Die Bawag-Bombe: French Connection

Die Bawag-Bombe: French Connection. Wie es Elsner im Gefängnis von Marseille ergeht.

Die Hintergründe der Ver- haftung Helmut Elsners

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Mitten in Marseille, nicht weit vom Meer entfernt, in einem Viertel mit bürgerlichen Villen und gepflegten Vorgärten, klotzt eine wuchtige, graue Trutzburg: das Gefängnis Les Baumettes, umgeben von haushohen Mauern, Stacheldrahtzäunen und Wachtürmen, die ganze Nacht hindurch vom grellen Licht der Suchscheinwerfer bestrahlt.

Die in den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts erbaute Strafvollzugsanstalt der südfranzösischen Hafenstadt ist ein schauriger Ort. Vor wenigen Jahren erst kam der Knast in Steven Spielbergs Streifen „Catch Me If You Can“ zu zweifelhaften Ehren. In der Rolle des amerikanischen Trickbetrügers Frank Abagnale fristet Leonardo DiCaprio in einer schuhschachtelgroßen nasskalten Zelle ein erbärmliches Dasein.

Der Film spielt Ende der sechziger Jahre.

Die Realität sieht auch bald 40 Jahre später nicht viel besser aus. Das Gefängnis fasst offiziell 1373 Häftlinge. In Wirklichkeit sitzen dort gut 1700 Menschen ein. EU-Menschenrechtskommissar Alvaro Gil-Robles würdigte Les Baumettes nach einem Besuch im Herbst vergangenen Jahres mit dem Prädikat „abstoßend“.

Hinter Gittern. Seit Freitag vergangener Woche hat Les Baumettes einen Insassen mehr: Helmut Elsner, von Freunden liebevoll „Marcel“ gerufen.

Am Tag davor war der 71-jährige Pensionist, ehedem Generaldirektor der Bank für Wirtschaft und Arbeit (Bawag), in seinem weitläufigen Ansitz im 160 Kilometer entfernten Mougins nahe Cannes von zwei Beamten der Brigade Financière de la Police Judiciaire (Finanzbrigade der Justiz) verhaftet worden. Vor den Augen seiner Ehefrau Ruth.

„Sie hat mich telefonisch verständigt, nachdem man Herrn Elsner in Gewahrsam genommen hatte“, so Elsners Wiener Rechtsanwalt Wolfgang Schubert, „offenbar ging das alles sehr schnell.“

Elsner steht im Zentrum der Affäre um die in der Karibik verspekulierten Milliarden der Bawag. Zwischen Mitte und Ende der neunziger Jahre hat die Gewerkschaftsbank unter Elsners Führung mit obskuren Spekulationen des Investmentberaters Wolfgang Flöttl 1,6 Milliarden Euro versenkt. Seit nunmehr fünf Monaten ermittelt die Staatsanwaltschaft Wien gegen Elsner, Flöttl und ein Dutzend weiterer Personen wegen des Verdachts der Untreue und des Betrugs.

Elsner dürfte mit vielem gerechnet haben – am allerwenigsten aber mit einer Verhaftung.

Tagelang war hierzulande über den Gesundheitszustand des Bankers i. R. spekuliert worden, nachdem er am 17. August einen Vernehmungstermin in Wien platzen lassen hatte. Nach Darstellung seines Anwalts hatte Elsner eine Herzattacke erlitten und sei nicht mehr in der Lage gewesen, das Haus zu verlassen.

Das Kalkül ging auf. Zunächst.

Am Mittwochnachmittag ereilten Staatsanwalt Georg Krakow erste Medienberichte, wonach der vermeintlich sieche Banker entgegen allen Beteuerungen seines Advokaten das milde südfranzösische Klima in vollen Zügen genieße.

