Christl: „Die Politik ist einfach zu trocken“

„Die Politik ist einfach zu trocken“

Christl über die politische Abstinenz der Jungen

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profil: Frau Stürmer, Sie sind für dieses Sommergespräch aus Deutschland eingeflogen. Wo treten Sie auf?
Stürmer: Ich mach gerade einen Videodreh.
profil: Merken Sie etwas von der wirtschaftlichen Krisenstimmung, wenn Sie in Deutschland sind?
Stürmer: Es ist interessant: Wenn man durch den Osten von Deutschland fährt, stellt man fest, dass man immer noch ein wenig im „Osten“ von früher ist. Und dass die Arbeitslosenrate dort über 60 Prozent liegt, merkt man natürlich – einfach schon daran, dass die Leute kein Geld haben.
profil: Können diese Menschen es sich dann überhaupt leisten, zu Ihren Konzerten zu gehen?
Stürmer: Bei den Radiofestivals werden dort die Preise viel niedriger angesetzt.
profil: Werden Sie in Deutschland als Österreicherin wahrgenommen, als Ösi oder eher als internationale Künstlerin?
Stürmer: Als Österreicherin. Darauf bestehe ich auch.
profil: Was macht das Österreichische an Ihnen aus?
Stürmer: Zum Beispiel die Moderationen zwischen den Liedern, da will ich das Österreichische gar nicht unterdrücken, da kommt immer wieder der österreichische Dialekt durch. Als Österreicher wird man dort extrem gut aufgenommen. Die Leute mögen die österreichische Mentalität, das Gemütliche.
profil: In profil sagte der Pop-Experte Walter Gröbchen kürzlich: „Christina Stürmer verkörpert Jugend, Unbekümmertheit und einen gewissen Scheißdrauf, der typisch ist für die Grundstimmung der 10- bis 18-Jährigen.“ Sehen Sie sich selbst auch so?
Stürmer: Man könnte das auch als „einen eigenen Kopf haben“ beschreiben. Einfach das zu tun, worauf man Lust hat und was einem Spaß macht. Ich glaube, das sollte nicht nur die Einstellung der 10- bis 18-Jährigen sein, sondern auch die Einstellung der 30-, 40- oder 70-Jährigen. Man kann nur zu dem stehen, was man 100-prozentig mit Spaß macht, glaube ich.
profil: Die Botschaft ist also: Alles soll Spaß machen.
Stürmer: Alles kann nicht immer Spaß machen, aber man sollte Freude an seinem Job haben.
profil: Es hat ja auch Sänger gegeben, die sagten: Meine Botschaft ist die Ökologie oder der Friede oder die Gerechtigkeit.
Stürmer: Ja. Aber ich will nicht mit 23 Jahren zum großen, weisen Apostel werden. Ich mache das, was mir Spaß macht, und das soll auch so rüberkommen.
profil: Sie sind mit 23 für viele Jüngere ein Idol: Sie nehmen sich an Ihnen ein Beispiel. Ist das nicht oft belastend, wenn man vielleicht selbst noch Vorbilder sucht?
Stürmer: Natürlich brauche ich auch meine Vorbilder. Das ist bei mir meine Mama. Ich habe eine kleine Schwester mit elf Jahren, dadurch hatte ich immer schon ein bisschen eine Vorbildwirkung. Aber ich mache nichts, damit ich großes Vorbild bin. Ich stell mich nicht hin und sage: Ich trinke keinen Alkohol, ich rauche nicht. Es würde mir mit meinen 23 sowieso keiner glauben, wenn ich so scheinheilig durch die Welt schreite. Aber alles muss ein gewisses Maß haben. Ich glaube, ich bin eine normale, durchschnittliche junge Erwachsene und mache das, von dem ich glaube, dass es richtig ist.
profil: Lauern Ihnen eigentlich oft Fotografen auf?
