Europa in der Geiselhaft der Banken

EU. Der Fall Griechenlands könnte die nächste Finanzkrise aus­lösen

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Es war eine Machtdemonstration, wie sie kaum deutlicher hätte ausfallen können: Monatelang wurde die portugiesische Regierung von ihren europäi­schen Kollegen bedrängt, Hilfe unter dem Euro-Rettungsschirm zu suchen, doch Ministerpräsident José Sócrates weigerte sich beharrlich. Bis Anfang April, als die Chefs der größten Banken des Landes ein Machtwort sprachen. Sie könnten den Staat nicht länger finanzieren, teilten sie Zentralbank und Regierung mit, und würden den Kauf von Staatsanleihen einstellen. Das Risiko sei zu groß, so die Bankvorstände. Die portugiesischen Großbanken Banco Comercial Portugues, Espirito Santo und die staatseigene Caixa Geral de Depósitos hatten zuletzt Schuldpapiere von knapp 13 Milliarden Euro in ihrem Besitz, also immerhin über 14 Prozent der gesamten Anleiheschulden Portugals. Keine zwei Tage später hielt EU-Währungskommissar Olli Rehn das offizielle Hilfsgesuch aus Lissabon in Händen. Rund 80 Milliarden Euro soll der Rettungsschirm nach Portugal leiten, um das Land vor der Pleite zu retten.

Die Episode ist symptomatisch für das Verhältnis zwischen Politik und Finanz. Denn nicht nur in Portugal haben die Banken bei politischen Entscheidungen ein gewichtiges Wort mitzureden. Sie können sich das erlauben, weil sie im Verhältnis zu den Staaten unglaublich groß geworden sind. Nicht wenige Banken, deren Bilanzsumme sich dem Bruttoinlandsprodukt ihres Heimatlands annähert – wie etwa die französische BNP Paribas und die britischen Institute HSBC und Royal Bank of Scotland (RBS) – oder sogar größer ist, wie im Falle von Spaniens Banco Santander. Zudem, und das ist von zentraler ­Bedeutung, gehören europäische Banken, neben Versicherungen und Pensionsfonds, zu den größten Gläubigern der europäischen Staaten. Kraft dessen ist ihr Einfluss enorm, die Verflechtungen sind eng und von wechselseitigen Abhängigkeiten geprägt. Nach dem Motto „too big to fail“ hat die Finanzindustrie Regierungen und EU fest im Griff.

Dass sich die Mehrheit der europäischen Führungsriege mit immer neuen Kreditpaketen vehement gegen eine Umschuldung und einem damit verbundenen Gläubigerverzicht wehrt, hat also weniger mit Solidarität mit den betroffenen Ländern zu tun als vielmehr mit dem Schutz der eigenen Banken. Denn das Netz an Forderungen ist quer über Europa dicht gespannt: Die Geldhäuser finanzieren nicht nur die jeweiligen Nationen, in denen sie domiziliert sind, sondern halten auch enorme Bestände an Anleihen anderer Staaten. Gefährlich wird es dann, wenn sie in hohem Ausmaß in Krisenländer investiert sind. Im Falle Portugals etwa gehören nach Datenreihen des 2010 europaweit vorgenommenen „Stresstests“ Banco Santander mit einem Exposure von 5,1 Milliarden Euro, die deutsche Hypo Real Estate (HRE) mit 3,7 und die belgisch/französische Dexia-Gruppe mit 2,8 Milliarden Euro zu den größten Gläubigern.

„Wenn es innerhalb der Eurozone in einem Land zu Verwerfungen kommt, dann müssen wir es auffangen“, meinte kürzlich Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann zum wiederholten Male. Eine Forderung, der sich die Mehrheit seiner Mitstreiter anzuschließen weiß. Denn Krisenherde gibt es genug. Portugal ist nach Griechenland und Irland bereits das dritte Land aus dem Euroraum, das Hilfe in Anspruch nehmen muss. Daneben gelten auch Italien und Spanien aufgrund ihrer hohen Staatsverschuldung nach wie vor als Sorgenkinder der Währungsunion. Im Fachjargon firmieren die Staaten mittlerweile unter dem Akronym „PIIGS“ (Portugal, Irland, Italien, Griechenland, Spanien). Eine etwas despektierliche Bezeichnung, erinnert sie doch an das englische Wort für Schweine. Nach jüngst von der Europäischen Statistikbehörde Eurostat veröffentlichten Daten belaufen sich ihre Verbindlichkeiten auf insgesamt 3117 Milliarden Euro, die Majorität davon, nämlich fast drei Viertel, in Form von Staatsanleihen. Und die verteilen sich ­wiederum auf eine Handvoll Finanz­häuser.

