Die Erde als Scheibe

Die Erde als Scheibe

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1.Eine Million und dreihunderttausend Exemplare der Postwurfzeitung „Ihr Einkauf“ wurden dieser Tage in Österreich verteilt. In der Postille fand sich ein Kommentar1 mit dem Titel „Mütter an der Macht/Kindererziehung ist die größte Macht der Welt“. Seine Kernsätze lauteten: „Ich möchte an dieser Stelle alle Frauen dieser Welt (...) an ihre unumschränkte Machtposition im täglichen Leben erinnern, die sie von Natur aus innehaben. Damit meine ich vor allem die Erziehung der Kinder, die meist (dem Himmel sei’s gedankt) immer noch in weiblicher Hand liegt. Wir erziehen Menschen, die später einmal Männer und Frauen sein werden. Was wir ihnen auf den Lebensweg mitgeben, prägt sie fürs Leben. Also haben wir auch die Macht, den Kindern Werte zu vermitteln, die sie zu integeren Erwachsenen machen, mit einem Gedankengut, das unsere Welt schlicht besser machen kann. Je stärker wir uns in dieser Position behaupten, je weniger wir die Erziehung unserer Kinder anderen (auch öffentlichen Institutionen) überlassen, desto mehr haben wir die Macht in der Hand, die Welt zu verändern.“

Keine besonders neuen Überlegungen. Aber angesichts einer Politik, die Hausfrauen-Mütter fördert (dass das Kindergeld, wie prophezeit, Frauen vom Arbeitsmarkt entfernt, haben die jüngsten Zahlen der Arbeitslosenstatistik erst kürzlich bestätigt), und angesichts der hohen Auflage des Postwurfblättchens sollte man diesen Versuch einer großräumig angelegten Gehirnwäsche vielleicht doch nicht auf die leichte Schulter nehmen.

Was wird denn hier behauptet? Nicht mehr und nicht weniger als dieses: Mütter bestimmen, ob es anständig oder unanständig zugeht in der Welt. Wenn es unanständig zugeht, ist das demzufolge die Schuld von Frauen, die ihre Kinder öffentlichen Institutionen überlassen haben, statt Tag und Nacht auf ihnen zu brüten. Also – im Interesse des Weltfriedens: Weg mit Kindergärten, Schulen, Horten, Feriencamps, ja, vielleicht sogar mit Kinderspitälern, denn die gute Mutter betreut, unterrichtet und pflegt zwecks Blockierung schädlicher Außeneinflüsse selber!
Schändliche Übertreibung? Nicht so ganz. Tatsächlich fehlt es uns in gravierendem Ausmaß an Betreuungseinrichtungen, und auch die Krankenhäuser entlassen PatientInnen, große wie kleine, wirklich immer früher in häusliche Pflege. Doch wenn Frauen sich beschweren, dann kriegen sie, siehe oben, nicht selten zu hören: Sie hätten als Ausgleich für ihren 24-Stunden-Job ja diese unerhörte Macht über ihre Kinder.

Vielleicht sind Mütter aber gar nicht so machtbesessen, wie ihnen unterstellt wird? Vielleicht wünschen sie ihren Kindern gar nicht so viel Abhängigkeit von einer einzigen Person? Vielleicht würden sie die Verantwortung für die Kinder (und für den Zustand der Welt schon gar) lieber teilen, als ganz allein zur Rechenschaft gezogen zu werden?

Und vielleicht sind Frauen auch nicht so blöd zu glauben, ihre angebliche Erziehungsmacht hätte was mit einer wirklichen Schlüsselposition zu tun und entschädige sie für vergleichsweise Machtlosigkeit in Arbeitswelt, Politik und Wirtschaft?

Und, last but not least, vielleicht können Frauen schlicht nicht abbeißen von der Tatsache, dass ihnen die Kinder ausgeliefert sind bzw. sie den Kindern – soll heißen, vielleicht braucht es zum (Über-)Leben auch so was wie Geld und nicht bloß eine behauptete Macht? Oder wächst für jede, die lieber Erziehungsmacht ausüben statt ihre Kinder einer Institution überlassen will, automatisch ein lebenslanger Ernährer aus dem Boden?

Die Antworten sind, sollte man meinen, bekannt. Trotzdem immer wieder derselbe Schmäh von der heimlichen Weltherrschaft der Mütter. (So heimlich, dass sie niemand merkt?) Zum Wimmerlkriegen.

2.Die ÖAMTC-Zeitung „Auto Touring“ veröffentlichte ein Inserat des Wiener Ambulatoriums Gynmed, in dem der Gynäkologe Dr. Christian Fiala davor warnt, auf Urlaubsreisen leichtsinnig zu sein in Sachen Empfängnisverhütung. Human Life International, berüchtigt für totalitäres Kämpfen gegen den Schwangerschaftsabbruch, sowie die katholischen Verbände Amici di Dio und St. Josef protestierten. Das Ambulatorium Gynmed führe auch Schwangerschaftsabbrüche durch, es handle sich bei der Annonce daher um massivste Werbung für das Todesgeschäft der Abtreibung. „Auto Touring“ versprach daraufhin, keine derartigen Anzeigen mehr zu publizieren.

Empfängnisverhütung ist gleich Abtreibung ist gleich Todesgeschäft? Das mag so sehen, wer will. Aber warum lässt sich der ÖAMTC auf diese Sicht ein? Und was dürfen wir als Nächstes (nicht) lesen, wenn gnadenlose Fundamentalisten sich durchsetzen? Die Erde ist (k)eine Scheibe, Aids ist (k)eine Strafe für außerehelichen Sex, wer nackt duscht, kriegt (nicht) Gehirnerweichung?

3. Die Österreichische Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe hält – unter dem Titel „Zum Wohle der Frauen“ – eine Pressekonferenz (am 27.5.) ab. Leserin Martina G. wird, wiewohl eingeladen, fehlen. Der Grund: Von den angekündigten sieben Rednern sind sieben männlich. Martina G., in einem E-Mail an die Veranstaltungsleitung: Wenn schon bei der Besetzung der Teilnehmerliste null Prozent Frauenanteil herrscht, kann ich mir vorstellen, wie Ihre Veranstaltung wird. „Zum Wohle der Frauen“ aus der Sicht der Männer – das finde ich total unspannend, und deswegen nehme ich nicht teil.
Irgendwie nachvollziehbar.