Der Wahn ohne Eigenschaften

Früher waren die, die Kreide gegessen haben, wenigstens noch Wölfe.

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Liebe Österreicherinnen und Österreicher! Wieder einmal gilt es, der so heiß umkämpften und dadurch ein wenig derangierten Demokratie einen Dienst zu erweisen. Wieder einmal werden wir zu den Urnen gebeten, die auch in der Zukunft unser aller Schicksal sind. Denn wieder einmal steht die Wahl in das höchste Amt im Staat an.

In wenigen Wochen wird dieses Land ein neues Staatsoberhaupt haben. Welches, wird von Ihnen abhängen.

Wir Kandidaten für dieses Amt sind beide guter Dinge, überaus optimistisch und jederzeit zuversichtlich.

Wir sind es deshalb, weil wir darauf vertrauen, dass Sie die richtige Entscheidung fällen werden – ganz im Interesse der Republik Österreich und ein wenig auch in Ihrem.

Was uns betrifft, so vermögen vielleicht ein paar dürre, aber klare Worte, uns vollkommen unverwechselbar zu charakterisieren. Wir sind ausgesprochen individuelle Persönlichkeiten. Wir sind für Freiheit, Frieden und Wohlstand, für Glück, Heim und Familie. Wir stehen mitten im Volk und darum über allen Parteien. Diese werden wir nobel, aber nüchtern gegebenenfalls zur Staatsräson bringen.

Wir sind liberal in jeder Silbe dieser Worthülse, weshalb sie uns selbstverständlich nicht oft genug über die Lippen kommen kann. Wir sind geradezu umfassend tolerant. Wir respektieren alle Ansichten und Weltanschauungen, die wir verstehen. Wir werden uns natürlich auch mit all unserer Kraft für Studenten, Frauen und andere Minderheiten einsetzen. Wir versprechen jetzt schon, dass Gerechtigkeit unser wesentlichster Maßstab sein wird. Wir gehen davon aus, dass in diesem Land vor dem Gesetz alle Bürgerinnen und Bürger entweder gleich sind oder gleich prominent.

Wir wissen, wer an der Spitze dieses Staats steht, der muss auch Verantwortung übernehmen. Auch unsere jüngeren Mitmenschen werden schon wissen, dass Verantwortung eine bedeutende Hürde ist. Aber sie ist eine, die man einfach überspringen muss. Verantwortung ist die Saat der Erde, in der das Salz aufgeht. Verantwortung für unser Handeln mit Trachten ... corr.: und Trachten ist uns ein unverzichtbares Herzensanlügen.

Damit gepaart muss selbstverständlich die unerlässliche Weltoffenheit sein. Es ist längst kein Geheimnis mehr, dass unser Österreich im Schnittpunkt verschiedener Sphären liegt, die sich ständig überlappen, daher sind auch ihre Interessen ständig verschieden.

Unser kleines, aber immer wichtiger werdendes Land hat die ungeheuerliche Aufgabe, Eskalationen im Keim zu kalmieren. An uns liegt es, nicht nur mit dem Helm in fremden Krisengebieten blau zu machen. Wir haben auch die moralische Verpflichtung, unvereinbaren Gegensätzen die Hand zu reichen.

Wir können dankbar und stolz auf eine lange Tradition zurückweisen, dass unsere Politik der kleinen Schritte anderen Nationen immer auf die Sprünge geholfen hat und dass jeder bei einem internationalen Ausländerbankett ausgesprochene Spezialtoast aufmerksam akklamiert wurde.

Wenn nun schon einmal das Wort Tradition gefallen ist, darf auch das Wort Erfahrung nicht fehlen. Wohl sind wir beide unterschiedlich alt, aber an reicher politischer Kenntnis mangelt es uns dennoch nicht: Politik braucht einhundertein Gewissen in deren Muttersprache.

Es gibt keinen von uns, der nicht von sich sagen könnte, er habe dies oder jenes beinahe verwirklicht; keinen, der nicht sehr starke Spurenelemente bei der Annäherung an seine Aufgaben hinterlassen hätte; keinen, der in all seinen Positionen nicht über diese hinausgewachsen wäre.

Wen immer von uns Sie bevorzugen werden, wir können Ihnen unter Garantie versichern, dass wir alles für Sie und unsere Wählerinnen und Wähler tun werden: Was immer Sie auch bedrücken mag, wir werden Ihnen niemals die kalte Benita zeigen oder uns einen Heinz mit Ihnen machen.

Sie müssen nämlich wissen, dass wir – bei aller extremen Unterschiedlichkeit – für immer und während unserer Amtsperiode nur ein finales Ziel vor Augen haben: Österreich muss unser Vorrang bleiben.

Dieses Land, das gerade jetzt in eine gewaltige Weichenstellung eingebettet ist, das nicht nur dem ganzen, sondern auch noch einem größeren Europa den Stempel prägen könnte, steht exakt zwischen gestern und morgen.

Dieses Land hat unermessliche Schönheiten zu bieten, sowohl in der freien Natur als auch in der Freiheit der Kunst. In jüngster Zeit sind es gerade die hoffnungsvollen Künstler, die sich natürlich geben. Wenn wir auch nicht gleich ad horuck alle nur zu verständlichen finanziellen Wünsche befriedigen können, so bleibt dieses Befriedigen doch unser ungeteiltes Anliegen ad finitum.

Dieses Land hat nicht nur Berge und am Strome unglaublich viel zu geben, auch die Äcker und die Dome verlocken zum Verweilen. Wenn dieses Land an etwas reich ist, dann ist es seine Zukunft, es ist nicht nur die Heimat großer Töne, es ist auch im Stillen für das Schöne geradezu begnadet.

In diesem Land leben junge und alte Menschen, arbeitslose und berufstätige – besonders all diesen werden wir unsere volle Aufmerksamkeit schenken.
Liebe Landsleute, wir hoffen, Sie vertrauen uns blind.