Der Schattenmann

Porträt. Staatssekretär Josef Ostermayer und seine peinliche Rolle in der Inseratenaffäre

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Politiker lieben das Rampenlicht. Kaum sind die Scheinwerfer an, wird der durchschnittliche Mandatar um gefühlte zehn Zentimeter größer. Seine Stimme klingt sonorer, seine Botschaften werden eindringlicher, durch seinen Körper geht ein Ruck. Nur wenigen gelingt die Verwandlung in einen ordentlichen Volkstribun, aber das Bemühen ist erkennbar. Denn wo Publikum ist, da ist Aufmerksamkeit - die mit Abstand beliebteste Droge in der Branche.

Allerdings geht es auch anders. Am Dienstag vergangener Woche steht Josef Ostermayer auf der Bühne von Saal 1 in Halle F der Wiener Stadthalle. Gerade hat er mit ein paar dürren Worten den "Alfred-Worm-Preis“ an den "Format“-Journalisten Ashwien Sankholkar verliehen ("ein Paradebeispiel für gelungene Integration“). Nun wartet er auf den nächsten Einsatz. Ostermayer hat sein Gewicht auf das rechte Bein verlagert und die Arme vor der Brust verschränkt. Aus seinem Gesichtsausdruck lässt sich nicht einmal das Nötigste ablesen. Ist ihm fad? Ist ihm kalt? Geht es eh so halbwegs? Endlich hat die Warterei ein Ende, und der Laudator kann einen weiteren Preis an den profil-Fotografen Philipp Horak übergeben. Ostermayer formuliert ein paar Sätze über die Macht der Bilder, die ja bekanntlich mehr sagen als tausend Worte. Dann ermahnt er sich selbst, die zweiminütige Redezeit nicht zu überschreiten. Danke, das war’s. Man muss es ja nicht übertreiben.

Seit fast drei Jahren ist Josef Ostermayer Staatssekretär im Bundeskanzleramt, zuständig unter anderem für Medien. Doch den Platz in der ersten Reihe mag er immer noch nicht. Wenn der 50-jährige Burgenländer ganz vorne steht, also da, wo es Politiker normalerweise hinzieht, wirkt er wie ein biederer Sachbearbeiter, der versehentlich im falschen Stockwerk aus dem Lift gestiegen ist. Ostermayer drängt sich nicht vor, ist nicht eitel, hört sich selber nicht gern reden. Auch so kann man in der Politik Erfolg haben. Doch seine Methoden sind durchaus nicht immer so sympathisch-zurückhaltend wie seine öffentlichen Auftritte.

Seit ein paar Wochen ermittelt die Staatsanwaltschaft Wien gegen Ostermayer und Bundeskanzler Werner Faymann wegen des Verdachts auf Amtsmissbrauch und Untreue. Das Verfahren basiert auf einer Anzeige von FPÖ-Generalsekretär Harald Vilimsky, Gegenstand der Ermittlungen sind die Werbeeinschaltungen der ÖBB in einigen Printmedien. Als Werner Faymann noch Infrastrukturminister war und Josef Ostermayer sein Kabinettschef, sollen die beiden direkt Einfluss auf die Inseratenvergabe bei dem Staatsbetrieb genommen haben. Mit ÖBB-Geld sei vor allem der Minister - als Retter der Bahn - groß inszeniert worden, so der Verdacht. Nutznießer der üppigen Kampagnen waren in erster Linie die Boulevardblätter "Kronen Zeitung“, "Österreich“ und "Heute“, mit denen die SPÖ auch sonst recht eng verbandelt ist.

Es ist unangenehm genug, wenn ein amtierender Bundeskanzler und sein Staatssekretär im Zentrum von staatsanwaltlichen Ermittlungen stehen. Der politische Schaden könnte für Werner Faymann größer ausfallen als für den Staatssekretär. Aber Ostermayer hat den peinlicheren Teil der Affäre abbekommen. Dienstbeflissener Exekutor eines selbstverliebten Chefs: Das ist nun wirklich keine Rolle, um die sich viele Bewerber reißen. Stimmen die bisherigen Zeugenaussagen einiger ÖBB-Manager, war es Ostermayer, der die Inseratendeals für Faymann abwickelte. Die Rede ist von erheblichem Druck und relativ deutlichen Drohungen. Er brauche "sieben Millionen für den Werner“, soll Ostermayer etwa zu Ex-ÖBB-Chef Martin Huber gesagt haben.

Wie es sich anfühlt, so richtig vorgeführt zu werden, durfte Ostermayer jüngst als Studiogast der "ZiB 2“ ausprobieren. Im Interview mit dem gewohnt sattelfesten Armin Wolf gab es für den Staatssekretär nicht einmal den Unterteller eines Blumentopfs zu gewinnen. "Also es ist nicht meine übliche Redensart, daher kann ich nur sagen, dass wir über verschiedenste Varianten diskutiert haben“, stammelte der Staatssekretär etwa auf die Frage, ob er wirklich einige Millionen "für den Werner“ gefordert habe.

Angesichts solcher Demütigungen hilft es Ostermayer wahrscheinlich, dass er seine Loyalität zum Kanzler nicht hinterfragen muss. Werner Faymann und Josef Ostermayer sind seit Jahrzehnten geradezu symbiotisch verbunden. Kennen gelernt hat man einander vor fast einem Vierteljahrhundert bei der Wiener Mietervereinigung. Ostermayer hatte dort gerade in der Rechtsabteilung begonnen, als Faymann Vorsitzender wurde. 1994 avancierte Faymann zum Wiener Wohnbaustadtrat und nahm Ostermayer mit ins Rathaus. Als Faymann 2007 Infrastrukturminister wurde, machte er Ostermayer zu seinem Kabinettschef. Die letzte Rochade datiert aus dem Herbst 2008: Faymann wurde Kanzler, Ostermayer sein Staatssekretär.