Noch bis vor Kurzem galt eine Anlage in Staatsanleihen aus dem Euroraum als absolut sichere Investition. Für das Risiko, dass ein Staat seine Schulden nicht mehr bedient, müssen die Banken nach den geltenden Basel-II-Richtlinien kein Eigenkapital vorhalten, daran soll sich auch im neuen Basel-III-Regime nichts ändern. Die Staaten konnten ihre Schulden solcherart günstig und laufend finanzieren. Eine Win-win-Situation für alle Beteiligten – bisher.

Zurückzuführen ist dies auf einen Geburtsfehler der Währungsunion: Die Finanzminister entschieden damals, dass sämtliche öffentlichen Schulden der Mitgliedsländer als risikolos gelten sollten.

Ein Modus, der auch den bevorstehenden Banken-Stresstest wohl wieder zahnlos machen wird. Denn ein Szenario wird wieder nicht geprüft: Was passiert, wenn ein Land bankrottgeht? Wertverluste europäischer Staatsanleihen schlagen sich nur im so genannten Handelsbuch nieder. Der Großteil der von europäischen Banken gehaltenen Anleihen liegt aber im Bankbuch. Dort werden in der Regel Anlagen bilanziert, die bis zur Endfälligkeit gehalten werden. Damit bleibt der Staatsbankrott eine Art bilanzielle Unmöglichkeit.

Doch die einst vermeintlich risikolosen Anlageformen werden zunehmend zur Belastungsprobe für das gesamte europäi­sche Bankensystem. Die Eigenkapitalausstattung der meisten Banken hat unter der Finanzkrise 2008 und 2009 gelitten. Und jetzt kommen zusätzliche Milliardenrisiken auf sie zu. Ein hohes Eigenkapital würde die Banken bei unerwarteten Verlusten schützen. Dann müssten die Aktionäre den Schaden tragen und nicht die Steuerzahler. Doch die Banken kämpfen vehement dagegen. Allen voran Deutsche-Bank-Chef Ackermann. Dessen Drohkulisse: Ist der Stresstest zu streng, fallen viele Banken durch. Dann ziehen die Sparer ihr Geld ab, die Banken gehen pleite, und der Staat muss sie retten.

Als Irland im vergangenen Herbst unter den Rettungsschirm schlüpfte, tat es das nicht ganz freiwillig. Die irische Regierung hatte damals erwogen, auf Hilfe aus dem Rettungsschirm zu verzichten und ihre Banken in ein Insolvenzverfahren zu schicken. Diese Idee stieß im Europäischen Rat auf wenig Gegenliebe. Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel begründete die Rettung Irlands damit, man wolle die starke Stellung des Euro halten. Einen weiteren Grund sprach sie nicht an: Im Falle der Zahlungsunfähigkeit des irischen Bankensystems oder des Staats, der viel in die Rettung der Banken (allen voran die Allied-Irish-Banks-Gruppe) investiert hatte, bleiben deren Gläubiger auf Verlusten und Abschreibungen in ihren Bilanzen sitzen. Die deutsche HRE ist mit über zehn Milliarden Euro besonders stark in Irland engagiert, gefolgt von der britischen RBS mit fünf Milliarden. Ausgerechnet zwei Konzerne, die im Zuge der Finanzkrise stark ins Trudeln gerieten und 2009 verstaatlicht werden mussten, um sie vor der Pleite zu retten. Wenn also Deutschland und Großbritannien darauf drängten, dass Irland die Hilfe des EU-Rettungsschirms in Anspruch nimmt, um seine Banken zu stützen, haben sie damit auch indirekt ihre eigenen Banken gerettet. Staatshilfen in Milliardenhöhe erhielten unter anderen auch die deutsche Commerzbank sowie die französischen Großbanken BNP Paribas, Société Générale und Crédit Agricole, sie alle sind wichtige Finanziers der Staaten. Doch just die marode HRE ist mit Abstand die größte Staatengläubigerin: Über 150 Milliarden Euro Kapital hat sie den EU-Staaten zur Verfügung gestellt. In ihren Büchern schlummern gewaltige Risiken, denn fast 50 Prozent der Gelder stecken in den PIIGS-Staaten.

