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Krise. Zypern ist also gerettet - mit desaströsen Folgen für die Volkswirtschaft und die Eurozone

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Man kann den Zyprioten, zumindest den Theatermachern der Insel, ein gewisses Maß an Ironie nicht absprechen. Vielleicht war es aber auch prophetische Weitsicht oder ein stark ausgeprägter Sinn für Aktualitäten. Im Theatro Skala in Larnaca steht derzeit ein Stück mit programmatischem Titel auf dem Spielplan: „How to rob a Bank“. Eine Frage, die angesichts tagelang geschlossener Bankschalter und limitierter Bargeldabhebungen
am Bankomaten wohl einigen Zyprioten durch den Kopf geschossen ist. Während sich das Publikum der Komödie hingab, lief draußen vor der Tür die Tragödie.

Gleichzeitig war in Brüssel gegenseitiges Schulterklopfen angesagt. Die Spitzen der EU zeigten sich höchst zufrieden über den vergangene Sonntagnacht – wieder einmal in letzter Minute – ausgehandelten Rettungsplan für Zypern. „Die Vereinbarung ist die Basis dafür, dass das Land eine nachhaltige Zukunft im Euroraum hat“, erklärte EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy.

Das darf bezweifelt werden.

Zypern muss seinen Finanzsektor massiv schrumpfen. Auf Kosten der Banken und ihrer betuchten Kunden, aber nicht zulasten der kleinen Sparer. Im Gegenzug gibt es grünes Licht für ein zehn Milliarden Euro schweres Hilfspaket.

„Bedauerliche Panne“
Die Woche zuvor hatten die 17 Finanzminister der Eurozone die Verhandlungen mit Zypern völlig aus dem Ruder laufen lassen. Den Plan, zypriotische Kleinsparer für die Pleite der Banken haften zu lassen, nickten sie ohne viel Federlesens ab. Eine Zwangsabgabe auf alle Bankguthaben als tragfähige Lösung zu präsentieren – das zeugt von krasser Fehleinschätzung und Realitätsverlust. Ganz Europa horchte auf: Die Einlagensicherung ist also das Papier nicht wert, auf dem sie festgeschrieben ist. Vom frisch gewählten zypriotischen Parlament wurde das Hilfspaket in der Luft zerrissen, der Plan kurz darauf zurückgenommen. Der Beschluss sei eine „bedauerliche Panne“ gewesen.

Zurück an den Verhandlungstisch. Van Rompuy übernahm kurzerhand das Kommando. Unter seiner Führung handelten EU-Kommissionspräsident Manuel Barroso, IWF-Direktorin Christine Lagarde und EZB-Chef Mario Draghi den Deal aus. Die Finanzminister blieben außen vor.

Eurogruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem durfte nur noch das Ergebnis verkünden. „Die Lösung ist besser als die aus der Vorwoche“, befand er.
Zypern ist also gerettet. Und nun? Wie geht es weiter mit dem Land? Und wie mit Europa und dem Euro? Eines steht fest: Die Krise ist noch längst nicht abgehakt. Im Gegenteil, sie ist sogar explosiver denn je. Dass ausgerechnet das kleine Zypern mit einer Wirtschaftsleistung von gerade einmal 0,2 Prozent des Euroraums eben jenen haarscharf an einer Katastrophe vorbeischrammen lässt, sagt viel über die Lage in Europa aus. Man mag sich gar nicht ausmalen, was passiert, wenn es ­Hiobsbotschaften aus Spanien gibt. Aus Italien, oder Frankreich.

Noch so eine Rettungsaktion, und die Währungsunion ist tatsächlich am Ende.

Und für Zypern kommt das dicke Ende erst noch. Wovon das Land fortan leben soll, wenn nicht vom Bankensektor, ist unklar. Auch deshalb, weil sie keine Antwort darauf haben, haben sich Zyperns Politiker massiv gegen die Forderungen der Eurogruppe gewehrt, Gläubiger an den ­Kosten für die Abwicklung der beiden zypriotischen Großbanken zu beteiligen. Vergeblich. Die Zyprioten müssen eine ihrer beiden größten Banken opfern und die andere radikal umstrukturieren.

Die Laiki Bank, mit einem Marktanteil von 16 Prozent zweitgrößtes Kreditinstitut des Landes, wird geschlossen und abgewickelt. Sparer mit Einlagen unter 100.000 Euro sollen ihre Guthaben behalten können, sie werden vom Branchenprimus, der Bank of Cyprus, übernommen. Brenzlig wird es hingegen für Kontoinhaber mit Einlagen über 100.000 Euro. Ihre Guthaben – Dijsselbloem kalkuliert mit insgesamt 4,2 Milliarden Euro – werden eingefroren und wandern ebenso wie die faulen Kredite in eine „Bad Bank“. Sie werden wohl alles verlieren, denn die Einlagensicherung greift hier nicht. Und dass aus der Abwicklung der Bad Bank noch nennenswerte Erlöse zu lukrieren sind, ist illusorisch. Gewissheit werden sie aber wohl erst in einigen Monaten haben.