Josef Ostermayer stammt aus Schattendorf im Burgenland. Sein Großonkel Josef Grössing war jener achtjährige Bub, der 1927 von rechten Frontkämpfern erschossen wurde. Der Freispruch der Schützen führte zu Demonstrationen, die im Brand des Justizpalasts gipfelten.

Hallt so ein Drama in der Familiengeschichte auch viele Jahrzehnte später noch nach? Ein ÖVP-Mann glaubt, dass Ostermayers tiefes Misstrauen dem bürgerlichen Lager gegenüber aus der familiären Prägung stamme. Aber das kann bloße Küchenpsychologie sein. Die SPÖ-Spitze wirkt mitunter wie eine Trutzburg, das stimmt. Mit Ideologie dürfte das aber zumindest in Ostermayers Fall nichts zu tun haben. Falls er gesellschaftspolitische Anliegen hat, behält er sie für sich. Ihm fehlt jegliche Lust an der politischen Debatte, am Austausch von Argumenten, am Wettstreit der Meinungen. Das eigentliche Handwerk des Politikers blieb ihm fremd, sein Instrument ist der Pragmatismus.

Josef Ostermayer sei "die perfekte graue Eminenz“, sagt ein Abgeordneten-Kollege. "Für das Macht- und Personalnetzwerk von Werner Faymann ist er unverzichtbar.“ Als "Alter Ego“ des Kanzlers wird er oft bezeichnet, manchmal auch als "Schattenkanzler“. Ostermayer sei der gebildetere, belesenere von beiden, sagen politische Weggefährten. Faymann hat dafür mehr Zug zum Tor. Man ergänzt einander also perfekt.

Erzählt wird auch, dass der Kanzler sich unwohl fühlt, wenn er ohne seinen Freund zu wichtigen Terminen oder Verhandlungen muss. Meist ist Ostermayer dabei - ob die Veranstaltung zu seiner Agenda passt oder nicht. So reisten die beiden gemeinsam zum Staatsbesuch nach China, plauderten gemeinsam vor dem Opernball mit Bob Geldof und verhandelten im Vorjahr gemeinsam mit der ÖVP über das Sparpaket.

Gilt es, den SPÖ-Parlamentsklub auf Linie zu bringen, schickt Faymann gern seinen Freund in den Ring. Der grüne Abgeordnete Dieter Brosz erwähnt als Beispiel die Diskussionen über die Einberufung von Untersuchungsausschüssen. "Da gab es offenbar von oben die Weisung, nicht zuzulassen, dass es ein Minderheitenrecht wird. So etwas erledigt dann der Ostermayer.“

Seite an Seite marschierte das Duo auch vor zweieinhalb Jahren gegen ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz. Es war der Beweis, dass man sich in schönster Eintracht vergaloppieren kann. Wrabetz blieb bekanntlich im Amt und wurde vor Kurzem wiedergewählt. Unter anderem, weil Kanzler und Staatssekretär vergessen hatten, sich vor ihren Attacken nach einem geeigneten Ersatz an der ORF-Spitze umzusehen.

Ganz allein tätig werden durfte Ostermayer bei den Verhandlungen zur Kärntner Ortstafellösung. Die Einigung in diesem Langzeit-Streitfall der österreichischen Innenpolitik wurde ihm als großer Erfolg angerechnet. Der Kärntner Landeshauptmann Gerhard Dörfler ist seither ein deklarierter Fan des Kollegen von der SPÖ. "Wir haben uns nicht nur gut verstanden, wir sind dicke Freunde geworden. Zwischen uns hat einfach die Chemie gestimmt“, berichtet er.

Im persönlichen Umgang ist Ostermayer angenehm: stets korrekt, freundlich, verbindlich und fachlich versiert. Der grüne Wiener Gemeinderat David Ellensohn schwärmt heute noch davon, wie Ostermayer ihm seinerzeit den Einstieg in die Wiener Stadtpolitik erleichterte. "Als ich ganz neu in den Gemeinderat gekommen bin, hat er mir Unterlagen gegeben und mir Leute empfohlen, mit denen ich mich mal treffen kann.“ Vielleicht sei das auch ein Versuch gewesen, den Nachwuchs einzulullen, mutmaßt Ellensohn. "Aber ich fühlte mich von ihm gut informiert und eingebunden.“

Nettigkeit wird ja auch dem Bundeskanzler reihum attestiert. Mit seinem Freund teilt Ostermayer allerdings auch die Anflüge von Paranoia, wenn die seiner Ansicht nach gute Behandlung nicht zum Erfolg führt. Widerspruch und Gegenwind kamen in der politischen Sozialisation der beiden Herren im Wiener Rathaus derart selten vor, dass sie heute gleich eine bürgerliche Verschwörung wittern, wenn etwa ein Zeitungsartikel nicht ihren Vorstellungen entspricht. Telefonisch intervenieren muss dann meist Josef Ostermayer. Und er tut das in der Regel ganz oben, beim Eigentümer.

Die aktuelle Inseratenaffäre lässt sich aber nicht einfach ausbügeln. Faymann und Ostermayer werden wohl vor dem Untersuchungsausschuss im Parlament aussagen müssen. Wenn es schlecht läuft, vielleicht nicht einmal gemeinsam.

Rosemarie Schwaiger