Eatdrink: Klaus Kamolz

eatdrink von Klaus Kamolz Haubentaucher & Co

Haubentaucher & Co

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Ich stecke meine Nase in die kulinarischen Trendprognosen für das Jahr 2011 und rieche, rieche … Marketing. Oder, im besten Fall, wahrsagerischen Gratismut. Dass beispielsweise gesunde Ernährung in den USA – ausgerechnet! – eine noch viel bedeutendere Rolle spielen werde, steht im Trendbericht einer amerikanischen Forschungsgruppe, garniert mit Beispielen von Fast-Food-Ketten, die ihre Salatkreationen anpreisen – sozusagen das Gras, mit dem man die Kundschaft für das eigentliche Kerngeschäft anfixen kann. Aber wird Amerika gesünder essen, bloß weil ab heuer Etablissements mit mehr als 20 Filialen Kalorienwerte neben den Gerichten auf der Speisekarte anführen müssen? Auf diesem Gesetz nämlich beruht die Prognose. Ich lese auch vom Boom des Bad Service und denke mir dazu: endlich mal ein Trend, der von hier über den Teich schwappt. Und ich erfahre, dass mit Baldrian oder Kamille versetzte Anti-Energy-Drinks, deren Markenbezeichnungen gerne mal mit den Kosenamen für Marihuana kokettieren, die Zukunft seien. Hieße ich Mateschitz, ich würde weiter relaxed schlafen. Dem kürzlich erschienenen „Megatrend-Kochbuch“ aus Matthias Horx’ Zukunftsinstitut wiederum entnehme ich, dass der globale Mega­trend namens „Connectivity“ sich besonders dadurch äußere, dass Rezepte für den anderen, schon leicht angejahrten Mega­trend „Home Cooking“ künftig hauptsächlich aus dem Internet bezogen werden. Das mag schon stimmen, aber ich wäre da eher vorsichtig und würde jeden einzelnen dieser Kreativergüsse erst einmal solo ausprobieren, bevor das Social Network hungrig an der Tür klingelt.

Es ist nicht einfach, konkrete kulinarische Prognosen zu erstellen. In keiner einzigen Vorschau wurde zum Beispiel Ende des Jahres 2009 der Vegetarismus 2.0 ausgerufen; stattdessen köchelte der „Back to the roots“-Erfolg der Rettungsmannschaft alter Gemüsesorten (zum Beispiel der Arche Noah) vor sich hin – bis Jonathan Safran Foers Schwarzbuch über Fleisch erschien und der Algen und Nordkräuter verarbeitende Däne René Redzepi zum besten Koch der Welt ­gekürt wurde. Heute sind Knollenziest und Kerbelrübe, alles andere als altbacken etwa im „Steirer­eck“ zubereitet, Stars auf dem Teller. Und die Scholle wird auch künftig noch viel mehr Essbares zu­tage bringen, als wir uns je vorstellen hätten können. „99 Genüsse, die man nicht kaufen kann“ heißt ein spannend klingendes Buch (Brandstätter Verlag), das im Frühjahr erscheinen wird.

Auch in der heimischen Gastronomie kam es ein wenig anders als erwartet. Vom Raumschiff „Motto am Fluss“ und dem himmelstrebenden „Le Loft“, beide am Wiener Donaukanal gelegen, erwarteten wir, dass sie uns an Bord ließen, um vom gastrokrisengeschüttelten Wiener Terrain abzuheben. Nun wissen wir: Gekocht wird auch dort mit Wasser, aber ein stylishes Restaurant wird in Zukunft wohl nicht ohne noch stylishere Bar auskommen.

Gibt es tatsächlich Entwicklungen, für die ich meine Hand ins Feuer lege? Ja, konkret zwei: 2011 wird das Jahr des Dry Aged Beef; wir unterhalten uns weiter darüber, wenn die ersten gläsernen Reiferäume mit verhutzelten Lenden die stylishen Restaurants mit angeschlossener Cocktailbar veredeln. Und 2011 wird das Jahr des Casual Dining; ich denke, dass Christian Petz’ Konzept für das Wiener „Badeschiff“, das altbewährte Restaurantführer wegen des Widerspruchs zwischen abgewohnter Atmosphäre und formidabler Küche etwas ratlos hinterlässt, bald Nachfolger finden wird. Vielleicht sogar nur kurzfristige: Der Trend zu „Pop Up Restaurants“, die entweder halblegal in Privatwohnungen geführt werden oder kurz mal irgendwo auftauchen und dann wieder verschwinden (Haubentaucher wäre doch ein hübscher deutscher Begriff), hat von London kommend eben Berlin erreicht. Aber bis Wien kann das noch dauern.

Und dann hätte ich noch einen bescheidenen, leider etwas kulinarisch inkorrekten Trendwunsch: dass nämlich der zum batzweichen Salbader wiedergekäute Regionalitäts-Hype den Leuten endlich ein bisschen fad wird.

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