre Befugnisse zur Vollziehung von Amtsgeschäften wissentlich missbraucht haben, indem sie:

• Es wissentlich unterlassen haben, den zu diesem Zeitpunkt … bereits bekannten Sachverhalt an die Justizbehörden anzuzeigen.

• Es wissentlich unterlassen haben, Maßnahmen zu setzen, die zur Aufklärung von Straftaten und zur Ausforschung der Tatverdächtigen führen konnten.

• wissentlich eine Person am 10.9.2004, Nachmittag, dazu bestimmt haben, Waffen/Sprengmittel zu einem bestimmten Treffpunkt zu bringen …

• wissentlich falsche niederschriftliche Angaben von Auskunftspersonen/Zeugen aufgenommen und diese als Grundlage für weitere Maßnahmen (Anzeige an die Staatsanwaltschaft) herangezogen haben, obwohl ihnen zu diesem Zeitpunkt bereits … gegenteilige Erkenntnisse bekannt waren.

• Es wissentlich unterlassen haben, die Justizbehörden wahrheitsgetreu … zu informieren und daher eine Anzeige an die Staatsanwaltschaft Wien erstattet haben, die offensichtlich nicht den vorliegenden Tatsachen entsprach.

• Es wissentlich unterlassen haben, unmittelbar nach der Handgranatenexplosion auf dem Parkplatz an der Höhenstraße, bei der eine Person getötet wurde, die Justizbehörden über die vorliegenden Erkenntnisse wahrheitsgetreu zu informieren.

• wissentlich den Werner Neymayer mehrfach dazu aufgefordert haben, sich vom Tatort – Parkplatz Höhenstraße – ,zu schleichen‘ und auf weitere Informationen durch BVT-Beamte zu warten, obwohl zu diesem Zeitpunkt, nach den Explosionen der Handgranaten und dem Tod von Petra Müller, den Beamten des BVT bereits bekannt war, dass Werner Neymayer im Zusammenhang mit dem Vorfall und dem Tod von Petra Müller stand.

• wissentlich den Werner Neymayer telefonisch über bevorstehende richterlich angeordnete Hausdurchsuchungen an den Adressen des Werner Neymayer informiert zu haben.

• wissentlich den Werner Neymayer dazu aufgefordert haben, die eventuell noch vorhandenen Beweismittel, die einen Zusammenhang zwischen ihm und den Vorfällen belegen könnten, zu vernichten.

Die Beamten des BVT haben dabei durch ihr Verhalten den Staat Österreich in seinem konkreten Recht auf Strafverfolgung vorsätzlich geschädigt um dadurch a) nach wie vor eine strafrechtliche Verfolgung des ,Informanten‘ Werner Neymayer zu verhindern … und b) dem ,angeblichen Informanten‘ die von Beamten des BVT aus eigenem garantierte Anonymität und Straffreiheit zu gewährleisten.

Dabei hatte es sich bei den angeblich mindestens 600 Kalaschnikows und tausenden Granaten – nach heutigen Angaben Neymayers – keineswegs um Kriegsmaterial gehandelt, das in Österreich lebende bosnische Wochenendkrieger loswerden wollten, sondern um Gerät, das innerhalb des Waffeneinziehungsprogramms der Unprofor zu Kriegsende im Raum Tuzla abgezweigt worden war und an das Neymayer, der Hilfstransporte von Österreich nach Bosnien durchgeführt hatte, herangekommen war. Neymayer hatte bei „News“ angerufen, den „riesigen Waffenfund“ als Geschichte angeboten, um im Gegenzug einen positiven Bericht über seine „Schuldenberatung zum Kuckuck“ zu bekommen. Das war jedenfalls die Hoffnung von Neymayer.

Alles sei also gestellt gewesen, nur die Waffen waren echt.