Der Bank of Cyprus ergeht es nur unwesentlich besser. Sie bleibt zwar am Leben, wird aber kräftig redimensioniert. Einlagen von Großkunden werden in Stammaktien umgewandelt. Mit dem so lukrierten Geld soll die Eigenkapitalquote auf neun Prozent erhöht werden. Sie müssen mit Verlusten zwischen 40 und 45 Prozent des Einlagenwerts über 100.000 Euro rechnen. Zudem bekommt das Institut die Schulden der Laiki Bank bei der EZB – in Summe neun Milliarden Euro – aufgebürdet. Das wird ihre Bilanzen erheblich belasten. „Ich habe daher erhebliche Zweifel, dass die Bank of Cyprus überleben wird“, erklärt ein hochrangiger zypriotischer Banker gegenüber profil. „Sie wird in den nächsten Monaten eine Kapitalspritze benötigen.“ Oder sie wird ebenfalls noch abgewickelt, wie vom IWF ursprünglich geplant.

Von dem aufgeblähten Finanzsektor wird jedenfalls nicht mehr viel übrig bleiben. „Das Zusammenschrumpfen ist notwendig. Aber es ist gefährlich, wenn es so abrupt passiert“, meint Wirtschaftsforscher Stephan Schulmeister. „Es ist mir unverständlich, warum man nicht im Hinterzimmer einen stufenweisen Rückzugsplan entwickelt hat. Die Probleme sind seit Langem bekannt.“

Teuflischer Kreislauf
Der Finanzsektor ist für 45 Prozent der Wirtschaftsleistung verantwortlich und beschäftigt 8500 Menschen. Nicht nur die fürchten jetzt um ihre Arbeitsplätze. Denn es müssen eben nicht nur russische Oligarchen und reiche Zyprioten – sofern sie ihre Gelder nicht ohnehin schon abgezogen haben – bluten. Das Nachsehen haben die Unternehmen des Inselstaats. Allein die Bank of Cyprus unterhält Geschäftsbeziehungen zu 35.000 Firmenkunden. Sind sie nicht bereits durch die Zwangsabgaben zum Handkuss gekommen, wird ihnen wohl in Zukunft durch die bevorstehenden Kapitalverkehrskontrollen das Leben schwer gemacht. Und es wird für alle Unternehmen des Landes bedeutend schwieriger werden, an Kredite zu kommen. Die Liquiditätsengpässe könnten die gesamte Realwirtschaft Zyperns in den Abgrund reißen. Mit all den unschönen Konsequenzen: sprunghaft ansteigende Insolvenzraten und Massenarbeitslosigkeit.

Zypern wird das durchmachen, was Portugal, Spanien und Griechenland längst erleiden. Ein teuflischer Kreislauf aus jahrelangem Sparen und tiefer Rezession. Volkswirte der französischen Bank Société Générale sagen der Insel eine mehrjährige schwere Wirtschaftskrise voraus. Bis Ende 2017 soll das BIP um 20 Prozent schrumpfen. In diesen Berechnungen sind die jüngsten Entwicklungen aber noch gar nicht berücksichtigt.

Die Euroretter gehen nonchalant über die ökonomischen Folgen hinweg. „Das Geschäftsmodell war einfach nicht brauchbar“, stellte EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso jüngst lapidar fest und riet: „Zypern muss neue Quellen für sein Wachstum finden.“ Dabei war das „Geschäftsmodell“ schon 2007, beim Eintritt des Landes in die Währungunion, allgemein bekannt. Doch die EU-Kommission schloss die Augen, ebenso die EZB, die selbst dann noch die zypriotischen Großbanken mit Notfallkrediten am Leben erhielt, als längst klar, war, dass sie nicht bloß in einer Liquiditätsklemme steckten, sondern zahlungsunfähig waren.
Mit dem Traum von der großen Gas-Bonanza wird man die Misere in nächster Zeit jedenfalls nicht lösen können. Zwar wurden vor einiger Zeit südlich der zypriotischen Küste Erdgasvorkommen von rund 250 Milliarden Kubikmetern entdeckt. Und die Regierung hat – etwas voreilig – bereits mit der Vergabe von Förderlizenzen an internationale Energieunternehmen begonnen. Doch ob und wann – die optimistischsten Schätzungen gehen von 2019 aus – dieser Schatz gehoben werden kann, ist fraglich. Die Vorkommen liegen Hunderte Meter unter dem Meeresspiegel. Eine Förderung gilt als riskant. Zudem hat auch die Türkei bereits unmissverständlich klargemacht, dass sie Anspruch auf die Bodenschätze erhebt. Konflikte scheinen vorprogrammiert.