Noch am frühen Abend hakte der Staatsanwalt telefonisch bei „Zeugen“ nach. Unter ihnen angeblich auch ein Mitarbeiter der Finanzmarktaufsicht, dem Elsner bei einem privaten Aufenthalt an der Côte d’Azur zufällig über den Weg gelaufen war. Der offenbar einhellige Befund aller Befragten: Der Banker mache einen durchaus vitalen Eindruck.

Die Justiz ließ nichts anbrennen. „Es musste schnell gehen“, sagt ein Staatsanwalt, „wenn Elsner aus der Zeitung erfahren hätte, dass auch wir daran zweifeln, dass sein Gesundheitszustand tatsächlich so angegriffen ist, wie er das darstellt, wäre er möglicherweise über alle Berge gewesen.“

Weshalb Staatsanwalt Georg Krakow tat, was ihm bis dahin nur die wenigsten zugetraut hatten: Am 13. September, kurz vor Mitternacht, stellte er beim Journalrichter am Wiener Landesgericht für Strafsachen einen Haftantrag gegen Helmut Elsner. Begründung: „Fluchtgefahr“. Krakows Kalkül: Wer wegen Fluchtgefahr arretiert wird, kann nicht wieder gegen Kaution auf freien Fuß gesetzt werden.

Nachtschicht. Weil Elsner zwar österreichischer Staatsbürger ist, aber im Ausland lebt, musste der Journalrichter seinerseits Kollegen in Den Haag aus dem Bett läuten. 2002 hat die EU in den Niederlanden die europäische Justizkoordinationsstelle Eurojust eingerichtet. Diese soll unter anderem die einst mühselige Vollstreckung von Haftbefehlen innerhalb der EU beschleunigen.

In Elsners Fall klappte das blendend.

Am 14. September 2006, um 3 Uhr am Morgen, hatten die Behörden der südfranzösischen Bezirkshauptstadt Aix-en-Provence, zu deren Zuständigkeitsbereich auch Mougins zählt, den so genannten Europa-Haftbefehl gegen Elsner auf dem Tisch.

Um 9 Uhr sollte er sich in einer Privatklinik unweit seiner Villa – der auf drei Millionen Euro taxierte Prachtbau war bereits zuvor von der heimischen Justiz mit einem Veräußerungs- und Belastungsverbot belegt worden – einer Gastroskopie unterziehen, wobei ihm ursprünglich für die Dauer von 24 Stunden eine Magensonde eingesetzt werden hätte sollen. Anwalt Schuster darauf angesprochen: „Der Eingriff wurde letztlich nicht durchgeführt, weil der Anästhesist die Narkose mit Hinweis auf den Gesundheitszustand meines Mandanten nicht vornehmen wollte.“

Während Elsner in der Klinik seiner Entlassung harrte, warteten die Polizisten vor der Villa.

„In der Scheiße“. Um die Mittagszeit schließlich klickten in Mougins die Handschellen.

Tatsächlich gibt es mittlerweile Indizien, welche die Zweifel an Elsners Gesundheitszustand erhärten. Schnappschüsse, aufgenommen am Tag seiner Verhaftung, zeigen Elsner in Begleitung seiner Ehefrau. Der retirierte Banker wirkt auf diesen Fotos jedenfalls nicht so, als schwebte er in Lebensgefahr.

Eine These, die auch eine der letzten Personen, die Elsner in Freiheit angetroffen hat, nicht völlig zu verwerfen wagt: Josef Taus, Industrieller, ÖVP-Bundesparteiobmann a. D. und langjähriger Geschäftspartner der Bawag. Wie sich jetzt herausstellt, war Taus am 12. September, nur zwei Tage vor der Verhaftung, in Mougins auf Stippvisite. Die Tageszeitung „Kurier“ veröffentlichte in ihrer Sonntagsausgabe Fotos, die Taus mit Elsners Gattin auf dem Weg zum Anwesen der Familie zeigen. „Ich weilte vergangene Woche auf Einladung meines alten Freundes Manfred Scheich (einst Ständiger Vertreter Österreichs bei der Europäischen Union, Anm.) ein paar Tage in Südfrankreich. Elsner hat mich angerufen und mich gefragt, ob ich ihn nicht besuchen wolle.“ Er, Taus, habe daraufhin am Dienstagnachmittag „auf eine halbe Stunde“ vorbeigeschaut. „Wir haben uns ein wenig unterhalten, dann bin ich zum Flughafen gefahren.“

