Die alten Leiden des jungen W.

Die alten Leiden des jungen W.: Das "Comeback" des Robbie Williams

Das "Comeback" des Robbie Williams

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Wenn aus Spaß Ernst wird, bleiben zwei Alternativen: losheulen oder weiterlächeln. Robbie Williams, 35, entscheidet sich seit gut 15 Jahren routinemäßig für Letzteres. Es ist zum Heulen. Am 6. November erscheint das neue, elfte Album des vormals größten Popstars des Planeten (na gut: Europas). Es heißt „Reality Killed the Video Star“, und wer das bis jetzt noch nicht gewusst hat, dürfte sich gegenwärtig einem umfassenden Medienentzugsprogramm unterziehen. Robbie Williams läuft derzeit in Omnipräsenz, aus gefühlten 70 Prozent aller einschlägigen TV-Sondersendungen, Programmjingles, Feuilletonseiten und Internetvermarktungsmaschinen strahlt er dem p. t. Publikum entgegen, sogar ganz normale Rundfunkwerbung wurde geschaltet. Seine Plattenfirma hat sich offenbar dazu entschlossen, die Platte als großes Comeback-Werk zu vermarkten, was insofern überrascht, als Williams’ letztes Album „Rudebox“ vor ziemlich genau drei Jahren erschienen ist. Andere Künstler seiner Preisklasse würden das ohne schlechtes Gewissen als gewöhnlichen Arbeitsrhythmus bezeichnen.

Aber Robbie Williams ist eben, und auch darauf weist seine Plattenfirma gern und ungefragt hin, anders als der übliche 50-Millionen-Seller. Authentischer irgendwie, eigensinniger, mit echten Problemen und einem Herzen, das vielleicht manchmal etwas nervös schlägt (zu viel Espresso), aber immerhin am rechten Fleck sitzt. Und das alles, obwohl er mehr als die Hälfte seines Lebens im alles versengenden Rampenlicht gestanden hat (nur zwischendurch hat er es sich auch mal im Halbdunkel verschimmelter Londoner Ausdauertrinker-Pubs gemütlich gemacht). Alles wie gehabt also, genauer: fast alles. In Großbritannien, dem heiligen Land der Robbie-Verehrung, verkaufte sich seine neue Single „Bodies“ zwar besser als jede andere seit Williams’ „Rock DJ“ (die auch bald zehn Jahre alt ist), stieg aber trotzdem nur auf Platz zwei in die Charts ein, deutlich hinter der Talentshowgewinnerin Alexandra Burke.

Das wäre jetzt wohl eine schöne Gelegenheit, um auf den Unterschied zwischen Williams und dem gemeinen Casting-Popstar hinzuweisen, nämlich: Der Typ hat echten Charakter und ist sich auch der Tatsache voll bewusst, dass sein Erfolg eigentlich nur ein Witz sein kann, über den er gemeinsam mit seinen Fans laut lacht. Nur: Das Modell „Popstar mit menschlichem Antlitz“ mag eine Zeit lang erfrischend gewesen sein, taugt aber anno 2009 einfach nicht mehr als Alleinstellungsmerkmal. Denn genau darum geht es ja im Casting-Pop, der dominierenden Kunstform des ausgehenden Jahrzehnts: problematische Charaktere vorzuführen, lächerlich berühmt zu machen und dann schleunigst zu verheizen. Dass Williams die Chose, im Gegensatz zum handelsüblichen Castingshowstar, nicht wirklich ernst nimmt, glaubt ihm leider niemand mehr. Seiner Plattenfirma, der an erheblichen Liquiditätsproblemen laborierenden EMI, dient Robbie neben den routinemäßig wieder und wieder veröffentlichten Beatles derzeit als eine Art letzter Strohhalm. Das dürfte ihm von den zuständigen Finanzabteilungsleitern offenbar recht deutlich gemacht worden sein; seine Comeback-Auftritte (unter anderem in ebenjener britischen Talentshow, die Alexandra Burke im Vorjahr gewann) absolvierte der nicht ganz unroutinierte Live-Performer mit kaninchenartig schreckgeweiteten Augen und in die Designerjeans gerutschtem Herzen (anders wären seine, nun ja: Tanzeinlagen nicht zu erklären).

Der Mann, dessen öffentlich bekannt gewordener Charme sich einst relativ rückstandslos von seiner koketten Bühnenperformance herleiten ließ, macht live neuerdings den Eindruck eines profund untermotivierten Karaokesängers, der das Wissen über die üble Qualität des gegebenen Songmaterials durch allerlei Bühnenfaxen überkompensiert, sich dabei aber leider nicht verkneifen kann, dieses Wissen mit viel Verve und kumpelhaftem Grinsen auch noch der letzte Reihe zu signalisieren. Robbie Williams macht eindeutig zu viel und verbirgt dabei deutlich zu wenig.

Die Beatles haben im Vergleich zu ihrem schwächelnden Labelkollegen den unschätzbaren Vorteil, keine neuen Lieder mehr zu schreiben. Williams macht leider genau das (beziehungsweise: lässt machen), trotz der schlechten Erfahrungen mit seinem letzten Album „Rudebox“, dessen enttäuschender Absatz ihm keine Lehre war. Die Vorab-Single „Bodies“ hält mit etwas Mühe den gewohnten Williams-Standard (zeitloses Mitsingmaterial mit Ansätzen von Hinterfotzigkeit), der große Rest des von Trevor Horn (ABC, Buggles, Frankie Goes To Hollywood) produzierten Albums zerfällt in erschütternd lustlos collagierte Hitbausteine: hier ein Balladenansatz, da ein Discorhythmus, dort eine hingeschluderte Tempoverschärfung, dazwischen zwangsironische Refrainphrasen. Nach Anhörung der ersten Auszüge analysierte die „Süddeutsche Zeitung“ messerscharf: „Nüchtern betrachtet ist dieses Material auch nicht schwächer als ein Großteil von Williams’ alten Songs. Der Unterschied besteht einfach darin, dass man sich noch nicht so daran gewöhnt hat.“

Und dass man sie nüchtern aushalten muss, weil der große Robbie-Rausch seit ungefähr sieben Jahren vorbei ist. Das hat auch demografische Gründe: Herr Williams hat ein drastisches Nachwuchsproblem, und seine alten Fans sind aus der akut hysterischen Phase auch schon wieder draußen – während ihre Kinder lieber Castingshows schauen und sich über den seltsamen Typen mit den aufgerissenen Augen wundern.

Im kommenden Februar wird Robbie Williams bei den Brit Awards für sein Lebenswerk ausgezeichnet. Kann man ihm eigentlich noch deutlicher sagen, dass seine Zeit vorbei ist?