Operation gelungen, Patient tot
Ebenso wenig wird der Tourismus Zypern retten können. Der Ausfall der Beiträge aus dem Finanzsektor und vieler mittelständischer Unternehmen zum BIP ist nicht zu schultern. Für Investitionen in Hotels und Infrastruktur fehlt den zypriotischen Unternehmen das Geld. Und ausländische Investoren werden in den nächsten Jahren einen großen Bogen um die Insel machen. Außerdem: Ob die Russen wie bisher nach Zypern strömen, scheint fraglich. Ein Großteil der Fünf-Sterne-Resorts an den zypriotischen Stränden ist speziell auf die Vorlieben der ­russischen Touristen ausgerichtet. Mit ­Russisch sprechendem Personal und ­hochpreisigen Designerboutiquen für die neureiche Klientel. Ein halbe Million Besucher kommen jährlich aus Russland. Sie sind gern gesehene Gäste. Das Geld sitzt locker. 115 Euro pro Tag geben sie im Durchschnitt aus. Doppelt so viel wie britische oder niederländische Urlauber. „Diebstahl“ nannte Russlands Premier Dmitri Medwedew das Rettungspaket. Viele seiner Landsleute sehen das ähnlich. Der Deal hat die spendierfreudigen Russen vor den Kopf gestoßen. Wer liegt schon gerne in einem Land in der Sonne, das einem das Geld geklaut hat?

Alternativen? Keine. Der zypriotische Exportsektor ist leistungsschwach, Produkte „Made in Cyprus“ rar, ein Industriestandort wird aus der Insel auch nicht so schnell werden.

Die Diagnose: Operation gelungen, Patient tot.

Auf die Problemlösungskompetenz der EU sollten die Zyprioten eher nicht vertrauen. Immerhin: Sie schickt eine „Task Force“ nach Nikosia, die den Behörden „technische Hilfe“ leisten soll.

Mit dem Rettungsdesaster haben sich die EU-Granden ein Eigentor geschossen. Mit Folgewirkungen für die gesamte Eurozone. Die grundlegenden Probleme sind geblieben, neue hinzugekommen.
Zypern wird womöglich bald wieder ein Fall für den Rettungsschirm. Der Staat bekommt zwar zehn Milliarden, um seinen Haushalt zu sanieren. Dadurch steigen aber auch die Schulden auf bis zu 140 Prozent des BIP. Zypern wird damit nach Griechenland zum Land mit der zweithöchsten Schuldenquote in der Eurozone. Sollte sich die Rezession stärker als erwartet verschärfen, könnte sich das jetzt ausgehandelte Hilfspaket als unzureichend erweisen.

Zudem wissen Sparer in ganz Europa jetzt, dass sie auf die staatlich garantierte Einlagensicherung nicht vertrauen können. „Mittelfristig wird es auch in anderen Ländern zu einem Abzug der Einlagen kommen“, prophezeit Ökonom Gottfried Haber. Nicht heute oder morgen, aber spätestens dann, wenn wieder ein Land in Schwierigkeiten gerät und Debatten über ein Rettungsprogramm beginnen.

Und Zypern ist nicht das einzige Land, das eine hochgetrimmte Finanzindustrie hat. In nicht weniger als zehn Eurostaaten übersteigt das Volumen der Bankeinlagen die Wirtschaftsleistung – zum Teil um ein Vielfaches. Zyperns Geschäftsmodell sah man als nicht brauchbar an. Anderen Ländern könnte Ähnliches blühen: „Klärt das, bevor es zu Schwierigkeiten kommt. Stärkt eure Banken, repariert die Bilanzen, und seid euch im Klaren darüber, wenn Banken in Probleme geraten, kommen wir nicht automatisch, um sie zu lösen“, sagte der bisher recht glücklos agierende Eurogruppenchef Dijsselbloem mit Blick auf Luxemburg, Malta und Slowenien. Empörte Dementis folgten umgehend, der Niederländer ruderte zurück. Die Aussage hat dennoch klargemacht, wo die nächsten Krisenherde erwartet werden. Der Schlussakt in Sachen Eurokrise war noch nicht zu sehen.

Christina   Hiptmayr

Christina Hiptmayr

ist Wirtschaftsredakteurin und Moderatorin von "Vorsicht, heiß!", dem profil-Klimapodcast (@profil_Klima).