„Nicht nachvollziehbare Plichtverweigerung“

Fall Kampusch: „Nicht nachvollziehbare Plichtverweigerung“

Fall Kampusch. Ehemaliger OGH-Präsident erhebt schwere Vorwürfe gegen Staatsanwaltschaft

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Man kann Johann Rzeszut nicht vorwerfen, dass er sich mit der Causa nicht auseinandergesetzt hätte, und seine Schlussfolgerung ist eine bittere: „In 42 Justizdienstjahren habe ich Vergleichbares nicht erlebt.“

Der langjährige Richter, Staatsanwalt, Präsident des Obersten Gerichtshofes und Mitglied der 2008 installierten Evaluierungskommission zu den Ermittlungen im Entführungsfall Natascha Kampusch fährt schwere Geschütze gegen das Justizministerium und die Wiener Staatsanwaltschaft auf. In einem Schreiben an politische Verantwortungsträger wirft er der Staatsanwaltschaft vor, sie habe nach dem Auftauchen von Natascha Kampusch 2008 klare Hinweise auf einen Mittäter von Entführer Wolfgang Priklopil ignoriert, Widersprüche nicht aufgeklärt und wäre lediglich an einer schnellen Einstellung des Falles interessiert gewesen.

Wörtlich schreibt Rzeszut von einer „unverständlich beharrlichen Resistenz der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsleitung“, einer „konsequent … fortgesetzten Vernachlässigung entscheidender polizeilicher Ermittlungsergebnisse“, von „langfristigen Verzögerungen bzw. bis zuletzt gänzlichen Unterlassung nachhaltigst indizierter Ermittlungsfortschritte“, einer „wesentlichen Behinderung der vom Innenministerium angeordneten Evaluierung“ und einer „sachlich nicht vertretbaren Druckausübung“ auf einen leitenden Polizeibeamten, der schließlich „Mitauslöser“ für dessen tragischen Selbstmord gewesen sei.

Schwer wiegt auch der Vorhalt, den Rzeszut im Zusammenhang mit dem von Kampuschs Mutter angestrengten Verfahren wegen übler Nachrede gegen Ludwig Adamovich erhebt. Der ehemalige Präsident des Verfassungsgerichtshofes hatte als Leiter der Evaluierungskommission in einem Interview gemeint, für Kampusch wäre die Zeit ihrer Gefangenschaft womöglich „allemal besser“ gewesen „als das, was sie davor erlebt hat“. Adamovich ist dafür am 24. Dezember 2009 in erster Instanz schuldig gesprochen worden, das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Richterin Birgit Schneider, die das Verfahren gegen Adamovich geleitet hatte, ist die Tochter des ehemaligen Leiters der Wiener Staatsanwaltschaft, Otto Schneider. Dieser hatte, wie Rzeszut schreibt, neben Oberstaatsanwalt Werner Pleischl, „führende Mitverantwortung im Ermittlungsverfahren zum Fall Kampusch“. Rzeszut ortet Befangenheit: Die Richterin wäre im Interesse der Objektivität „verpflichtet gewesen“, eine Befangenheitserklärung abzugeben.

Dem Justizministerium können die Vorwürfe nicht neu sein. Rzeszut hatte diese bereits im Juli 2009, kurz bevor die Kommission ihre Arbeit beendete, „im Einvernehmen mit allen Mitgliedern der Evaluierungskommission“ in einem Schreiben an Justizministerin Claudia Bandion-Ortner zusammengefasst. Zeitgleich wurde am 25. Juli 2009 Kabinettschef Georg Krakow via Mail informiert, in dem mitgeteilt wurde, dass die Mitglieder der Evaluierungskommission „erschüttert sind, wie seitens der Justiz mit dem …Kriminalfall umgegangen wird. „Wir (die Evaluierungskommission, Anm.) sehen … für unseren Einsatz keinen Sinn mehr und haben einen detaillierten Endbericht im Auge, der aller Voraussicht nach auf einen handfesten Justizskandal hinauslaufen wird“.

Die Unterlassungen, die der ehemalige OGH-Präsidenten bei der Aufarbeitung des Falles aufzeigt, sind am Montag im profil nachzulesen.