„Kann alles als Comic erzählen“

Ulli Lust: „Kann alles als Comic erzählen“

Online-Interview. Zeichnerin Ulli Lust über ihre NS-Graphic-Novel „Flughunde“

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Interview: Philip Dulle

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Warum haben Sie sich für die Adaption von Marcel Beyers „Flughunde“ entschieden, einem Roman, der vor allem von seiner poetischen Sprache lebt und konkrete Bilder verweigert?
Lust: Ganz im Gegenteil. Der Text hat bei mir sehr starke Bilder hervorgerufen. Außerdem fand ich die Figur der Helga Goebbels sehr spannend. Auch der Ort der Handlung war für mich als Zeichnerin interessant; das zerstörte Berlin, der Führerbunker, der Sportpalast. Vor allem: Die sprachliche Qualität des Textes ist überzeugend.

profil online: Graphic-Novel-Adaptionen dominieren seit Jahren den Comicmarkt. Haben Sie nach dem Erfolg ihrer Autobiografie „Heute ist der letzte Tag vom Rest deines Lebens“ nach neuen Herausforderungen gesucht?
Lust: Gereizt hat mich eine literarische Adaption schon länger. Normalerweise versuche ich ja, Realität im Comic zu adaptieren. Um ehrlich zu sein: Ich habe mich davor gescheut, bei einem Verlag um die Rechte anzusuchen.

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Sie haben nach zwei Nicolas-Mahler-Adaptionen die dritte Graphic Novel für das Traditionshaus Suhrkamp gezeichnet. Kann man „Flughunde“ als Auftragsarbeit bezeichnen?
Lust: Man hat mich gefragt. Bei der Wahl des Buches hat mir Suhrkamp jedoch freie Wahl gelassen. Das Angebot ist ja enorm. Ich hab mich gefühlt wie ein Kind im Spielzeugladen.

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„Flughunde“ erzählt vom Niedergang des Nationalsozialismus anhand einer poetischen Parallelerzählung. Wie groß war das Risiko, die Gräueltaten des Krieges in konkrete Bilder zu fassen?
Lust: Sehr groß. Andererseits gibt es solche Bilder nur in kurzen Szenen. Ich stelle die Gräueltaten selten direkt, sondern über das Kriegsspiel der Kinder dar, oder ich erwähne sie in den Textelementen.

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Wird das eigentliche Thema des Romans, die Akustik des Krieges, durch die wiederkehrende Lautmalerei nicht banalisiert?
Lust: Die Akustik des Krieges mag das eigentliche Thema des Romans sein, aber nicht das des Comics. Man könnte genauso fragen, ob so ein ernstes Thema wie der Nationalsozialismus nicht durch die Umsetzung als Graphic Novel banalisiert wird. Art Spiegelman hat mit „Maus“ bewiesen, dass man alles als Comic erzählen kann. Selbst den Holocaust.

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Wie wichtig war Ihnen Werktreue?
Lust: Werktreue ist unwichtig. Der Comic muss als eigenständiges Werk funktionieren. Man kann nicht einfach den Text in Bilder übersetzen und dieselbe Wirkung erzielen. Ich habe viele Szenen und Passagen verändert, ganze Dialoge erfunden. Auch der kleinen Helga Goebbels gebe ich mehr Raum.

profil online: Dennoch haben Sie ganze Textpassagen übernommen.
Lust: Selbstverständlich. Comic besteht aus Text und Bild, der Text des Romans ist mein Arbeitsmaterial, ich habe ihn neu arrangiert.

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Gibt es für Sie Szenen der Geschichte, die Sie als Zeichnerin besser darstellen können als der Romancier?
Lust: Ja, andererseits gibt es auch Szenen, die der Romancier besser darstellen kann. Jedes Medium hat seine eigenen Stärken. Konkret benennen, an welcher Stelle die Zeichnungen besser funktionieren als der Text, möchte ich lieber nicht. Das können die Leser besser beurteilen.

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