Stürmer: Bis jetzt ist das zum Glück noch nicht so schlimm. Aber wenn einmal jemand vor meiner Wohnung steht, ist es aus mit dem Spaß. Das sind meine heiligen vier Wände, und diese Privatsphäre brauche ich ganz einfach, wo ich einfach meine Ruhe habe, wo ich mich zurückziehen kann, wo die private Christina zu Hause ist.
profil: Was sagen Sie zum Fall von Finanzminister Grasser, der sich über die Medienberichte über seine Beziehungen beschwert?
Stürmer: So einfach ist es nicht: Wenn du die Medien einmal an deinem Glück teilhaben lässt, dann musst du sie auch daran teilhaben lassen, wenn eine Beziehung einmal negativ endet. Entweder man lässt alles zu oder gar nichts. Aber man kann nicht vorher groß herumposaunen: Ja, ich bin jetzt glücklich – und wenn es aus ist, darf nicht mehr darüber geredet werden.
profil: Man könnte sagen: Das ist der Preis des Ruhms.
Stürmer: Ja, aber manchmal ist es schon lächerlich. Wenn ich anfangs mit jemandem auf einen Kaffee gegangen bin, war ich mit dem in manchen Medien schon so gut wie verheiratet, und es waren Kinder unterwegs. Ich bin ein normales 23-jähriges Mädel, das halt ab und zu mit jemandem auf einen Kaffee geht. Deswegen sind noch lange nicht eine Heirat oder Kinder in Sicht.
profil: Sie waren mit dem Verteidigungsminister im Kosovo und haben dort Truppenbetreuung gemacht. Wie war das?
Stürmer: Bedrückend. Du fährst durch Kriegsgebiete, und es herrscht extreme Armut. Obwohl der Kosovo gleich neben uns liegt, ignoriert man das in Österreich ein bisschen. Der Trip war für mich sehr lehrreich.
profil: Haben Sie den Eindruck, dass die Österreicher insgesamt zu wenig über ihren Tellerrand schauen?
Stürmer: Ich glaube, das sind nicht nur die Österreicher. Es ist ja allgemein so, dass man immer schaut, dass es einem selber gut geht und einem im Prinzip die Probleme der anderen unwichtig erscheinen.
profil: Sie hätten ja die Möglichkeit, bei Ihren Konzerten zu sagen: Liebe Leute, ich war jetzt im Kosovo, ihr glaubt ja gar nicht, wie nah das ist und wie furchtbar es dort ausschaut.
Stürmer: Natürlich. Kann sein, dass man mit Musik irgendetwas erreichen kann. Gerade weltweit bekannte Musiker können vielleicht einen Denkanstoß geben.
profil: Haben Sie schon jemals überlegt, halbpolitische Songs zu schreiben?
Stürmer: Mit politischen Themen ist es immer schwierig, das ist immer zwiespältig.
profil: Warum?
Stürmer: Weil es immer nur authentisch wirkt, wenn man über Sachen singt, die man selber auch erlebt hat. Wenn man etwa über Arbeitslosigkeit singt, heißt es gleich: Du hast leicht reden, du machst deine Konzerte, verdienst dein Geld und palaverst gescheit herum.
profil: Es gibt eine große Kluft zwischen Ihrem Einkommen und jenem Ihrer Fans. Wird das von denen manchmal thematisiert?
Stürmer: In Ostdeutschland bis jetzt noch nicht. Aber man hört ab und zu – nicht nur von den Fans: Rede nicht gescheit herum, du hast eh keine Ahnung, weil du verdienst ja dein Geld. Dass es mir auch einmal anders gegangen ist, das sieht ja keiner. Ich kann mich da sehr wohl hineinversetzen.
profil: Kennen Sie außer dem Verteidigungsminister Platter noch andere österreichische Politiker?
Stürmer: Persönlich eigentlich nicht.
profil: Würden Sie gerne einen Politiker kennen lernen?
Stürmer: Nicht unbedingt. Ich bin mit den Bekannten, die ich habe, ganz zufrieden.
profil: Gibt es einen Politiker, der Sie beeindruckt, der Ihnen besonders gefällt?