„News“-Reporter Andreas Zeppelzauer informierte das BVT und verfolgte die Geschichte. Schon am Tag darauf trafen sich Neymayer, Zeppelzauer und BVT-Mann Helmut S. Der von Neymayer angebotene Deal klang mehr als verlockend: In regelmäßigen Abständen sollten mehrere „riesige Waffendepots“ vom BVT „gefunden“ und „ausgehoben“ werden. Einzige Bedingung für die BVT-Leute war, Neymayer „draußen zu lassen“. BVT-Mann S. habe ihm Anonymität zugesichert. Und Neymayer gab sofort detailliert bekannt, wo das BVT am nächsten Tag, dem 10. September, seinen ersten großen Erfolg landen könne: auf der Westautobahn bei Kilometer 16,5, einer Behelfsausfahrt. Schwarze Plastiksäcke sollten unter Reisig versteckt sein. Ihr Inhalt: 22 AK 47 Kalaschnikows, eine Maschinenpistole Marke „Tokarev“, 35 Handgranaten, eine russische Panzerfaust M80, eine Gewehrgranate, alles scharf, sowie 83 Magazine und eine Rolle C4-Plastiksprengstoff.

BVT-Beamte instruierten Neymayer, so das BIA, am Morgen des Tages der „Übergabe“ am Handy des Journalisten anzurufen. Und zwar von einer Telefonzelle, damit eine mögliche spätere Rufdatenrückerfassung einen „anonymen“ Anruf bestätigen würde, bei dem der Fundort bekannt gegeben worden sei. So könne vertuscht werden, dass der Fundort schon längst bekannt war und die BVT-Leute gezwungen gewesen wären, sofort einzugreifen. Die Verfassungsschützer hätten auch Neymayers Bedenken bezüglich seiner, Neymayers, Fingerabdrücke auf den Waffen zerstreut. Man werde dafür sorgen, dass keine Spurensicherung vorgenommen werde.

Die BVT-Leute fuhren zu Kilometer 16,5 und schnitten die Plastiksäcke auf. Scharfe Handgranaten regneten zu Boden. Eine kollerte davon, niemand merkte es. Erst später wurde der Entschärfungsdienst angerufen. Auch der Entschärfungsexperte Wolfgang Blach rückte zum „Fundort“ aus. Zwei Monate später, am 2. November 2004, sagte Blach in seiner Einvernahme beim BIA, er habe sich erkundigt, ob eine Sicherung notwendig sei, um etwa DNA-Spuren zu sichern. Blach: „Ich habe als Antwort erhalten, dass dies mehr oder weniger eine ausgemachte Sache ist und daher nicht notwendig ist. Soweit ich mich erinnere, hat der anwesende Oberstleutnant des BVT gesagt, dass in näherer Zukunft noch mehrere Waffenlager entdeckt werden und die Amtshandlung noch ein sehr großes Maß annehmen wird.“ Blach verweist in seiner Aussage auch darauf, die BVT-Leute auf die Gefahr einer möglichen Sprengfalle hingewiesen zu haben.

Später an diesem Tag wurde das Fehlen einer der 35 Handgranaten entdeckt. Neymayer fuhr noch einmal zum „Übergabeort“ und fand sie. BVT-Leute verständigten nicht den Entschärfungsdienst, sondern ersuchten Neymayer, die scharfe Granate nach Wien zu bringen. Neymayer traf sich an diesem Nachmittag mit BVT-Mann Helmut K. in der Pragerstraße in der Nähe der Nordbrücke und übergab die Handgranate. K. habe, so Neymayer in seiner Einvernahme, nach Alkohol gerochen und gemeint, sie würden den Erfolg feiern. Dieser bestreitet das. Auf die Frage, warum man nicht den Entschärfungsdienst angerufen habe, antwortete BVT-Beamter Helmut S.: „Es konnte bei der Handgranate praktisch nichts passieren. Eine Handgranate gilt als sicherste Infanteriewaffe.“

Der zweite „Waffenfund“. Schon zehn Tage später, am Montag, dem 20. September, war der nächste große „Waffenfund“ durch das BVT geplant. Doch diesmal musste die Aktion in Wien stattfinden, so die Vorgabe des BVT nach Erkenntnis des BIA. Ein Parkplatz auf der Höhenstraße wurde bestimmt. Wieder sollte Neymayer frühmorgens Journalisten Zeppelzauer von einer Telefonzelle aus „anonym“ anrufen und die Fundstelle „bekannt geben“. BVT-Leute und Zeppelzauer warteten bereits bei einer nahe gelegenen Shell-Tankstelle auf den Anruf.

