Endstation Jersey für die Meinl-Gruppe

Endstation Jersey für die Meinl-Gruppe: Zwei britische Anwälte erheben Vorwürfe

Zwei britische Anwälte erheben Vorwürfe

Drucken

Schriftgröße

Von Michael Nikbakhsh

Es war zunächst nicht viel mehr als eine völlig unverdächtige Pressemitteilung: „Jersey, 7. März 2008. Ein länger geplanter Wechsel der Jersey-Resident-Board-Members der Gesellschaft ist erfolgt. Simon Radford und Andrew Wignall folgen auf Michael Richardson und Peter Byrne.“
Michael Richardson und Peter Byrne, zwei Anwälte und Partner der auf der britischen Kanalinsel Jersey domizilierten Sozietät Bedell Cristin, saßen bis zu diesem Tag im sechsköpfigen „Board“ (ein Direktorium angloamerikanischen Zuschnitts) der Meinl European Land Limited, die ihren offiziellen Firmensitz ebenfalls auf Jersey hat.

Bei der an der Wiener Börse gehandelten Immobiliengesellschaft, sie firmiert mittlerweile unter Atrium European Real Es­tate Limited, standen damals gröbere Umbauarbeiten an. Ein halbes Jahr zuvor waren die den Anlegern lange Zeit verheimlichten Rückkäufe eigener Wertpapiere öffentlich geworden, Finanzmarktaufsicht (FMA), ­Oesterreichische Nationalbank und Staatsanwaltschaft Wien ermittelten auf Hochtouren, und MEL selbst sollte mit dem ­israelisch-amerikanischen Konsortium CPI/Gazit Globe wenig später einen neuen Hauptaktionär bekommen. Parallel dazu begann sich auch das Jersey-Pendant zur FMA, die Jersey Financial Services Commission, kurz JFSC, für die Vorgänge in und um MEL zu interessieren. In all dem Trubel erschien es nicht weiter verwunderlich, dass die britischen Anwälte ihre Mandate niederlegten. Schließlich stand damals wie heute der Verdacht im Raum, das einstige MEL-Management hätte zum Nachteil von rund 100.000 Investoren aus dem In- und Ausland gewirtschaftet. Erst jetzt, ein Jahr später, werden die wahren Hintergründe für die Demission von Richardson und Byrne offenbar: Die Juristen traten nicht etwa zurück, weil sie sich für die aufklärungswürdigen Wertpapierdeals mitverantwortlich fühlten – sie wollen davon im Gegenteil gar nichts gewusst haben.

profil liegt jetzt ein bereits mit 6. Dezember 2007 datiertes dreiseitiges Rücktrittsschreiben von Michael Richardson an die Adresse der Jersey-Aufsicht JFSC vor. Er formuliert darin auch im Namen seines Partners Peter Byrne schwere Vorwürfe gegen die Meinl-Gruppe im Allgemeinen und die übrigen (mittlerweile ebenfalls retirierten) MEL-Vorstände im Besonderen. In dem auf Englisch abgefassten Dokument heißt es unter anderem sinngemäß: „Der Anwalt, der Peter Byrne und mich berät, hat Bedenken geäußert, da das MEL-Board in der Vergangenheit Geschäfte abgewickelt hat, ohne uns Jersey-Direktoren voll einzubinden.“ Und weiter: „Unter den gegebenen Umständen ziehen wir es vor zurückzutreten.“

Als der Meinl-Skandal Ende August 2007 aufflog, saßen neben Richardson und Byrne noch vier weitere Herren im MEL-Management: Karel Römer, Georg Kucian, Heinrich Schwägler und Wolfgang Lunardon. Drei von ihnen, Römer, Kucian und Schwägler, zählen bis heute zum innersten Kreis um Bankier Julius Meinl. Sie waren jedenfalls mitverantwortlich dafür, dass die Meinl Bank zwischen April und August 2007 klammheimlich ins­gesamt 88,8 Millionen MEL-„Zertifikate“ auf Rechnung der Immobiliengesellschaft vom Markt holen konnte, wofür letztlich 1,8 Milliarden Euro Anlegergeld eingesetzt werden mussten.