Stürmer: Das ist schwierig. Ich finde einfach, dass man Politik ein bisschen jugendfreundlicher machen sollte.
profil: Wie könnte man sie jugendfreundlicher machen?
Stürmer: Die Präsentation von Politik ist teilweise einfach zu trocken. Ich könnte Ihnen jetzt auch nicht sagen, wie man das konkret verändern könnte. Aber wenn ich den Fernseher aufdrehe, und dann redet ein Politiker monoton dahin – da kann zumindest ich einfach nicht zuhören.
profil: Würden Sie bei einer Veranstaltung wie dem Live-8-Konzert mitspielen?
Stürmer: Ja, sofort. Ohne eine Sekunde zu überlegen.
profil: Es gab nach dem Live-8-Konzert aus Afrika die Kritik, solche Events brächten zwar kurzfristig Aufmerksamkeit und vielleicht auch ein bisschen Geld, aber nach wenigen Wochen sei alles wieder vergessen. Würden Sie dem zustimmen?
Stürmer: Die Live-8-Konzerte machten auf etwas aufmerksam. Das ist schon sehr wichtig. Und vielleicht können so große Künstler wie U2 oder Madonna den Politikern ein wenig die Augen öffnen. Ich glaube, man muss alles versuchen. Es ist wichtig, dass man etwas macht, egal, was.
profil: Gleichzeitig könnte man natürlich auch sagen: Das dient mehr der Markenpflege von U2 und Madonna. Die haben jetzt den Heiligenschein des Gutmenschentums.
Stürmer: Ja, aber ich glaube nicht, dass sie es wegen dem Heiligenschein machen. Die haben sowieso schon einen Namen – da ist das egal. Es ist ja für die Künstler auch ein wenig riskant, wenn man ohne Soundcheck eine Viertelstunde spielt.
profil: Sind Sie schon einmal von einer politischen Partei gefragt worden, ob Sie für sie auftreten würden?
Stürmer: Ja.
profil: Haben Sie es gemacht?
Stürmer: Nein.
profil: Welche Partei hat Sie gefragt?
Stürmer: Das will ich nicht sagen. Ich finde, dass es für Musiker immer fürchterlich ist, wenn man irgendeine Partei unterstützt. Bei mir hat einmal eine Partei mit meinem Namen Werbung gemacht, ohne mich vorher zu fragen.
profil: Welche?
Stürmer: Das war die ÖVP in Oberösterreich vor der letzten Landtagswahl.
profil: Wie haben die das gemacht?
Stürmer: Mit einem großen Bild auf der Vorderseite eines Wahlprospekts. Dabei ist sinngemäß gestanden: Ich bin für Pühringer, und er ist ein toller Mann. Er ist ein toller Mann, keine Frage. Nur habe ich nie gesagt, dass ich ihn wählen würde und dass ich total für die ÖVP wäre. Ich finde, so etwas ist eine Gemeinheit. Ich bin dann von meinen Freunden und Eltern sogar ein bisschen angefahren worden, weil die geglaubt haben, dass das tatsächlich mit meiner Zustimmung gemacht wurde.
profil: Haben Sie geklagt?
Stürmer: Wir wollten klagen, aber dann haben wir darauf verzichtet, weil das wieder nur Staub aufgewirbelt hätte. Ich war halt angefressen.
profil: Haben Sie dann Pühringer gewählt?
Stürmer: Nein.
profil: Machen Sie immer von Ihrem Wahlrecht Gebrauch?
Stürmer: Nicht immer, aber immer öfter. Es geht sich halt einfach manchmal von der Zeit her nicht aus, auch wenn sich das blöd anhört. Wenn ich irgendwo in Deutschland sitze, ist es schwierig, in ein österreichisches Wahllokal zu kommen.
profil: Wenn Sie hier wären, würden Sie wählen?