Kurz vorher, um 6.56 Uhr morgens, schickte Neymayer dem Journalisten ein E-Mail, in welchem er überraschend deutlich machte, dass bei mehreren Handgranaten die Splinte oder Abzugsringe fehlten und dass ihm, Neymayer, eine Mitarbeiterin beim Ausladen helfen werde.

Spätestens jetzt hätten die BVT-Leute die Aktion stoppen müssen, weil extreme Explosionsgefahr bestand und eine weitere Person gefährdet war.

Doch nach eigenen Behauptungen hatten die Terrorbekämpfer die Nachricht nicht gelesen, obwohl Zeppelzauer sie übergeben hatte. Andere Zeugen berichten, dass die BVT-Leute sich über das E-Mail unterhalten hätten.

Wenig später war Petra Müller jedenfalls tot.

Und die BVT-Leute konnten nicht mehr zurück. Sie spielten ihr verzweifeltes Spiel weiter. Laut BIA befahlen sie Neymayer, zu verschwinden und alle Spuren zu vernichten. BVT-Mann Helmut K. erklärte dem zum Tatort geeilten Gruppeninspektor der Bundespolizeidirektion Wien, Martin Volz (so dieser später in seinem Bericht), dass es sich „um eine Amtshandlung des BVT im Zusammenhang mit Sprengstoff und Waffenfunden handelt. Dabei kam offensichtlich die Zulassungsbesitzerin des Pkws … durch eine Handgranate aus eigenem Verschulden ums Leben. Bezüglich Fahndungsmaßnahmen wurde mitgeteilt, dass sich offensichtlich nur diese Frau am Parkplatz befand und niemand geflüchtet ist. Fahndungsmaßnahmen waren laut Kollegen K. nicht erforderlich.“

Erst als sich Staatsanwalt Gerhard Jarosch wenige Stunden später einschaltete, wurden die Ermittlungen in Richtung Werner Neymayer gedreht.

BVT-Chef Gert Polli „informierte“ den Generaldirektor für die öffentliche Sicherheit und damit den Innenminister schriftlich über „anonyme Anrufer“ und „unbekannte Übergabeorte“. Die Beamten der Staatssicherheit hatten Neymayer weder observiert, noch den Sachverhalt weitergegeben. S. sagte aus, sein Vorgesetzter, BVT-Direktor Polli, habe die Direktive ausgegeben, zunächst alle Waffen sicherzustellen und sich erst dann auf die Hintermänner zu konzentrieren. Bei laufend wiederkehrenden Waffenfunden hieß das, die Täter überhaupt in Ruhe zu lassen.

Mittlerweile war das BIA eingeschaltet, und diese Tatsache beunruhigte BVT-Mann L. Am 25. September verfasste er einen Aktenvermerk, in dem er behauptete, dass das BIA die BVT-Ermittlungen störe und dass der Staatsanwalt verfügt habe, dass „diese gefährlichen Ermittlungen unverzüglich einzustellen seien“. Dass Staatsanwalt Jarosch das gesagt haben soll, quittiert dieser mit: „Das ist ein Blödsinn.“

Kein Blödsinn ist, dass die Oberstaatsanwaltschaft Jarosch die Causa bald entzogen hat. Dem Ersuchen des BIA, mit weiteren „erforderlichen Einvernahmen“ beauftragt zu werden, wurde nicht entsprochen. Im Gegenteil: Am 15. März 2005 wurde die BIA-Anzeige zurückgelegt.

Von Emil Bobi