Und wie sich vergangene Woche herausgestellt hat, ist die finanzielle Lage von Griechenland und Portugal noch ernster als bisher angenommen. So hat die portugiesische Regierung ihr Defizit für 2010 – also die jährliche Neuverschuldung – von 8,6 auf 9,1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts nach oben korrigiert, und Eurostat revidierte den Fehlbetrag im griechischen Staatshaushalt erst vergangene Woche von 9,6 auf 10,5 Prozent. Damit bekommt die Furcht vor einer Insolvenz des Mittelmeerstaats neue Nahrung. Die bisherigen Rettungsansätze haben das Land nicht vorangebracht: Griechenland wurde ein rigider Sparkurs auferlegt, der jedes Wachstum im Keim erstickt. Gleichzeitig wurde das Land gezwungen, durch überteuerte Kredite neue Schulden auf alte zu türmen. Ob Internationaler Währungsfonds (IWF), Europäische Zentralbank (EZB), griechische Regierung oder EU-Kommission – von allen Seiten wird beteuert, dass es nicht zu einer Umschuldung (ein Euphemismus für Zahlungsunfähigkeit) kommen wird. „Wenn das Land entsprechend Zeit bekommt, wird es sich wieder selbst finanzieren können. Eine Umstrukturierung ist nicht vorgesehen“, meint der Gouverneur der Oesterreichischen Nationalbank Ewald Nowotny, der zugleich im Rat der Europäischen Zen­tralbank sitzt.

Die Märkte im Allgemeinen und Investoren im Besonderen sehen das mittlerweile anders; sie glauben nicht mehr ­daran, dass Griechenland seine wirtschaftliche und finanzielle Stabilität wieder­erlangen wird. Die Rendite zweijähriger griechischer Staatsanleihen stieg vergangene Woche auf ein Rekordhoch von über 25 Prozent, und die Kosten für Kreditausfallversicherungen haben den höchsten Stand seit der Euroeinführung erreicht. Die Zweifel an der Zahlungsfähigkeit des Landes mehren sich massiv. Als Ausweg aus der Misere scheinen nur noch ein weiteres Rettungspaket oder aber ein radikaler Schuldenschnitt zu bleiben. Letzteres wäre für das Land ein Befreiungsschlag. In einem Aufwaschen könnten sich die Hellenen eines Großteils ihrer Schulden entledigen. Auch dem gemeinen Bürger, dem es sauer aufstößt, dass die Banken die Gewinne einstreichen, ihre Verluste aber der Allgemeinheit aufbürden, würde das gefallen. „Es hat sich gezeigt, dass es volkswirtschaftlich notwendig sein kann, dass der Staat stützend eingreift. Aber die Hilfe ist nicht kostenlos und reduziert die Rendite für die Aktionäre der Banken“, hält EZB-Mann Nowotny dem entgegen.

In Wahrheit sind beide Varianten mit hohen Kosten für den Steuerzahler verbunden. Einer Analyse von Goldman Sachs zufolge würde ein 60-prozentiger Schuldenschnitt in Griechenland europäi­schen Banken 41 Milliarden Euro an Verlusten bringen. Zuerst wären die griechischen Banken (allen voran die National Bank of Greece, ATEbank und Piraeus Bank) betroffen, die dann wieder gerettet werden müssten. Und zwar mit Geldern der Eurostaaten, soll sich Griechenland nicht sofort wieder verschulden.

Jürgen Stark, Chefvolkswirt der EZB
, warnte kürzlich, dass eine Umschuldung Folgen für das gesamte Bankensystem Europas habe: „Im schlimmsten Fall könnte sie die Auswirkungen der Lehman-Pleite in den Schatten stellen.“ Denn einige Banken würden in der Ägäis versenkte Milliarden ohne neuerliche Hilfe kaum verkraften. Bekommen die Banken kein Geld auf dem Markt, müssten wie zuletzt die Staaten einspringen – mit Steuergeld.

Zudem ist die Warnung der EZB vor einem Schuldenschnitt Griechenlands alles andere als uneigennützig: In den vergangenen Monaten hat sie für knapp 80 Milliarden Euro Staatsanleihen der Schuldenländer gekauft. Ein Großteil der Summe entfällt auf Griechenland. Im Falle einer Umschuldung müsste auch sie Wertberichtigungen vornehmen. Für die Verluste müssen die Euroländer geradestehen und damit wiederum – erraten – der Steuerzahler.

Die Krise ist also wieder dort angekommen, wo sie begonnen hat: bei den Banken. Auf die Krise des US-Hypothekarmarkts folgten die Finanzkrise, die globale Wirtschaftskrise, die Schuldenkrise. Die Staaten retteten ihre Banken, nun müssen schwache Staaten gerettet werden, weil sie ihre Schulden bei den Banken nicht mehr begleichen können. Sie werden von stärkeren Staaten aufgefangen, die sich das Geld dafür von den Banken leihen. Fällt ein Staat, reißt er wiederum einige Banken mit, die dann erneut gerettet werden müssen. Ein teuflischer Kreislauf, aus dem es, so scheint’s, kein Entkommen gibt. Wie man es dreht und wendet, im Endeffekt wird der Steuerzahler zur Kasse gebeten.

Christina   Hiptmayr

Christina Hiptmayr

ist Wirtschaftsredakteurin und Moderatorin von "Vorsicht, heiß!", dem profil-Klimapodcast (@profil_Klima).