Taus war Mitglied in jenem Investorenkonsortium um den Wiener Geschäftsmann Martin Schlaff, welches 2002 mit tatkräftiger Unterstützung der Bawag den bulgarischen Mobilfunkbetreiber Mobiltel erworben und 2005 mit sattem Profit an die Telekom Austria weiterverkauft hat. Über den Inhalt seiner Unterredung mit Elsner sagt Taus nur so viel: „Es war ein Privatgespräch unter alten Bekannten. Elsner sitzt in der Scheiße. Da hört man zu.“ Ein Urteil über Elsners Gesundheitszustand wolle er, Taus, sich nicht anmaßen. „Ich bin kein Mediziner.“

Die französische Justiz hat Mediziner. Und die schienen jedenfalls keine Einwände gegen die Inhaftierung des Bankers gehabt zu haben. Elsner wurde noch am Nachmittag des 14. September in das nahe gelegene Gefangenenhaus Nizza überstellt, welches zwar einen eigenen Spitalstrakt beherbergt – der Banker dürfte die Strapazen jedoch unbeschadet überstanden haben. Am frühen Morgen des 15. September wurde er im Arrestantenwagen von Nizza ins 180 Kilometer entfernte Aix-en-Provence verlegt, um dort um Punkt 10 Uhr dem Generalstaatsanwalt vorgeführt zu werden. Der verfügte umstandslos Elsners Überstellung nach Marseille.

„Ich kann bestätigen, dass die Person heute eingeliefert wurde“, so der diensthabende Leiter der Anstalt am Freitagnachmittag gegenüber profil. „Und ich kann so viel sagen, dass es keine bevorzugte Behandlung für Herrn Elsner gibt.“ Aufgrund der räumlichen Gegebenheiten sei dies ohnehin nicht möglich. „Wir haben zwei Trakte. Einen für Männer und einen für Frauen. Das ist die einzige Unterscheidung. Ansonsten kann es durchaus sein, dass ein Mörder und Dieb in derselben Zelle sitzen.“ Auf Elsners Verfassung angesprochen, sagt der Beamte nur: „Er war bei seiner Einlieferung nicht auffällig. Les Baumettes ist für medizinische Notfälle gar nicht ausgerüstet. Wir haben lediglich eine Psychiatrie.“

Am Mittwoch dieser Woche will die französische Justiz entscheiden, ob Elsner auch tatsächlich den österreichischen Behörden übergeben wird. Der Banker, vor Ort durch einen Rechtsanwalt aus

Nizza vertreten, kann eine allfällige Entscheidung, ihn auszuliefern, zwar theoretisch vor dem Zentralen Berufungsgericht in Paris anfechten. Dies würde seinen Aufenthalt in Marseille aber maßgeblich in die Länge ziehen. Die österreichische Justiz rechnet jedenfalls damit, Elsner noch vor Ende des Monats in Wien in U-Haft nehmen zu können. Sein Wiener Anwalt Schuster ließ in diesem Zusammenhang bislang lediglich durchblicken, dass er den Haftbefehl „beseitigen“ wolle. Wie er das anstellen will, sagt er nicht.

