Die Präsidentin

Menschen des Jahres. Michelle Obama oder das große Einmaleins der First Lady

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Als Barack Obama wenige Wochen vor den Präsidentschaftswahlen bei Late-Night-Talker David Letterman zu Gast war und der Enter­tainer den 44. US-Präsidenten fragte, wie der Parteitag der Demokraten in Charlotte für ihn verlaufen sei, seufzte Oba­ma: „Alle sagten mir: ,Deine Rede war in Ordnung, aber Michelle war wieder einmal überragend.‘ – Willkommen in meinem Leben!“

Das war natürlich kokett, aber auch absolut zutreffend. Die 48-jährige ­Michelle Obama erwies sich als Wunderwaffe im demokratischen Wahlkampf: „Großartig“ nannte die „Washington Post“ ihre Parteitagsrede, der US-Nachrichtensender CNN berichtete von einem wahren „Twittersturm“ während des Auftritts: 28.000 Kurzmitteilungen – pro Minute.

Die Amerikaner lieben ­ihre First Lady, heute vielleicht noch mehr als vor vier Jahren. Und abgesehen von einer lässlichen Protokoll­abweichung beim Queen-­Besuch im Jahr 2009 (sie ­legte damals ihren Arm um die Schulter von Elizabeth II.), hatten auch scharfe Obama-Kritiker wenig an Michelle LaVaughn Robinson Obama auszusetzen.
Genau wie ihr Ehemann wolle sie Amerika zu einer sozial gerechteren Nation ­machen – nur sei Michelle in diesem Bestreben kompromissloser, schreibt Jodi Kantor, Korrespondentin der „New York Times“, in ihrer Biografie „Die Obamas“: ­„Barack hat die Fähigkeit, Dinge auf sich beruhen zu lassen und nach vorn zu schauen. Sie konnte das nie.“ Immer wieder habe Michelle mit Obama-Beratern gestritten, weil diese sich auf schwammige Deals mit den Republikanern einlassen wollten.

Ihre Sturheit lernte sie als Kind: Aufgewachsen in ­einem Armenviertel in Chicago, verlangte ihre Mutter eiserne Disziplin. Das sollte sich lohnen: Michelle studierte in Princeton und Harvard und machte einen Abschluss in Jura. Später trat sie in ein Anwaltsbüro ein, wo sie Barack Obama kennen lernte – er wurde ihr als Praktikant zugewiesen. 1992 heiratete das Paar, 1998 und 2001 ­wurden die Töchter Malia und Sasha geboren.
Idyllisch ging es bei den Obamas nicht immer zu, vor allem als Barack Senator von Illinois wurde und ständig nach Washington pendelte. „Ich hätte nie gedacht, dass ich meine Kinder allein aufziehen muss“, zitiert Barack Obama seine Frau in seinem Bestseller „Hoffnung wagen“ schuldbewusst. Um die politische Karriere ihres Mannes zu ermöglichen, musste nicht nur Michelle Obamas eigene Laufbahn auf der Strecke bleiben, sondern auch das klassische Familienleben.

Aber ein Ende des zermürbenden Alltags im Weißen Haus ist ohnehin absehbar: In vier Jahren endet Barack Obamas zweite Amtszeit. Und dann? Wäre es möglich – wie einst bei Bill und Hillary Clinton –, dass er leisertritt und Michelle politisch durchstartet? „Mit 48 kennt man die eigenen Leidenschaften und Talente“, sagte sie in der ABC-Show „The View“: ­„Politische Ämter interessieren mich definitiv nicht.“ Hoffentlich ist das nur ­Koketterie.