Rainer Nikowitz

Die WG

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Der Programmdirektor legte den Kopf schief. „Eine Seifenoper also“, sagte er, „wissen Sie, da bin ich doch ein wenig skeptisch. Die letzte, die wir produziert haben, hätten wir jedem Zuschauer einzeln live bei ihm zu Hause vorspielen können. Wär billiger gewesen.“ Der Autor schnaubte verächtlich. „Ja, aber das können Sie doch bitte nicht vergleichen! Meine ist ja im Gegensatz zu diesem ‚Mitten im Achten‘ wirklich aus dem prallen Leben gegriffen! Wirklichkeitsnah und für jeden Zuschauer aus eigener Erfahrung komplett nachvollziehbar. Aber gleichzeitig voller skurriler Figuren, die haarsträubende Abenteuer erleben. Ein bissl ‚Lindenstraße‘, aber nicht so fad, ein bissl ‚Friends‘, aber nicht so deppert und ein bissl ‚Gute Zeiten, schlechte Zeiten‘ – aber ohne die guten.“ Das Interesse des Programmdirektors war langsam im Wachsen begriffen. Im kleinen Kreis verglich er sich ja gerne mit Robbie Williams. Auch er sah verdammt gut aus, hatte das Geschäft im kleinen Finger – und konnte langsam ganz dringend wieder einmal einen Erfolg brauchen. „Wie soll das Ding denn heißen?“, fragte er, ohne den Anschein von zu viel Interesse zu erwecken – wenn diese Schreibsklaven spürten, dass man eventuell was von ihnen wollte, verlangten sie ja gleich den Stundenlohn einer illegalen bosnischen Putzfrau. „Die WG!“, hechelte der Federfuchser aufgeregt hervor. „Der Plot geht so: Fünf Männer, die das Schicksal in dieselbe Wohnung zusammengeführt hat. Alfred und Willi teilen sich das größte und schönste Zimmer. Die anderen drei – Heinz-Christian, Peter und Alexander – haben nur Kabinette. Peter sogar eines ohne Fenster, aber das stört ihn gar nicht so, weil er ist nämlich in einer aufgelassenen Senkgrube aufgewachsen. Jedenfalls – Alfred und Willi hatten die längste Zeit so eine Art Sadomaso-Beziehung, aber keine Angst, wir zeigen da keine schmutzigen Details.“ „Wenn schon, denn schon“, hörte sich der Programm­direktor einwenden. „In der Vorabendschiene kann man das schon machen.“

Der Autor grinste belämmert. „Umso besser! Aber weiter: Als Alfred draufkommt, dass Willi einen Privatdetektiv auf ihn angesetzt hat, weil er halt ein durch und durch verkorkster Kontrollfreak ist, reicht es Alfred. Er möchte Willi aus seinem Zimmer draußen haben und fängt an, Heinz-Christian zu umgarnen. Jetzt muss man wissen, dass die beiden einander eigentlich nicht riechen können – weil der Heinz-Christian den Alfred einmal, als er im Wald Schwammerln suchen war, mit grauslichen braunen Hasenbemmerln beschossen hat.“ „Mein Gott na“, sagte der Programmdirektor, „klingt nach einem Lausbubenstreich.“ „Genau“, der Autor wurde langsam fiebrig, „eine Jugendsünde halt. Das sieht in der Zwischenzeit ja auch der Alfred so. Jetzt ist es aber so, dass es auch der Peter auf den Heinz-Christian abgesehen hat, im positiven Sinne. Die beiden können sich zwar eigentlich nicht riechen …“ „Die auch nicht?“, unterbrach der Programmdirektor mit gerunzelter Stirn. „Was war da?“ „Die zwei sind Zwillinge. Und der Heinz-Christian gibt dem Peter die Schuld, dass er eine Sturzgeburt war. Damit die romantischen Verwicklungen aber noch ein wenig ­wüster werden, kommt jetzt der Alexander ins Spiel: Er kann zwar den Heinz-Christian nicht riechen …“ „Mag den eigentlich irgendwer?“

Der Willi“, der Autor lächelte jetzt sardonisch, „aber der bräuchte ihn auch nur als Stiefelknecht. Wo war ich? Ach ja: Der Alexander findet aber dafür plötzlich den Peter nicht mehr so übel.“ „Obwohl sich die beiden eigentlich nicht riechen können, nehme ich an – weil der Alexander keinen Senkgrubengeruch mag“, warf der Programmdirektor nicht gänzlich unzynisch ein. „Ja, genau! Ich sehe, Sie sind schon voll in der Geschichte drin. Aber natürlich möchte auch der Alexander gern einmal ins schöne Zimmer, weil der hockt schon am längsten von allen in seinem verrauchten Kabuff. Und er meint, schließlich sind ja der Peter und der Heinz-Christian eh nur zweieiige Zwillinge. Da wär schon ein Unterschied.“ „Aber der Peter ist ja nicht in dem schönen Zimmer – was nützt der dem Alexander?“ „Der Peter könnte mit ihm und dem Willi zusammenziehen. Der Willi hat jetzt nämlich von den Fisimatenten vom Alfred auch die Nase voll, noch dazu, wo ein Kammerjäger im Keller von einem Wahlonkel vom Alfred ein paar Kisten findet, wo geheimnisvolle Dokumente drin sind, die beweisen, dass dem Alfred seine Familie nicht das ist, was sie immer behauptet hat.“ „Was denn leicht?“ „Rechtschaffen!“, raunte der Autor. „Aber Details möchte ich da noch keine verraten. Jedenfalls sieht es so aus, als könnte mit einem Mal jeder mit jedem – nur der Alfred und der Willi nicht. Aber wer muss raus aus dem Zimmer? Wer darf rein? Und um welchen Preis?“„Und? Sagen Sie schon!“ „Keine Ahnung. Mehr hab ich noch nicht.“ Der Programmdirektor atmete tief durch. „Dann aber hurtig“, sagte er. „Das ist zwar alles ein wenig weit hergeholt, aber wir sind ja in Österreich. Drehbeginn von mir aus jederzeit.“