Überschall und Rauch

Eurofighter: Ein Rüstungsdeal und viele Fragen

Eurofighter. Ein Rüstungsdeal und viele Fragen

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280 Unternehmen, 1376 Geschäftsfälle, 3,325 Milliarden Euro Auftragswert. Der Blick in die offiziellen Datenreihen des Wirtschaftsministeriums könnte Unbedarfte nur allzu leicht zu einem versöhnlichen Resümee verleiten: Der unter Schwarz-Blau paktierte Ankauf von 18 ­Eurofighter-Kampfjets mag mit ursprünglich 1,96 Milliarden Euro der mit Abstand teuerste Beschaffungsvorgang in der Geschichte der Republik Österreich gewesen sein. Doch der Kaufpreis (tatsächlich wurden später 15 Flieger für 1,6 Milliarden bestellt) konnte im Wege so genannter Gegengeschäfte ja längst überkompensiert werden. Zwischen 2003 und 2010 – jüngere Daten liegen nicht vor – lieferten also fast 300 österreichische Unternehmen Waren und Dienstleistungen im Gegenwert von mehr als drei Milliarden Euro an das Eurofighter-Konsortium rund um den deutsch-französischen EADS-Konzern. Die Homepage des Ministeriums spart konsequenterweise nicht mit Hymnischem. Unter dem Menüpunkt „Eurofighter-Gegengeschäfte“ ist viel vom „großen Potenzial für österreichische Unternehmen und Forschungseinrichtungen“ die Rede, vom „Ticket in den Klub der europäischen Hochtechnologie“, von „langfristiger Nachhaltigkeit“.

Und doch steht dieses hochgelobte Programm plötzlich unter Verdacht. Die Staatsanwaltschaft Wien vermutet, dass zumindest ein Teil dieser Kompensationsgeschäfte in Wahrheit nie abgewickelt wurde. EADS könnte Scheinaufträge an österreichische Auftragnehmer vergeben haben, um den vertraglichen Verpflichtungen gegenüber der Republik Österreich nachzukommen. Die Justiz wähnt „Provisions- und Schmiergeldzahlungen“ an namentlich nicht genannte „Unternehmen“ und „Beamte“. Und zwar in beträchtlicher Höhe. Weit über 100 Millionen Euro soll der Rüstungskonzern über ein dubioses Firmengeflecht in Umlauf gebracht haben. Verbleib: ungewiss.

Bisher stand hinter der Affäre vor allem die begründete, aber schwer belegbare Vermutung, die 2002 getroffene Typenentscheidung sei durch Bestechung von Amtsträgern herbeigeführt worden. Wie ausführlich berichtet, hatte sich das Kabinett von Kanzler Wolfgang Schüssel – hauptverantwortliche Minister waren Karl-Heinz Grasser (Finanzen) und Herbert Scheibner (Verteidigung) – unter obskuren Begleitumständen für den Eurofighter und damit gegen die rivalisierenden Produkte Saab Gripen und Lockheed F-16 entschieden.

Doch so richtig viel dreckiges Geld könnte erst in den Jahren danach ins Spiel gekommen sein – bei der Abwicklung jener Gegengeschäfte, an welche der größte Rüstungsdeal der Zweiten Republik gebunden war.
Um das zu klären, ließ die Staatsanwaltschaft Wien vergangene Woche an insgesamt 13 Adressen in Österreich, Deutschland und der Schweiz Hausdurchsuchungen durchführen. Unter anderem wurden die Büros der Eurofighter Jagdflugzeuge GmbH und der EADS Deutschland GmbH in Bayern sowie Privathäuser und Geschäftsräumlichkeiten in Oberösterreich gestürmt.

