Georg Hoffmann-Ostenhof

Die schwarze Woche

Die schwarze Woche

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Noch ist nicht absehbar, welche Folgen die Krise des amerikanischen und internationalen Finanzsystems nach sich ziehen wird. Noch weiß niemand, wie stark dieser Monster-Crash die Realwirtschaft mit in den Abgrund zieht. Zwar sind sich alle Fachleute einig, dass eine weltweite Rezession unausweichlich ist. Ob wir aber demnächst eine veritable Weltwirtschaftskrise mit Massenarbeitslosigkeit erleben werden oder ob es noch gelingt, diesen Absturz zu verhindern, ob, wie von manchen vorausgesagt, die US-Ökonomie einer lange andauernden Stagnation entgegengeht, so wie Japan in den neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts, oder ob sie sich nach einer Phase der Umstrukturierung bald wieder normalisieren kann – all das ist völlig ungewiss.
Eins freilich kann jetzt schon gesagt werden: Die Ereignisse der vergangenen Woche sind der größte Bankenkrach seit jenem „schwarzen Freitag“ 1929, an dem die Wall Street zusammenbrach, ja, die tiefste Finanzkrise seit einem Jahrhundert, wie Alan Greenspan, der ehemalige Chef der amerikanischen Nationalbank FED, sagte.
Ebenso klar ist aber auch, dass in der vergangenen „schwarzen Woche“ eine Ära endgültig zu Ende ging: Es ist Schluss mit der nun fast drei Jahrzehnte andauernden weltweiten Dominanz des amerikanischen Wirtschaftsmodells, des Laissez-faire-Kapitalismus.

Wie kann weiter jenes Dogma aufrechterhalten werden, wonach der Staat das Problem und nicht die Lösung sei und der Markt, bleibt er nur ungestört, schon das Richtige tue? Wie glaubwürdig sind diese Ideen, wenn die Hohepriester der neoliberalen Ideologie in diesen düsteren Tagen gezwungen sind, so massiv wie noch nie staatlich in die Wirtschaft zu intervenieren? Mit der Rettung der AIG, der weltweit größten Versicherung, und der Hypotheken-Giganten Freddie Mac und Fannie Mae hat die amerikanische Regierung die größten Verstaatlichungen außerhalb der kommunistischen Welt durchgezogen. Und die bisher unvorstellbaren Geldspritzen für die privaten Finanzinstitute falsifizieren in eklatanter Weise die These, es gelte, nur den selbstregulierenden Kräften des Marktes zu vertrauen, dann werde alles gut. Wir erleben nun das Auseinanderbrechen der bisher herrschenden neoliberalen Weltordnung.
So sehr das – seit den späten siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts – sukzessive Abgehen vom dirigistischen Wohlfahrtsstaat der Nachkriegszeit jene Kräfte freigesetzt hat, die schließlich die Welt um vieles reicher gemacht haben, so deutlich zeigen sich jetzt die negativen Entwicklungen, die mit dieser generellen Liberalisierung der Wirtschaft einhergingen: Die Ungleichheiten nahmen fast überall spektakuläre Ausmaße an, die Demokratie wurde weitgehend geschwächt, der Staat dermaßen marginalisiert, dass er zunehmend seine Fähigkeit verlor, in sozialen Konflikten zu vermitteln, und das Kapital, allen voran das Finanzkapital, hat sich zunehmend von jeglichen Regeln befreit und macht, was es will – mit jenen katastrophalen Konsequenzen, denen wir uns jetzt gegenübersehen.
Der Ruf nach Deregulierung wird ab nun als gefährliche Drohung empfunden. Neue Regeln braucht die Welt. Und der Staat erlebt seine Renaissance. Er muss den wild gewordenen Kapitalismus wieder zähmen.
Natürlich kann und soll man nicht mehr in die Zeit vor Thatcher und Reagan zurückkehren. Das geht nicht mehr. Die Welt hat sich verändert. Die Wirtschaft ist internationalisiert. Und so ist der Aufbau von transnationalen Regelsystemen mindestens so wichtig wie nationalstaatliches Handeln.

Schon vor drei Jahren wetterte Helmut Schmidt, der greise ehemalige deutsche Kanzler, in einem Interview mit profil, gegen den „Raubtierkapitalismus“, und angesichts der außer Kontrolle geratenen und gefährlich irrational agierenden Finanzmärkte mahnte er eine globalisierte Finanzmarktaufsicht ein: „Im 19. Jahrhundert sind nach und nach Regeln für den internationalen Seeverkehr entstanden. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts hat man Regeln für den internationalen Luftverkehr entwickelt. Nun muss ein Regelwerk für den internationalen Kapitalverkehr geschaffen werden.“ Wie dringlich diese Schmidt’sche Forderung ist, haben die vergangenen Tage nur allzu deutlich gezeigt.
Noch ein Wort zu Österreich. Wie sich der Krach an der Wall Street auf die heimische Wirtschaft auswirken wird, ist noch nicht abzusehen. Unseren Banken freilich soll Lob nicht vorenthalten werden. Während sich die Finanzinstitute anderer Länder in den vergangenen Jahren Megagewinne durch das Investment in hochspekulative, so genannte Derivatprodukte versprachen, deren Risiko nicht einmal sie selbst überblickten, fuhren die meisten österreichischen Banken eine andere Strategie: Sie wandten sich dem Osten zu. Der Eiserne Vorhang war gefallen, und die ehemaligen kommunistischen Länder traten der EU bei. Unsere Banken ergriffen die Chance und wurden binnen weniger Jahre zu Marktführern in diesen Staaten. Und das gute Geschäft machten sie nicht mit den komplizierten modernen Derivaten, die jetzt zum großen Kollaps führten, sondern mit ganz traditionellen Finanzprodukten wie Girokonten, Sparbüchern, Geschäftskrediten und Ähnlichem, wonach in den Reformstaaten ein gewaltiger Bedarf bestand und besteht.
Sollte Standard & Poor’s Recht haben und tatsächlich die „Widerstandskraft Österreichs gegenüber externen Schocks über dem europäischen Durchschnitt liegen“, wie diese Rating-Agentur kürzlich feststellte – dann ist das nicht zuletzt der klugen und soliden Geschäftspolitik des heimischen Bankensektors zu verdanken.