tramontana

Er

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Er kann sich nicht wirklich dafür entscheiden, in welchem Land er zur Welt gekommen ist. Wenn er seinen Kumpels darüber was sagt, dann variiert er mit dem vagen Hinweis, es könnte eine Großstadt in dem einen oder eine Kleinstadt in dem benachbarten Land oder gar die Wüste gewesen sein.

Er ist, für unsere Begriffe, ein sehr unsteter Geselle, der überhaupt nichts dabei findet, sich einerseits in recht lässige Lumpen zu hüllen und sich anderseits relativ sorglos mit ein paar Menschen zu umgeben, die uns infolge unseres eingeprägten Sozialgefüges als Lumpen erscheinen müssen.

Obwohl er der geborene Strotter ist, hat er studiert und sich ein bissel Körbelgeld auch damit verdient, dass er sein mühsam erworbenes Wissen weitergegeben hat.

Aber er hat es nie dazu gebracht, in Monte Carlo oder Las Vegas zu sein, er hat keine Sekretärin, keinen Dienstwagen, kein Appartement, das von seiner Firma bezahlt würde, er hat nicht einmal ein Spesenkonto.

Es ist, ungeachtet seiner Intelligenz, auch relativ wurscht, denn es reicht ihm merkwürdigerweise, dass er mit mehr als gemischt beleumundeten Burschen durch diverse Städte ziehen und tollkühn sagen kann: „Am nächsten Tag wird die Sonne wieder aufgehn.“

Diesen Schwachsinn haben ja andere Schlenderer auch schon von sich gegeben, aber das Eigenartige ist, wenn er’s sagt, überlegt jeder Mensch, ob er das jetzt nicht zum ersten Mal gehört hat.

Er ist kein Mitglied der Rolling Stones geworden, aber er war bis heute unbekannter Ghostwriter des Titels „I Can’t Get No Satisfaction“. Denn als echter geistiger Rocker verachtet er uns alle, die sich mit falschem, hinterhältigem, menschenverachtenden Idiotentum zufrieden geben.

Er ist strikt gegen eine Gesellschaft, die Normen zu Dogmen erhöht, die Barrieren errichtet, anstatt diese zu erstürmen.

Seine besten Freunde sind Hippies, die zum überwiegenden Teil auch nicht die Liebe predigen können und wollen, aber sie versuchen diese, so wie der Alt-Rocker, wo immer es geht, ein wenig zu verbreiten.

Sie sind eine Bande, die wir auch Sandler oder Strotter nennen könnten, denn bis auf einen von ihnen, der an einem speziellen Ort Menschen, die das freiwillig wollen, während eines für diese nicht ganz durchschaubaren Gemurmels mit Wasser besprenkelt, haben sie alle keinen Beruf, wenn man den Schafhirten ausnimmt, der es satt hat, dass sein Name, deckungsgleich mit seinem Verlegenheitsjob, mit S anfängt.

Natürlich hat sich der Mann niemals akkurat rasiert – ein im Streit ausgeschiedener Braun-Sixtant hat ihm noch versichert: „Bei Philips sehen wir uns wieder!“ –, und frisiert ist er auch, als hätte er in einem Garten zwischen zwei plötzlich dynamisch gewordenen Rasenmähern geschlafen.

Sein Hemd ist womöglich ein Restposten aus dem frühen achtzehnten Jahrhundert, seine Hose dürfte Charlotte Cardin, die Umnachtete, in jenem Zeitalter entworfen haben, als die Ritterrüstungen zu Konservendosen veredelt wurden; und wegen seiner Schuhe, hinter denen allerdings viele Fans hinterherstiefeln, hat eine bedeutende Firma beschlossen, sich angesichts des Hatsch-Trends „Salamander“ zu nennen, statt wie bisher Provinzgauer.

Er schaut trotzdem nach wie vor relativ abgrissen aus, ist schmalpickt, hat nicht viel zum Essen, dafür aber erstaunlich beständig die Gosch’n offen, denn dafür, dass er bis jetzt noch weder in Amerika oder Russland oder China oder Japan oder Gramatneusiedl war, weiß er offenbar einen Haufen davon, wie wir miteinander umgehen könnten.

Ich glaub nicht, dass er Arzt oder Psychologe oder gar was Gebildetes ist, ich glaub, er ist eine in den Achtundsechzigern entstandene Kreuzung aus Bette Middler und James Dean. Es ist nämlich so, dass es ihm völlig wurscht ist, welche Menschen um ihn herum sind.

Er hat die Feinsinnigkeit und die Nerven, alle unterschiedslos gleich zu behandeln, er hält das für primär human, er bringt Homos ebenso zueinander wie Heteros, er war noch nie bei einer päpstlichen Audienz, aber er war zumindest mit einer sehr bekannten Hübschlerin zusammen, einer Frau, die einen einsamen Ruf hatte, aber gerade deswegen liebte er sie, weil er wusste, dass sie diesen Ruf nur deshalb hatte, weil sie zu stolz war, sich mit jedem Mann einzulassen – was ihr infolgedessen natürlich nachgesagt wurde.

Er wusste, dass sie in gewissen Kreisen als Hure galt, und es war ihm völlig egal, weil er nichts auf Perfidie gab, sondern auf die Person; er wusste auch, dass in diesen Zeiten die Hälfte seiner Kumpels mindestens bi- waren, und auch das hat ihn kein bisschen gestört.

Die Vergegenwärtigung einer angeblichen Vergangenheit ist dadurch eventuell rechtfertigbar, weil ich glaube, dass immer dann, wenn wir einem Menschen etwas Gutes tun, er um uns ist, dieser Jesus.