Prozessauftakt. Dessen ungeachtet steht noch immer nicht endgültig fest, wann nun Anklage gegen den Banker und seine mutmaßlichen Komplizen erhoben wird. Staatsanwalt Georg Krakow bleibt kryptisch: „Die Anklage ist fertig, wenn sie fertig ist.“

Auch zu möglichen weiteren Haftbefehlen schweigt er. Wahrscheinlich sind diese aus heutiger Sicht nicht. Wolfgang Flöttl, zweiter Hauptdarsteller im Karibik-Drama und Sohn von Walter Flöttl, Elsners Vorgänger an der Bawag-Spitze, ist bislang brav zu seinen Einvernahmen erschienen. Flöttls Anwalt Herbert Eichenseder kann sich eine kleine Portion Zynismus nicht verkneifen: „Mein Mandant erfreut sich bester Gesundheit und wird sich Ende dieser Woche wieder einer Einvernahme stellen“ (siehe Kasten Seite 54).

Bei den übrigen Verdächtigen – Elsners Nachfolger Johann Zwettler, weitere ehemalige Bawag-Vorstandsmitglieder und der frühere ÖGB-Finanzchef Günter Weninger – rechnet die Justiz offenbar ebenso wenig mit Fluchtgefahr. Mit Ausnahme von Weninger, der die Machinationen von Flöttl und Elsner mittels großzügiger Garantien des Gewerkschaftsbundes vertuschte, spielen die anderen Beteiligten auch eher untergeordnete Rollen. Johann Zwettler wird sich freilich für seine Rolle im Refco-Debakel – der Kollaps des US-Brokerhauses hat die Bawag eine weitere Milliarde Euro gekostet – in einem gesonderten Gerichtsverfahren verantworten müssen.

Die Staatsanwaltschaft geht unterdessen neuen Verdachtsmomenten nach. Demzufolge soll es rund um den Kauf des inzwischen zu einiger Berühmtheit gelangten Penthouse am Dach der Bawag-Zentrale in der Wiener Innenstadt auch zu strafrechtlich relevanten Handlungen gekommen sein. Nach profil-Recherchen steht Elsner mittlerweile im Verdacht, zwei damalige Mitarbeiter aus dem Immobilienbereich der Bank angewiesen zu haben, Bewertungsunterlagen so zu manipulieren, dass er möglichst preiswert an das Luxusrefugium gelangen konnte. Auch die Mitarbeiter – einer ist nach wie vor in der Bawag beschäftigt, der andere pensioniert – sind inzwischen im Visier der Justiz.

Elsner hatte die Wohnung noch als Bawag-Generaldirektor 2002 angemietet und 2005, zwei Jahre nach seiner Pensionierung, um 474.000 Euro zuzüglich Umsatzsteuer erworben. Die genauen Umstände der Transaktion sind bis heute nebulos.

Tatsache ist, dass die 325 Quadratmeter große Bleibe weit unter dem Marktwert verkauft wurde. Das amtierende Bawag-Management um Generaldirektor Ewald Nowotny hat Elsner auf Schadenersatz und Räumung des Objekts geklagt. Für

Elsner gilt, wie für alle anderen Beteiligten, bis zu einer allfälligen rechtskräftigen Verurteilung die Unschuldsvermutung. Anwalt Schubert will die Verdachtsmomente nicht kommentieren: „Ich hatte bislang keine vollständige Akteneinsicht, daher kann ich auch nicht beurteilen, was genau meinem Mandanten angelastet wird.“

Helmut „Marcel“ Elsner wird die kommenden Tage, isoliert von der Außenwelt, wohl auch dazu nutzen können, die Ereignisse der vergangenen Tage, Monate und Jahre Revue passieren zu lassen. Vielleicht wird er sich die Zeit ja auch mit dem Studium der langen, bewegten Geschichte von Les Baumettes vertreiben.

Fast auf den Tag genau vor 29 Jahren, am 10. September 1977, wurde in der Strafanstalt mittels Guillotine das letzte Mal in der Geschichte Frankreichs ein Todesurteil vollzogen. Der Name des Henkers: Chevalier, Vorname: Marcel.

Von Michael Nikbakhsh
Mitarbeit: Martin Himmelbauer (Marseille), Edith Meinhart, Martin Staudinger