Stürmer: Ja, natürlich. Aber ich fürchte, es gibt genügend Leute, die einfach hinrennen und irgendetwas ankreuzeln, ohne nachzudenken. Da sollte man vielleicht besser gar nicht gehen. Sich vor der Wahl ein bisschen einzulesen tut ganz gut. Dann sollte man aber auch hingehen.
profil: Sie haben ja eine Buchhändlerlehre absolviert. Haben Sie genügend Zeit zum Lesen?
Stürmer: Ja, die Zeit nehme ich mir.
profil: Was haben Sie zuletzt gelesen?
Stürmer: „Der kleine Prinz“ von Antoine de Saint-Exupéry und „Veronika beschließt zu sterben“ von Paulo Coelho. Jetzt habe ich gerade „Die Häupter meiner Lieben“ von Ingrid Noll in Arbeit.
profil: Sind Sie ein gläubiger Mensch?
Stürmer: Ja, ich glaube an Gott.
profil: Gehen Sie auch in die Kirche?
Stürmer: Ich bin römisch-katholisch und glaube an Gott, aber in der Kirche war ich schon lange nicht mehr.
profil: Aus Zeitmangel?
Stürmer: Auch aus Zeitmangel, aber auf die Zeit kann ich mich nicht immer ausreden. Ich finde einfach, dass der Glaube an Gott nichts mit der Institution Kirche zu tun hat. Ich kann genauso gut zu Hause sitzen und mit Gott reden.
profil: Glauben Sie auch an ein Leben nach dem Tod?
Stürmer: Ja, ich glaube, dass irgendetwas nachher ist. Aber ich habe keine Ahnung, was. Ich kann mir eigentlich alles vorstellen: Wiedergeburt vielleicht? Man wird ja sehen.
profil: Das dürfte bei Ihnen noch einige Zeit dauern. Wie lange kann man eigentlich Ihren Beruf ausüben?
Stürmer: Wie alt sind die Rolling Stones?
profil: Mick Jagger ist 61, Ringo Starr wurde unlängst 65.
Stürmer: Ich glaube, dass man Musik sehr lange machen kann. Ob man dann mit 65 noch immer genauso locker über die Bühne hüpft, das bezweifle ich.
profil: Mick Jagger hüpft noch immer recht locker über die Bühne.
Stürmer: Der macht sicher sehr viel Sport.
profil: Machen Sie das nicht?
Stürmer: Nein. Auf der Bühne herumhopsen – das ist mein Sport.
profil: Marianne Faithfull singt Brecht-Lieder. Könnten Sie sich vorstellen, dass Sie so etwas auch einmal singen?
Stürmer: Ich kann mir alles vorstellen. In den nächsten paar Jahren nicht – aber was in 20 Jahren ist, weiß ich nicht.
profil: Haben Sie in Ihrem Spektrum auch andere Arten von Musik?
Stürmer: Ja, ich höre irrsinnig viel verschiedene Dinge. Jetzt ist es halt größtenteils Deutschsprachiges. Das ist meine Sprache, in der ich mich selbst am besten ausdrücken kann. Aber Geschmäcker kommen und gehen. Früher habe ich sehr viel Englischsprachiges gehört. Vielleicht sind es in zehn Jahren spanische Volkslieder – keine Ahnung.
profil: Mir ist aufgefallen, dass Sie sich früher Christl Stürmer genannt haben und jetzt Christina Stürmer. Hat Ihnen die Verniedlichungsform nicht mehr gefallen?
Stürmer: In meiner Geburtsurkunde steht Christina Stürmer. Während der Casting-Show wurde bekannt, dass mich meine engsten Freunde Christl nennen. Auf einmal hat ganz Österreich Christl zu mir gesagt. Plötzlich plärrte wer, den ich in meinem ganzen Leben noch nie gesehen habe, quer über die Straße: „Christl!“ Das hat mich mit der Zeit wahnsinnig gemacht – spätestens, als meine Freunde gesagt haben: Du, in der Zeitung steht „unsere Christl“. Aber du bist nicht ihre Christl, du bist unsere. Sie würden mich ab sofort nur mehr Christina nennen. Mir gefällt Christina übrigens tausendmal besser.

Interview: Herbert Lackner