Georg Hoffmann-Ostenhof

Der Zorn des Volkes

Der Zorn des Volkes

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Erst kürzlich beschrieb der Vorsitzende der italienischen Bischofskonferenz, Kardinal Angelo Bagnasco, in düsteren Farben die Situation im Land. Er sprach von einer gespaltenen Nation, die jegliche Hoffnung verloren habe. Nicht zuletzt diese apokalyptisch klingende Rede ließ nüchterne Beobachter der italienischen Politik wie den britischen „Economist“ eine Verschwörung vermuten: Hatte der Vatikan beim Sturz der Mitte-links-Regierung von Romano Prodi am Donnerstag vergangener Woche seine Hand im Spiel gehabt?

Die katholische Kirche war in der letzten Zeit offen auf Konfrontationskurs gegen Prodi und Co gegangen: Die Bischöfe drängen immer dreister auf die Wiedereinführung des Abtreibungsverbots. Und wenige Tage vor dem Prodi-Rücktritt hatten sie sich vollends auf die Regierung eingeschossen.
Mit Demonstrationen hatten Studenten und Professoren der altehrwürdigen römischen Hochschule Sapientia versucht, eine Rede des Papstes auf ihrer Uni zu verhindern. Bendikt XVI. sagte daraufhin seinen Auftritt ab. Daraufhin beschuldigte der Vatikan die Regierung, sie hätte einfach die Sicherheit des Heiligen Vaters nicht garantieren können. Clemente Mastella, Justizminister und Chef einer Minipartei, war jener Mann, der Prodi schließlich zu Fall brachte: Er war der Korruption angeklagt worden, trat als Minister zurück, verließ die Koalition und stimmte mit seinen Mannen gegen Prodi. Mastella ist dafür bekannt, dass er besonders enge Beziehungen zum Vatikan unterhält.
Vatikanische Verschwörung oder nicht – diesmal ist die politische Krise Italiens gravierender, als man gewöhnt ist. Ein wenig Apokalypse ist schon zu spüren.

Da mischen sich alle Elemente des Klischees über bella Italia: korrupte Politiker, böse Mafiosi, politische Intrigen, ökonomisches Desaster, Konspirationen, Chaos. Und Regierungsrücktritte erwecken beim oberflächlichen Beobachter Italiens ein Gefühl des Déjà-vu. Im Durchschnitt überlebten die 61 italienischen Nachkriegsregierungen nicht einmal ein Jahr. Prodi II schaffte immerhin 20 Monate. Das Besondere an der jetzigen Krise ist das abgrundtiefe Miss­trauen der Italiener gegenüber ihrem Staat und der Demokratie.

Vor einigen Monaten rief Beppe Grillo, ein Kabarettist, der eine Internetbewegung gegründet hat, mit dem ­expliziten Ziel, die italienischen Parteien zu zerschlagen, zu einem „Tag des Zorns“ auf: 50.000 waren in Bologna zusammengekommen, reckten nicht die Faust – sondern den ­Mittelfinger in den mediterranen Himmel und skandierten tausendfach Grillos Schlachtruf: „Vaffanculo!“, was, ins ­Wienerisch übersetzt, „Gehts in’ Arsch!“ heißt – eine Aufforderung der Menge an die Politikerkaste.
Eine aktuelle Umfrage ist überaus beunruhigend: „Wem vertrauen Sie?“, wurde gefragt. Ganz unten rangiert das Parlament mit acht, gefolgt von den Gewerkschaften mit 24 Prozent. Dem Staat bringen 30 Prozent der Italiener Vertrauen entgegen. Mehrheiten stehen nur hinter dem Amt des Staatspräsidenten (56 Prozent) und hinter den Carabinieri (72 Prozent). Jeder dritte Italiener würde unter bestimmten Umständen ein autoritäres Regime der Demokratie vorziehen. Auf die Frage, welcher Person des öffentlichen Lebens sie das meiste Vertrauen schenken, nannten über die Hälfte: Beppe Grillo.

Die so zutage geförderte Sehnsucht nach einem starken Mann verliert für Freunde der Demokratie nur deswegen ein wenig an Schrecken, weil die Italiener diese Rolle nicht mit einem General, einem politischen Scharfmacher oder Saubermann, sondern mit einem Clown besetzen wollen. Beppe Grillo als autoritärer Führer ist wohl ausgeschlossen. Realistisch bietet sich für den Posten solch eines Duce des beginnenden 21. Jahrhunderts niemand anderes an als Silvio Berlusconi. Zwar weiß man noch nicht, wann es Neuwahlen geben wird. Aber die Demoskopen sind sich einig: Der Führer der Rechten, Silvio Berlusconi, würde wieder – wie schon zweimal – das Rennen machen.

Trotz aller Unwägbarkeit, auch diese Perspektive macht nicht wirklich Angst: Den kriminellen Medientycoon mit dem implantierten Haarschopf kennen wir schon als Politiker. Da kann man sich an die Einsicht von Karl Marx halten, dass sich nichts in der Geschichte zweimal ereignet – und wenn doch, das zweite Mal als Farce. Und das dritte Mal? Berlusconi III: Wäre das die Farce der Farce? Gewiss: Berlusconi ist ein besonders unangenehmer Patron. Aber er ist inzwischen über siebzig Jahre alt, die Frische und Kraft des Neuen strahlt er bei Gott nicht aus, sein angeblicher Charme hat sich schon sehr verschlissen, und seine Schmähs und Tricksereien kennt schon jeder. Und sollte er doch gewählt werden: Enthusiasmus des Volkes hätte ihn dann gewiss nicht wieder an die Macht gebracht.

Schließlich kann man darauf vertrauen, dass die Europäische Union jenen Rahmen abgibt, in dem Chaos nicht völlig außer Kontrolle gerät und autoritären Versuchungen Grenzen gesetzt werden. Bleibt freilich die Frage: Warum, um Gottes willen, ist ein so talentiertes und sympatisches Volk wie die Italiener, das Michelangelo und Leonardo da Vinci, Verdi, Vivaldi und Puccini, aber auch Dante und Machiavelli hervorgebracht hat, warum ist dieses Volk, das einen begnadeten Sinn fürs Schöne besitzt und die Welt mit seiner wunderbaren Küche beschenkt und mit seinen prachvollen Kickern beeindruckt – warum ist dieses Volk so durch und durch politisch unfähig? Trotz aller Erklärungsversuche. Ein Rest von Unbegreiflichkeit bleibt.