Gegen Meinl und die übrigen ehemaligen MEL-Manager sind seit Monaten staatsanwaltschaftliche Ermittlungen unter anderem wegen des Verdachts des Betrugs und der Untreue anhängig. Die Verdächtigen bestreiten freilich jedwede Verfehlung, es gilt ausnahmslos die Unschuldsvermutung. Vor allem Julius Meinl hat es bisher geschickt verstanden, seine Rolle zu relativieren. Er beteuert gebetsmühlenartig, die Wertpapiergeschäfte weder angeordnet noch orchestriert zu haben. Unter anderem deshalb, weil er bei MEL gar keine Funktion innehatte – was auch stimmt. Vielmehr sollen die fraglichen Transaktionen ausnahmslos im Auftrag des MEL-Managements und eben auf Rechnung der Gesellschaft getätigt worden sein. Dem stehen die Wahrnehmungen von Michael Richardson gegenüber. Der Jurist hielt bereits Ende 2007 gegenüber der Jersey-Aufsicht fest: „Der Ankauf von Zertifikaten … wurde durchgeführt, ohne dass wir Direktoren (Richardson und Byrne, Anm.) einbezogen worden wären, obgleich die anderen Direktoren involviert waren und das Ausmaß der Zertifikatskäufe kannten.“

Mit anderen Worten: Zumindest zwei der sechs damaligen MEL-Vertreter hatten nach eigenem Bekunden keinen Schimmer, was da 2007 zwischen Meinl Bank und Immobiliengesellschaft wirklich lief. Das wiederum wirft die Frage auf, in wessen Auftrag die Bank eigentlich gehandelt hat. Die Meinl-Seite beruft sich bis heute auf ein so genanntes Market-Making-Agreement zwischen Meinl Bank und MEL. Demzufolge sollte die Meinl Bank – gegen satte Provisionen – stets Sorge tragen, dass die MEL-Papiere eine stabile Kursentwicklung aufwiesen, um so deren Handelbarkeit an der Börse zu gewährleisten. Was allerdings nicht heißt, dass die Bank ohne jede Rücksprache vorgehen konnte – die Immobiliengesellschaft musste schließlich finanziell dafür geradestehen. „Keine Offenlegung der Effekte des Market Makings auf die Cash-Positionen von MEL“, moniert Anwalt Richardson in seinem Schreiben.

Schon der von profil im Juli 2008 veröffentlichte Prüfbericht der Oesterreichischen Nationalbank hatte die Rolle der Meinl Bank kritisch beleuchtet. Demnach dürften die Rückkäufe nur dazu gedient haben, die Folgen der gescheiterten MEL-Kapitalerhöhung Anfang 2007 auszubügeln. Eine Somal A. V. V., karibisches Investmentvehikel der Familie Meinl, musste damals mangels Anlegerinteresse fast die Hälfte der begebenen Zertifikate aufgreifen. Da der MEL-Kurs im Lichte weltweit steigender Zinsen zu sinken begann, saßen Somal und damit die Familie Meinl plötzlich auf einem enormen finanziellen Risiko. Die Folgen hat profil ausführlich beschrieben (Ausgaben Nr. 28/08 und 29/09): Während die Meinl Bank im Namen von MEL begann, Papiere zu überhöhten Kursen aufzukaufen, drückte die Somal A. V. V. die eigenen Bestände bis Anfang Juli 2007 zu ebendiesen Kursen zur Gänze in den Markt. Am Ende verbuchte Somal einen dicken Gewinn, MEL dagegen saß unvermittelt auf Millionen eigener Titel, die schließlich nur mehr einen Bruchteil ihres ursprünglichen Werts hatten.

Erst Ende Juli 2007 wurde die Öffentlichkeit darüber informiert, dass MEL plane, eigene Papiere vom Markt zurückzukaufen. Dazu wurde eine Hauptversammlung für 23. August angesetzt. Dass die Rückkäufe zu diesem Zeitpunkt bereits weitgehend abgeschlossen waren, wurde indes wohlweislich verschwiegen. „Die Pressemitteilung vom 27. Juli zur Einberufung der Hauptversammlung erfolgte ohne Einbindung des MEL-Boards, die übermittelten Informationen waren unvollständig“, heißt es dazu in Richardsons Schreiben. Mehr noch: Weder seien die Jersey-Direktoren zur Hauptversammlung selbst eingeladen worden, noch hätten sie die damals auch präsentierten Geschäftszahlen vorab zu Gesicht bekommen, und schließlich sei bis November 2007 auch kein Protokoll der Hauptversammlung auf Jersey eingelangt.

Nebenfront. All das nährt einen schwerwiegenden Verdacht: Meinl European Land war, wiewohl börsennotiert und mit dem Geld tausender Anleger ausgestattet, stets nur ein Nebenschauplatz. Das könnte erklären, warum Teile des „Boards“ in wesentliche geschäftliche Dezisionen nicht oder nur rudimentär eingebunden waren. Richardsons Eingabe bei der JFSC vom 6. Dezember 2007 enthält nicht weniger als 13 einschlägige Beanstandungen. Ein Punkt dürfte dabei aus Sicht der österreichischen Ermittler besonders ins Gewicht fallen: die Rolle der damaligen „Managementgesellschaft“ Meinl European Real Estate, kurz MERE, hundertprozentige Tochter der Meinl Bank. Sie besorgte das operative Immobiliengeschäft von MEL und kassierte dafür Jahr für Jahr Provisionen. Sie war auch das einzige faktische Bindeglied zwischen Julius Meinl und Meinl European Land. Richardson äußerte auch in diesem Zusammenhang Bedenken. „Bei Immobilienprojekten und Investments agiert MERE ohne jede Einbindung des MEL-Boards.“