Die Gegengeschäfte waren seinerzeit das wichtigste Argument, um der Bevölkerung die 1,9 Milliarden Euro teure Anschaffung der Eurofighter schmackhaft zu machen. Mehr als das Doppelte der Kaufsumme würde nach Österreich zurückfließen, verklickerten Bundeskanzler Schüssel, sein Wirtschaftsminister Martin Bartenstein und der Rest der schwarz-blauen Regierungstruppe – immerhin habe sich EADS verpflichtet, der heimischen Wirtschaft in den folgenden 15 Jahren Aufträge im Volumen von vier Milliarden Euro zu vermitteln (mit der Reduktion des Kaufpreises wurde später auch der Auftragswert nach unten korrigiert).

Die Botschaft war klar: Die Eurofighter kosten Österreich letztlich gar nichts – sie bringen vielmehr Geld herein. „Man nennt so etwas auch Voodoo-Ökonomie“, höhnte ein Manager des im Ausschreibungsverfahren unterlegenen US-Konzerns Lockheed Martin, nachdem die Eckdaten des Gegengeschäftsprogramms bekannt geworden waren. Aber solche defätistisch anmutenden Bemerkungen wollte hierzulande kaum jemand hören.

Geschäftsabschlüsse mit einem Volumen von bis zu vier Milliarden Euro, als Vertragspartner die Republik Österreich – man sollte eigentlich annehmen, EADS sei ein derartig bedeutsames Projekt hochprofessionell, -offiziell und -transparent angegangen: unter dem wachsamen Auge von Justiziaren, kundiger Beratung durch Branchenexperten und der begleitenden Kontrolle durch die Konzernführung. Stattdessen übertrug der Rüstungskonzern die Verantwortung für den größten Teil der Gegengeschäfte an einen windigen italienischen Finanzjongleur, der Geschäfte mit der kalabrischen ’Ndrangheta machte und inzwischen wegen Anlagebetrugs im Gefängnis sitzt. Der Mann, Gianfranco Lande, erhielt von EADS zunächst den Auftrag, Offset-Programme im Wert von 2,7 Milliarden Euro abzuwickeln – wofür ihm in der Folge mindestens 113,5 Millionen Euro überwiesen wurden.

Diese Summe floss über eine Gesellschaft namens Vector Aerospace LLP, die Lande 2004 in London gegründet hatte und als „Direktor“ nach englischem Recht leitete. Geschäftszweck: „Erfüllung der von EADS-D (D steht für Deutschland, Anm.) gegenüber der österreichischen Regierung übernommenen, aus dem Verkauf von Flugzeugen entstandenen Verpflichtungen wahrzunehmen und zu gewährleisten.“ Damit seien „die Entwicklung, Präsentation und Verhandlung von Gegengeschäften mit der österreichischen Regierung“ gemeint, heißt es in einer Bilanz aus dem Jahr 2006.

Vector hatte nie mehr als zwei Angestellte und residierte, wie ein Lokalaugenschein im Jahr 2008 (profil 14/2008) ergab, zwar in guter Londoner Lage, dafür aber ohne Türschild und Telefonnummer. Hälfteeigentümer der auf Veranlassung von EADS errichteten Gesellschaft: zwei österreichische Waffenhändler, Walter S. und Alfred P. In Österreich wollte damals auf Anfrage von profil niemand etwas mit einem Unternehmen namens Vector Aerospace LLP zu tun haben. Weder das Wirtschaftsministerium, das für die Umsetzung des Offset-Programms mit EADS verantwortlich zeichnete, noch das Verteidigungsministerium, das den Abfangjägerkauf abgewickelt hatte. Und nicht einmal Walter S. selbst.

Vector war denn auch nie operativ bei der Vermittlung von Gegengeschäften tätig. Dazu bedienten sich Lande, S. und P. einer Vielzahl von „Brokern“. Darunter etwa die 2010 aufgelöste Euro Business Development GmbH (EBD) in Wien, die wiederum im Eigentum von Walter S. und Alfred P. stand.

