Festspiele: „Absolut jenseitig“

In Salzburg wurde Zensur an der Kunst geübt

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Drinnen ist alles gut. In der Felsenreitschule werden die letzten Blumengestecke arrangiert, die Orchesterstühle platziert und die Scheinwerfer montiert. Bundespräsident Thomas Klestil hat sein Kommen angesagt und mit ihm die halbe heimische Polit- Prominenz: Für das Establishment, das den Wohlklang schätzt, ist das Eröffnungszeremoniell der Salzburger Festspiele noch immer ein Must.

Draußen allerdings ist die Hölle los. Vor dem Großen Festspielhaus rücken Polizei und Feuerwehr sicherheitshalber gleich gemeinsam an, schütteln Passanten schockiert den Kopf und schreit eine aufgebrachte Agnes Husslein verzweifelte Toleranzappelle ins Mikrofon. Was ist denn passiert? Husslein, die Direktorin des Salzburger Museums Rupertinum, hat den Edel-Festspielen zum Auftakt einen waschechten Kunstskandal beschert.

Der Skandal ist gute dreißig Zentimeter lang, zehn Zentimeter dick und weithin sichtbar erigiert: Die Künstlertruppe Gelatin stellte vor dem Rupertinum einen nackten Mann auf, der in hohem Bogen in seinen eigenen Mund uriniert. Die Basis der Skulptur ist aus Hölzchen, Einrichtungsresten und Spucke zusammengepresst, während die krönende Figur über die beiden Torsäulen athletisch eine Brücke rückwärts schlägt.

Ein Kran rollt heran. Zuerst decken Feuerwehrmänner den Penis mit einer mächtigen Plane ab. Schon gemächlicher zimmern sie anschließend ein Gerüst: Die Figur ist aus Kinderplastilin geformt, zerbrechlich und eine Tonne schwer. Sie kann nicht abtransportiert werden, also baut man einen Holzverschlag um sie herum.

"Wenn es nicht so tragisch wäre, wäre es einfach eine grandiose Provinzposse", kommentiert der Salzburger Galerist Thaddeus Ropac, der die Szene entsetzt mitverfolgt. "Das ist Zensur und erinnert mich wirklich an das, worin die Salzburger vor fünfzig Jahren Musterschüler waren." Die Feuerwehrmänner nageln die Holzbretter an, die Menge klatscht.

Zensur. Bürgermeister Heinz Schaden gibt sich lässig. "Den Vorwurf der Zensur nehme ich in diesem Fall leichten Herzens auf mich", meint er und stellt klar, was Kunst sei - und was eben nicht: "Eine Skulptur, die sich selber in den Mund pisst, ist zu starker Tobak. Wenn's einen zum Grausen anfängt, muss ich es nicht unbedingt öffentlich darstellen. Das ist für mich jenseitig, absolut jenseitig."

Um drei Uhr nachmittags ist die Aufregung vorbei. Die Polizei rückt ab. Die Plastik ist mit einer stabilen Holzverschalung versehen worden, die keinen Blick mehr auf die Skulptur zulässt. Festspielintendant Peter Ruzicka enthält sich jeden Kommentars. Landeshauptmann Franz Schausberger empfängt Bundespräsident Thomas Klestil, ÖVP-Vizebürgermeister Karl Gollegger atmet durch: Sein Wunsch, dass die Skulptur bis 17.30 Uhr verschwunden sei, damit die Festgäste nicht am phallischen Fanal vorbeipromenieren müssen, ist erfüllt.

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