Peter Michael Lingens

Fanatismus statt Korruption

Fanatismus statt Korruption

Drucken

Schriftgröße

Arif Rafiq, ein aus Pakistan gebürtiger, derzeit in New York lebender Polit-Berater, dem besondere Kenntnisse des Landes zugebilligt werden, behauptet im „Standard“, der Mord an Benazir Bhutto böte auch eine Chance: Präsident Pervez Musharraf werde nun mit Bhuttos populärer Volkspartei PPP eine Regierung der nationalen Einheit bilden, die in der Lage sei, die ethnische und religiöse Spaltung des Landes zu überwinden. O-Ton: „Pakistans Eliten haben die Chance, ihre Differenzen zu überwinden, sich gegen die Radikalen zu vereinigen und ihren scheiternden Staat in eine stabile prosperierende Demokratie zu verwandeln.“

Ich kenne Pakistan zwar nur aus der laufenden Berichterstattung, aber ich befürchte das genaue Gegenteil: Gleichgültig, ob die verschobenen Wahlen stattfinden, gleichgültig, wer sie gewinnt – letztlich werden die radikalen Fundamentalisten früher oder später die Macht übernehmen. Denn Pakistans „Eliten“ werden den politischen Zerfallsprozess nicht aufhalten, sondern sie verantworten ihn. Benazir Bhuttos Gatte Asiv Ali Zardari, der nach ihrem Tod die Führung der PPP übernommen hat (auch wenn sie offiziell in den Händen seines Sohnes Bilawal liegt), ist ihr typischer Repräsentant: Er gilt als der korrupteste Politiker in Pakistans Geschichte. In der Ära seiner Frau mussten sich die Kaufleute mit Plastiksäckchen voller Geld bei ihm anstellen, wenn sie Geschäfte machen wollten. Sein Spitzname „Mr. 10 Prozent“ wurde gegen Ende von Benazirs Regierungszeit in „Mr. 20 Prozent“ geändert.

Und das soll der Mann sein, von dem man in New York glaubt, dass er Pakistan gemeinsam mit General Musharraf in eine „prosperierende Demokratie“ verwandelt?!

In Wirklichkeit scheint mir leider für fast alle Regime, mit denen der „Westen“ sich gegen die „Fundamentalisten“ verbündet, etwas Ähnliches zu gelten wie für seine einstigen Verbündeten gegen die Kommunisten: Sie herrschen – egal ob in Pakistan, in Ägypten oder in Saudi-Arabien – ausschließlich auf der Basis ihrer von den USA hochgerüsteten Armeen und begreifen Regieren ausschließlich als Auftrag zur maximalen Bereicherung. Weder eigene Bodenschätze noch westliche Wirtschaftshilfe sind unter diesen Voraussetzungen in der Lage, eine funktionierende Volkswirtschaft zu schaffen: Selbst in Saudi-Arabien verarmt die Bevölkerung – in Ägypten oder Pakistan war sie von vornherein chancenlos.

Die Einzigen, die sich um die Masse der Armen kümmern – die Kranken- und Armenhäuser betreiben und Essen verteilen –, sind die „Fundamentalisten“. Sie werden von der Bevölkerung daher keineswegs als „Terroristen“, sondern als Helfer erlebt, und das muss dazu führen, dass sie früher oder später zu Hoffnungsträgern dieser Bevölkerung werden. Sobald auch die Armee infiziert ist – und das ist trotz deren Sonderstatus und Extrabezahlung irgendwann kaum zu vermeiden –, bricht das Regime zusammen: Es kommt zu einem im wahrsten Sinne des Wortes fundamentalen Umsturz, oder das Land geht in den Flammen eines Bürgerkriegs bzw. Kriegs einzelner Warlords gegeneinander auf. In jedem Fall dominieren bis auf Weiteres die Fundamentalisten.

Nicht dass es dem Volk unter ihrer Herrschaft besser ginge – sobald sie an der Macht sind, werden auch sie sich vor allem auf ihre Waffen stützen, ihre Wirtschaft wird ebenso schlecht oder noch schlechter funktionieren, und in absehbarer Zeit werden auch sie korrupt sein – aber das weiß die Bevölkerung so wenig, wie sie seinerzeit wusste, dass die siegreichen kommunistischen Bewegungen ihnen nur noch einen schlimmeren Niedergang bescheren würden.

Selbst dort, wo statt eines Umsturzes Wahlen stattfinden, scheint dieser Mechanismus wirksam: Im Iran hatte die Bevölkerung die Wahl zwischen dem unendlich korrupten Regime des vergleichsweise liberalen Milliardärs Rafsanjani und dem fanatischen Saubermann Ahmadinejad und hat sich für Ahmadinejad entschieden, der die Wirtschaft auf seine Weise zugrunde richtet (und natürlich auch nichts gegen das permanente Stehlen der Mullahs auszurichten vermag).

In den Palästinenser-Gebieten hat die Bevölkerung die fanatische Hamas der korrupten Fatah vorgezogen. In Pakistan wird sie in absehbarer Zeit die radikalen sunnitischen wie schiitischen Fundamentalisten den korrupten Eliten an der Spitze der PPP und der Armee vorziehen. Die unverbrämten Diktaturen Ägypten und Saudi-Arabien werden folgen, auch wenn sie sich aufgrund ihrer noch autoritäreren Strukturen vorerst noch zu behaupten vermögen.

PS: Ausnahmsweise wieder einmal ein ressortüberschreitender Kulturtipp: „Verbrennungen“ im Wiener Akademietheater auf keinen Fall versäumen. Das erste in Österreich (grandios) aufgeführte Stück des frankokanadischen Autors, Theaterleiters und Schauspielers Wajdi Mouawad, der als Kind mit seinen Eltern aus dem Libanon geflohen ist, lässt Sie anderthalb Stunden lang den Wahnsinn der meisten derzeit geführten militärischen Auseinandersetzungen – sei es im Libanon, in Somalia, in Pakistan oder im Gaza-Streifen – durchleben. Sie verstehen, wenn Sie sich benommen wieder von Ihrem Sitz erheben, zumindest, warum sich dieses Morden nicht anders als in der moralischen Anstalt Theater beschreiben lässt. Und dass der einzige Ausweg darin besteht, dass die Beteiligten selbst irgendwann das Wahnsinnige ihres Tuns begreifen.