profil versuchte Michael Richardson vergangene Woche mit dem Inhalt seines Schreibens zu konfrontieren. Ohne Erfolg. Die Bitte um Rückruf wurde nicht erwidert. Die JFSC will den Stand ihrer Ermittlungen erst recht nicht kommentieren. In einem E-Mail an die Redaktion hält „Enforcement-Director“ Barry Faudemer lediglich fest, dass die Untersuchungen seiner Behörde nach wie vor andauerten, aber dem Ende zustrebten. Auch die übrigen früheren MEL-Manager, insbesondere die Meinl-Vertrauten Römer, Kucian und Schwägler, sind für profil seit Monaten nicht zu sprechen.

Übrigens nicht nur für profil. Bis heute war es dem ermittelnden Staatsanwalt Markus Fussenegger nicht möglich, die drei im Ausland lebenden Herren zu einer Aussage zu bewegen. Dem Vernehmen nach bedurfte es der Androhung eines EU-Haftbefehls, um sie doch noch nach Wien zu lotsen. Die Einvernahmen sollen in den kommenden Wochen erfolgen.

Anwaltsgewalt. Julius Meinl selbst muss sich zum Inhalt des Schreibens von Michael Richardson nicht äußern, da es nicht an ihn gerichtet war. Er könnte sich auch gar nicht dazu äußern, weil er ja nach eigener Wahrnehmung mit den Vorgängen bei Meinl European Land nicht das Geringste zu tun hatte. Dafür bietet er nun eine Armada an Rechtsanwälten auf, die unablässig versuchen, die öffentliche Wahrnehmung zu korrigieren. Dazu gehört auch der Versuch, die Arbeit des von der Justiz beigezogenen Gutachters Thomas Havranek zu hinterfragen. Erst im März scheiterte der Versuch, Havranek wegen Befangenheit abberufen zu lassen. Der Sachverständige hatte sich im September 2007, also unmittelbar nach Auffliegen des Skandals und mehr als ein Jahr vor seiner Bestellung, in einem Gastkommentar im „Wirtschaftsblatt“ durchaus kritisch mit der Frage auseinandergesetzt, inwieweit die gängigen Wohlverhaltensregeln („Corporate Governance“) bei Meinl European Land eingehalten wurden. Nicht mehr und nicht weniger.

Meinls Anwälte leiten daraus dennoch eine „Vorverurteilung“ ihres Mandanten ab – und greifen zu ungewöhnlichen Mitteln. Freitag vergangener Woche ging profil die Kopie eines Schreibens des renommierten Wiener Wirtschaftsanwalts und Meinl-Beraters Georg Schima zu. Dieses wurde mit 30. April an rund 240 „Professoren einer juristischen Fachrichtung in Österreich und an sämtliche Präsidenten der österreichischen Rechtsanwaltskammern“ verschickt. Darin steht unter anderem zu lesen: „Im von einer medialen Treibjagd fast ohne Parallele begleiteten ‚Fall Meinl‘ geht ein aus meiner Sicht unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten beinahe unerträgliches Faktum weitgehend unter: die Staatsanwaltschaft Wien hat mit Herrn Mag. Thomas Havranek nicht bloß eine noch nie in einem nur annähernd vergleichbar komplexen Verfahren als Gutachter beauftragte Person, sondern darüber hinaus jemanden zum Sachverständigen bestellt, der ganz klar befangen und voreingenommen ist.“

Gegenüber profil präzisiert Schima, er habe mit dem Schreiben in ausgewählter Öffentlichkeit Bewusstsein für diesen „rechtsstaatlich unerträglichen Vorgang“ schaffen wollen. Havranek will die Vorwürfe mit Hinweis auf Verschwiegenheitspflichten ausdrücklich nicht kommentieren. Aus seinem Umfeld ist zu hören, er sei gerade wegen des medialen Wirbels um die Person Julius Meinl darauf bedacht, ausnahmslos alle ent­lastenden Indizien und Beweise in das Gutachten einfließen zu lassen.

Die Fertigstellung der Expertise (bis jetzt liegt nur ein von Meinls Anwälten heftig kritisiertes „Vorgutachten“ auf) dürfte sich, wie berichtet, in den Spätsommer verschieben, da zahlreiche bei Hausdurchsuchungen im Februar konfiszierte Dokumente und Daten noch nicht ausgewertet werden konnten. Das gilt auch für das jetzt ­aufgetauchte Schreiben von ­Michael Richardson.