Geschäftsführer der EBD: der deutsche Staatsbürger Klaus-Dieter B. Er war zur Zeit der Entscheidung für den Eurofighter im Jahr 2002 für EADS als Senior Vice President mit dem Aufgabengebiet Zentral- und Osteuropa tätig gewesen und hatte sich danach selbstständig gemacht. Ein weiterer „Broker“, der für Vector tätig wurde, ist eine Centro Consult Ltd. mit Sitz in London, wirtschaftlicher Berechtigter – surprise, surprise – Walter S. Centro erhielt von Vector (wo Walter S., zur Erinnerung, Hälfteeigentümer war) im Lauf der Zeit 14,5 Millionen Euro aus dem Vermögen von EADS. Wofür?

10,5 Millionen Euro zahlte Vector ab 2004 an den „Broker“ Comco International Business Development LLC auf der Isle of Man aus, offiziell ebenfalls für die Vermittlung von Eurofighter-Gegengeschäften. Comco gehört einem Deutschen ­namens Frank Walter P., der eine ganze Reihe von Firmen mit fragwürdiger Geschäftstätigkeit besaß oder besitzt. Unter anderem hat P. im Jahr 2003 über eine Gesellschaft in Ungarn Geld vom österreichischen EADS-Lobbyisten Erhard Steininger kassiert.

Weitere 16,2 Millionen Euro flossen von Vector an eine Gesellschaft namens Columbus Trade Services Ltd auf der Isle of Man, die ihrerseits zwei Oberösterreichern zugerechnet wird: Thomas E. und Klaus K., Letzterer hat auf der in der irischen See gelegenen Insel eine ganze Reihe von Briefkastenfirmen.

Und hier tut sich schon das nächste Rätsel im Zusammenhang mit den ohnehin mysteriösen Vorgängen um Vector auf. Denn von Columbus sind wiederum Überweisungen in Höhe von zwei Millionen Euro auf Konten einer gewissen Brodmann Business SA belegt – einem Finanzvehikel des Rüstungslobbyisten Alfons Mendsorff-Pouilly und seines mittlerweile verstorbenen Mentors Timothy Landon.

Bei Brodmann landeten übrigens auch rund 880.000 Euro von einer Gesellschaft namens EQ.CU.Com Finance Ltd, die laut profil vorliegenden Vernehmungsprotokollen ebenfalls Landon zugerechnet werden kann. Als Direktor von EQ.CU.Com fungierte ausgerechnet Frank Walter P., also jener Deutsche, der auch im Zusammenhang mit Comco aktenkundig ist. ­Inzwischen ist Landon tot und die EQ.CU.Com in einer weiteren Gesellschaft von P. aufgegangen.

Das Gewusel von Finanzjongleuren im Umfeld der EADS-Gegengeschäfte weckt nicht zu Unrecht den Argwohn der Staatsanwaltschaft. Bereits im vergangenen Jahr begann sich Ankläger Michael Radasztics für die Vorgänge nach dem Abschluss des Eurofighter-Kaufvertrags zu interessieren. Am 18. Juli 2011 schickte der Staatsanwalt ein Amtshilfeersuchen an das Wirtschaftsministerium: „Im Ermittlungsverfahren besteht der Verdacht, dass bei einigen angemeldeten und genehmigten Gegengeschäften über operativ nicht tätige Offshore-Gesellschaften im Wege von Scheinverträgen Provisions- und Schmiergeldzahlungen geleistet wurden“, zitierte das Wirtschaftsmagazin „Format“ vor Kurzem daraus. Es werde daher ersucht, den „Gegengeschäftsvertrag zwischen Republik Österreich und Eurofighter Jagdflugzeuge GmbH samt Anhängen“ herauszurücken. Und: „Zur weiteren Aufklärung wird eine stichprobenweise Überprüfung einzelner abgeschlossener Gegengeschäfte vorgenommen.“

Wirtschaftsminister war damals Martin Bartenstein. Das heute von Bartensteins Nachfolger Reinhold Mitterlehner geführte Wirtschaftsressort legt gegenüber profil Wert auf die Feststellung, die Beamten des Hauses hätten die eingereichten Gegengeschäfte stets penibel geprüft.

Mitterlehners Sprecherin Waldtraud Kaserer verweist auf die eigens eingerichtete „Plattform Gegengeschäfte“, in der unter anderem Experten mehrerer Ministerien, von Arbeiter- und Wirtschaftskammer, Industriellenvereinigung und Wirtschaftsuniversität Wien vertreten seien. Dessen ungeachtet, wolle das Wirtschaftsministerium „die Entlastung im Zusammenhang mit den Gegengeschäften erst dann er­teilen, wenn die in Medien kolportierten Ermittlungen abgeschlossen sind, um ­allfällige Anrechnungskorrekturen noch vornehmen zu können“. Was genau da allenfalls korrigiert werden könnte, bleibt allerdings unklar. Denn das Wirtschaftsministerium hält die Liste jener Unternehmen, die in Geschäftsverbindung zum Eurofighter-Konsortium stehen oder stehen sollen, seit Jahren unter Verschluss. Man argumentiert mit dem Datenschutz.

Dass der Verdacht überhaupt aufkommen konnte, liegt vor allem an Vector-­Direktor Gianfranco Lande. Der Italiener wurde im März 2011 verhaftet, nachdem er mit abenteuerlichen Spekulationen Anlegergelder in der Höhe von 225 Millionen Euro in den Sand gesetzt hatte. Unter den Geschädigten befanden sich, wie der Zürcher „Tagesanzeiger“ berichtet, auch „einige Bosse der kalabrischen ’Ndrangheta“. Über sie wollte der Häftling Lande lieber nicht auspacken. Stattdessen begann er, den Behörden Informationen über seine Tätigkeit für EADS zu liefern. Zum Beispiel im Hinblick auf eine Excel-Liste mit „bevorzugten Provisionsempfängern“ im Zuge der Eurofighter-Gegengeschäfte, die bei ihm sichergestellt worden war.

Nun stellt sich vor allem die Frage, wofür all das schöne Geld gedacht war, das von Lande auf so verschlungenen Wegen unter die Leute gebracht wurde. Faktum ist: Ein Teil der Kompensationsaufträge, die das Eurofighter-Konsortium an österreichische Unternehmen vergab, waren unzweifelhaft nachhaltig und reell. Allerdings nur ein Teil. Denn die Eurofighter-Produzenten taten sich von Anfang an schwer, das aus politischen Gründen absurd hoch angesetzte Gegengeschäftsvolumen zustande zu bringen, zu dem sie sich verpflichtet hatten. Und sie standen dabei gehörig unter Druck: Bei Nichterfüllung der Vereinbarung droht bis heute ein Pönale von 5,1 Prozent des Gesamtwerts. Macht bei vier Milliarden Kaufpreis immerhin 204 Millionen Euro.

Also wurde mit fragwürdigen Methoden versucht, den Wert der Aufträge in die Höhe zu treiben. Unter anderem wollte sich EADS, wie von profil berichtet, fantastische 78 Millionen Euro für die Beteiligung an österreichischen Fachhochschullehrgängen als Gegengeschäft anrechnen lassen – oder neun Millionen Euro dafür, einem Milchpulverfabrikanten dabei geholfen zu haben, von seiner eigenen Hausbank einen Kredit über eine Million Euro zu bekommen.

Jedenfalls vier Millionen Euro flossen 2006 nach Kärnten:
an die noch unter Jörg Haider eingerichtete „Lakeside Technologie-Privatstiftung“. Auch dieses Geld kam von einem EADS-Briefkasten mit Sitz auf der Isle of Man. Und laut Justizministerin Beatrix Karl dürften weitere zehn EADS-Millionen in der Steiermark versickert sein. Sie stellte die Zahlungen Donnerstag vergangener Woche im Parlament in einen eher unscharfen Zusammenhang mit dem „Projekt Spielberg“.

Wurde das Geld also eingesetzt, um gar nicht existente Gegengeschäfte darzustellen? Etwa, indem österreichische Unternehmen dafür bezahlt wurden, Aufträge zu bestätigen, die dann gar nicht abgewickelt wurden? Oder Beamte mit dem gleichen Ziel? Die Staatsanwaltschaft Wien hält offenbar beides für denkbar.